Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg: Die Taskforce der Anwohnerinnen
Seit einem Jahr setzt die Politik im Kampf gegen den Drogenhandel auf massive Polizeieinsätze. Was bewirken die Razzien? Und was sind die Alternativen?
Baturu* hat Glück gehabt. Mit der Polizei hat er – erst mal zumindest – keine Probleme. Er steht in der Küche des Cafés Varadinek und verstreicht sorgfältig rotes Pesto auf weißem Brot. Kunden haben Tramezzini bestellt, also verarbeitet er Ruccola, Mozarella und Antipasti zu feinen Schnittchen. Es ist Sonntag Mittag. Vorne im Ladenlokal verbreitet der Kaminofen eine wohlige Wärme. Gäste trinken ihren Cappuccino, quatschen, lachen.
Draußen durchweicht der Regen die Stadt. 50 Meter vom Café in der Kreuzberger Falckensteinstraße entfernt, am Eingang zum Görlitzer Park, stehen zehn Dealer in klammen Klamotten. Sie treten von einem Fuß auf den anderen. „Psssst“, „Du lächelst, alles gut?“, „Brauchst du was?“ Andere harren auf verschiedene Stationen verteilt am Mittelweg aus, die Hände tief in den Taschen. Zwei Männer mit Bierflaschen nähern sich, mit mehreren Verkäufern verschwinden sie zwischen den Büschen.
Früher Dealer, heute Bäcker
Früher lebte Baturu, dieser schmächtige Kerl mit dem gutmütigen Blick, selbst draußen im Park und verkaufte Drogen. Heute backt und kocht er. Mit dem Café Varadinek hat er einen Ort gefunden, der so etwas wie ein Zuhause für ihn ist. Er hat den Absprung geschafft. Und das ist kein Verdienst der Politik.
Baturu aus Gambia
Seit einem Jahr setzt der Senat im Görlitzer Park vor allem auf Polizei. Schon länger hatten sich die Klagen von Anwohnern am Park über den zunehmenden Drogenhandel gehäuft. Mitte November eskalierte die Situation: Der Wirt einer Shishabar an der Skalitzer Straße, der sich von Dealern vor seiner Tür belästigt und bedroht fühlte, stach zusammen mit einem Freund zwei Schwarze nieder. Zuvor hatte er viele Male die Polizei gerufen – ohne dass sich etwas an der Situation änderte. Einen Tag nach dem Angriff wurde sein Lokal verwüstet.
Dass Bürger sich gegen die Dealer selbst wehren müssen, konnte Innensenator Frank Henkel (CDU) nicht auf sich sitzen lassen. Eine „Taskforce Görlitzer Park“ wurde gegründet. Mit Flutlicht rückten die Beamten abends in die Grünanlage ein. Der Bezirk ließ Büsche und Hecken radikal herunter schneiden. Im April ernannte Henkel den Park zur ersten und einzigen Null-Toleranz-Zone Berlins. Das bedeutet: Nicht nur die Händler sollen hart rangenommen werden, auch die Konsumenten (siehe Kasten). Die Polizei vervielfachte ihre Einsätze. 400 Razzien und Kontrollen gab es 2015 bis Anfang November – also ein bis zwei pro Tag. Über 52.000 Einsatzkräftestunden leisteten die Beamten im Park, im Jahr 2014 waren es noch 30.000.
Ein enormer Aufwand. Aber was hat er gebracht?
Die Zahlen zeigen: Bis Anfang November dieses Jahres verzeichnete die Polizei 1.580 Anzeigen wegen Drogenhandels oder -konsums rund um den Görlitzer Park – beinahe doppelt so viele wie im Jahr 2013. Die Zahl der Festnahmen hat sich im Vergleich zu 2013 fast verdreifacht: 563-mal nahmen die Beamten Verdächtige wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz in diesem Jahr bereits fest.
Baturu war schon weg, als die Polizei den Druck erhöhte. Der 28-Jährige stammt aus Gambia, über Spanien kam er nach Deutschland. Eine Zeit lang wohnte er in der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule. Nachdem die im Sommer 2014 abgeriegelt wurde, zog er in den Park.
Dort übernachtete er auch, erzählt er. Wenn es regnete, konnte er nicht im Park schlafen. Also ging er in einen Nachtclub, auf das RAW-Gelände und schlief später. Wenn er genug verdiente, konnte er sich etwas zu essen kaufen. Am liebsten die afrikanischen Gerichte, die eine Frau regelmäßig in großen Behältern in den Park bringt. Reis, Fleisch, in scharf gewürzter Sauce. Baturu kommt ins Schwärmen. „I love this food.“ Fünf Euro koste eine Portion. Wenn er kein Geld hatte, musste er den Hunger aushalten.
