Kolumne Macht: Meinungsfreiheit für alle
Mitglieder der Bundesregierung fordern Facebook auf, Postings auf Verfassungsmäßigkeit zu prüfen – und Linksliberale applaudieren. Wie bitte?
D as Bundeskriminalamt warnt vor steigender rechtsextremer Gewalt. Das ist eine gute Nachricht. In den letzten Monaten konnte man ja den Eindruck gewinnen, viele Ermittler betrachteten Brandanschläge auf Asylbewerberheime als natürlichen Reflex tief verängstigter Bürger. Die allesamt völlig isoliert sind vom Rest der Welt und deshalb Einzeltäter sein müssen.
Diese Einschätzung hat sich also geändert. Das ist schön. Erfreulich ist auch, dass es in Regierung und Parlament einige Blitzmerker gibt. Kaum ist ein Jahr ins Land gegangen, schon stellen sie fest, dass die Organisatoren von „Pegida“ rechtsextrem und möglicherweise verfassungsfeindlich sind.
Das hätte man ihnen allerdings schon früher sagen können, und man hat es ihnen auch gesagt. Aber sie wollten es lange nicht hören.
Stattdessen greifen sie jetzt in die uralte Trickkiste und behaupten, die Bewegung habe sich „radikalisiert“. Was schlicht unwahr ist. „Pegida“ hat vor einem Jahr ziemlich genau denselben menschenverachtenden Unfug verbreitet wie heute. Nur dass es noch vor einigen Monaten cleveren Parteistrategen nützlicher zu sein schien, von „besorgten Bürgern“ zu reden statt von „Pack“.
Richard Berk ist Soziologe und Statistiker. Er sagt, seine Algorithmen könnten bei der Geburt herausfinden, ob ein Kind einmal ein Verbrecher werde. Wie berechenbar sind Menschen? Die Titelgeschichte „Wird dieses Kind ein Mörder?“ lesen Sie in der taz. am wochenende vom 24./25. Oktober. Außerdem: Heini Rudeck fällt das Gehen schwer. Trotzdem besucht er das Grab seiner Freundin täglich. Er setzt sich einfach an den Computer. Und: Klaus von Dohnanyi veröffentlicht die Briefe seines Vaters aus der Gestapo-Haft. Ein Gespräch. Das alles gibt es am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.
Dazu lernen ist nicht verboten
Nun ist es ja niemandem verboten dazu zu lernen, und wenn sich jetzt alle Demokraten wieder auf gemeinsame Werte besinnen, dann will man nicht nachtragend sein. Aber davon kann leider keine Rede sein. Im neu erwachten Furor schiessen die Bekehrten - wie Konvertiten das häufig tun - nun weit übers Ziel hinaus. Und verhalten sich selbst undemokratisch.
Mitglieder der Bundesregierung fordern seit Wochen die Betreiber des sozialen Netzwerks Facebook auf, Inhalte, die seine Nutzer dort posten, auf ihre Verfassungsmässigkeit hin zu überprüfen. Und was tut das linksliberale Milieu? Es applaudiert. Als ob gegen eine Beschränkung der Meinungsfreiheit gar nichts einzuwenden sei, wenn sie sich nur gegen die richtigen Leute wendet. Das zeugt von einem seltsamen Verständnis dieses Grundrechts.
Aufrufe zu Gewalttaten und Volksverhetzung sind zu Recht strafbar, und sie sollen es auch bleiben. Dazu muss aber nicht der Betreiber eines Netzwerks tätig werden: Alle, die so etwas lesen, können Anzeige erstatten.
Aber es gibt viele ekelhafte Meinungsäußerungen, die eben nicht strafbar sind. Selbst die Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist nicht verboten. Ja, auch das gibt die Meinungsfreiheit her. Und deshalb machen Gerichte es sich nicht leicht mit der Aufgabe, die Grenze zu definieren zwischen dem, was noch und dem, was nicht mehr erlaubt ist. Das ist ja auch nicht einfach. Dachte ich bisher.
Der Justizminister sieht das offenbar anders. Er möchte den Facebook-Betreibern die hoheitliche Aufgabe der Zensur übertragen – ohne klare Richtlinien und Definitionen, ohne Amt, ohne Mandat. Nur so nach Gefühl. Wissen doch eh alle, was und wer gemeint ist, oder? Es trifft ja die Richtigen.
Es ist mir egal, ob es die Richtigen oder die Falschen trifft. Das Recht auf Meinungsfreiheit gilt für alle, auch für Rechtsradikale. Habe ich keine Angst vor Beifall von der falschen Seite? Doch, habe ich. Aber nicht soviel Angst wie vor einer Entwicklung, in der Demokraten die Staatsanwaltschaft für den geeigneten Ort halten, den Streit der Meinungen auszutragen.
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