Baturu weiß natürlich, dass Drogenhandel eine Straftat ist. Er lebte wie die anderen Dealer immer auf der Hut, in Angst vor der Polizei. Trotzdem machte er weiter. „We had to survive. We didn’t have any possibility to do anything else“, sagt er.
Seiner Familie in Gambia schickt Baturu regelmäßig Geld. Wenn seine Eltern wüssten, dass er Drogen verkauft hat, sie wären entsetzt, sagt er. Sie würden ihm auch nicht glauben. In Afrika hätten die Menschen eine völlig andere Vorstellung vom Leben in Europa,. „People think we have a good job and work here.“ Er selbst sagt: Hätte er gewusst, wie es für Flüchtlinge in Europa wirklich ist, er hätte sich nicht auf den Weg gemacht.
Baturu wechselt hinter die Theke. Ein Gast hat einen Cappuccino bestellt. Der Gambianer gießt den Milchschaum so in die Tasse, dass er ein Herz formt. Cafébetreiberin Annika Varadinek, eine dynamische 29-Jährige in Turnschuhen, stellt am Laptop neue Musik ein.
Vor einem Jahr gründete Innensenator Frank Henkel (CDU) die Taskforce Görlitzer Park. Senat, Bezirk, Polizei und Justiz verabredeten eine engere Zusammenarbeit, um die Drogenkriminalität rund um den Görlitzer Park bis hin zur Revaler Straße in Friedrichshain einzudämmen.
Seit April gilt der Görlitzer Park zudem als Null-Toleranz-Zone: Nicht nur Drogenhändler, auch Konsumenten sollen strafrechtlich verfolgt werden. In Berlin bleibt normalerweise straffrei, wer weniger als 15 Gramm Cannabis bei sich hat. Nicht so am Görlitzer Park: Hier sollen die Staatsanwälte die Verfahren bei geringen Mengen nicht mehr einstellen.
Die Polizeieinsätze wurden seit November 2014 massiv erhöht. Von Januar bis Oktober 2014 hatten die Beamten im Park häufig jeweils um die 1.000 Einsatzkräftestunden geleistet. Im November waren es dann über 9.000. Im Dezember stiegt die Zahl sogar auf 11.500. In diesem Jahr wurden die Razzien wieder etwas zurückgefahren, im September und Oktober 2015 waren die Beamten mit 3.000 Einsatzkräftestunden im Park.
Die Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg wollten dem Handel im Görli mit Coffeeshops die Grundlage entziehen. Sie stellten einen Antrag auf kontrollierte Abgabe von Cannabis, was die zuständige Bundesbehörde ablehnte. Der Bezirk hat dagegen Widerspruch eingelegt. (all)
Kennengelernt haben sich die beiden im Park. Annika Varadinek und ihre Mutter wohnen im Wrangelkiez, regelmäßig gehen sie mit ihren Hunden im Görli spazieren. „Am Anfang hat es uns auch genervt, immer angequatscht zu werden“, erzählt Annika. Irgendwann kamen sie mit Baturu ins Gespräch. Sie beschlossen, ihm zu helfen. Zwei Monate bevor die Taskforce Görlitzer Park gegründet wurde, zog er in Annikas WG ein. Kurz darauf wurden zufällig die Caféräume in der Falckensteinstraße frei. Die Varadineks übernahmen sie und bauten die Flüchtlingsbäckerei auf.
Die Bitte, den Park zu zeigen, wie er ihn kennt, lehnt Baturu brüsk ab. Annika Varadinek erklärt, er sei bei den anderen Afrikanern im Park nicht mehr gut gelitten, seit er hier arbeite und wohne. „Sie haben Angst, dass Baturu die Geheimnisse des Parks verrät. Sie sagen, er ist ein Sklave der Weißen.“
Fünf Flüchtlinge aus dem Görlitzer Park machen bei Annika Varadinek offiziell ein Praktikum. Sie lernen backen und bekommen dafür 300 Euro im Monat. Leben können sie in einer Eigentumswohnung der Mutter nebenan. Die ist Rechtsanwältin und berät die Männer bei Fragen zum Aufenthaltsrecht. In Räumen neben dem Café haben die Varadineks für ein gutes Dutzend Flüchtlinge zudem einen Deutschkurs organisiert, einige übernachten auch im Unterrichtsraum.
Hilfe aus eigener Tasche
Eine großzügige private Initiative. Das Café hat zwar Einnahmen, doch die reichen nicht aus. Die Varadineks unterstützen die Flüchtlinge mit einer vierstelligen Summe jeden Monat. Aus eigener Tasche. Die Tür geht auf, ein Schwarzer mit Basecap kommt herein. „Sorry, no black people here“, sagt Annika. Er stutzt kurz, dann prusten beide los.
Annika Varadinek hatte selbst ein Jurastudium angefangen – und es irgendwann aufgegeben. Sie wollte immer auch was Soziales machen, erzählt sie. „Ich erfülle mir hier einen Traum.“ Café und Bäckerei am Laufen zu halten sei sehr anstrengend. „Aber es gibt mir auch total viel. Ich werde gebraucht.“
Wenn die Polizei im Park mal wieder eine Razzia macht, läuft sie schnell hin. „Die Jungs sollen sehen, dass wir da sind.“ Verhalten sich Polizisten nicht korrekt, fragt sie nach der Dienstnummer. Nur manche Beamten rückten die auch raus, erzählt sie. „Was hier passiert, ist absolute Schikane.“
Die vielen Kontrollen machen auch der Justiz mehr Arbeit. „Wir haben eine signifikante Steigerung der Verfahren in diesem Bereich“, stellt Martin Steltner, Sprecher der Staatsanwaltschaft, fest. Zwar würden seit Einführung der Null-Toleranz-Zone auch Konsumenten mehr verfolgt. „Die Hauptarbeitsbelastung liegt aber weiterhin bei der Händlerkriminalität.“ Mehr Anzeigen, mehr Festnahmen, mehr Verfahren – vom Schreibtisch aus könnte man meinen, Henkels Strategie geht auf, die Dealer werden stärker verfolgt und meiden ergo den Park. Wer vor Ort ist, sieht schnell, dass das nicht stimmt.
Programm für Aussteiger
Martin Heuß engagiert sich in der Anwohnerinitiative Görlitzer Park. Er sagt: „Der Handel findet weiterhin statt. Vielleicht ist er im Park ein bisschen weniger geworden. Aber die Probleme haben sich in die umliegenden Straßen verschoben.“ Andere bestätigen diesen Eindruck. „Im Grunde hat sich wenig verändert“, sagt Katharina Oguntoye vom afrodeutschen Verein Joliba, der seine Räume in der Görlitzer Straße hat. „Wenn die Polizei in den Park reingeht, verschwinden die Dealer. Wenn sie weg ist, kommen sie wieder.“
Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) formuliert es noch deutlicher: „Henkel ist mit seinem Plan, den Drogenverkauf einzuschränken, gescheitert.“ Und selbst die Gewerkschaft der Polizei meldet Zweifel an, dass die Strategie aufgeht. Pressesprecherin Annika Schulze betont zwar, dass der Drogenhandel eingedämmt werde. „Allerdings ist dieser Effekt von kurzer Dauer.“ Sobald die Beamten an einen anderen Einsatzort müssten, sei die Situation die gleiche wie zuvor.
Die Innenverwaltung hebt hervor, dass mehr Drogenhändler gestellt werden konnten, die vielen Anzeigen und Festnahmen verbucht sie – naturgemäß – als Erfolg. Doch auch bei Henkels Sprecher klingt die Gesamtbeurteilung nicht gerade euphorisch: „Die Lage hat sich verbessert, aber es gibt noch keinen Grund zur Entwarnung.“ Auch der Innensenator weiß, dass die Dealer mitnichten verschwunden sind. Wie aber soll es nun weitergehen mit dem Park?
Die Grünen wollten Coffeeshops einrichten und dem Drogenhandel im Park so die Grundlage entziehen. Dem erteilte die zuständige Bundesbehörde kürzlich eine Absage. Das Land Berlin brauche für Orte mit Drogenproblemen eine Gesamtstrategie, sagt Herrmann nun und fordert an Hotspots wie dem Görlitzer Bahnhof mobile Wachen. „Die Polizei sollte kontinuierlich präsent sein.“
Die Anwohnerinitiative fordert Sozialarbeiter für den Park. Auch Annika Varadinek ist überzeugt: Solange die Flüchtlinge im Park keine Arbeitsgenehmigung bekommen, solange wird es auch den Drogenhandel geben. „Sie sind hier und gehen auch nicht weg. Warum erlässt man für die, die da sind, nicht eine Amnestie?“ Syrische Flüchtlinge hätten derzeit viele rechtliche Möglichkeiten. Aber Aussteigerprogramme für die afrikanischen Dealer im Park, die gebe es nicht.
Die Flüchtlingsbäckerei zum staatlichen Modell zu machen – für die Betroffenen wäre das eine tolle Lösung. Doch das dürfte politisch nicht gewollt sein, würde sie doch Anreize für andere Flüchtlinge schaffen, nach Kreuzberg zu kommen.
Baturu ist diese Situation sehr bewusst. Das Café bietet ihm derzeit zwar ein Zuhause. Doch auf die Frage, ob er sich als Berliner fühle, schüttelt er den Kopf. “I’m in Berlin, but I am not a Berliner.“ Dafür müsste er schon länger hier leben, sagt er. Sein Kollege ergänzt: „And get the cizitizenship.“
* Name geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen