Kai Diekmann pöbelt: Mann ohne Rückwärtsgang
Der „Bild“-Chef überzieht den FC St. Pauli mit absurden Vorwürfen. Warum? Weil er am Ende viel zu oft noch Applaus für den Buzz bekommt.
K ai Diekmann kennt nur eine Geschwindigkeit: Vollgas. Und dann immer geradeaus. Bloß nicht bremsen. Bloß nicht zurücksetzen. Auch wenn die Karre längst feststeckt. Würde er anders handeln, müsste er ja zugeben, dass sein inneres Navigationsgerät versagt habe. Welch fatales Zeichen nach innen. Und überhaupt, der Bild-Chef kann ja immer noch seinen bewährten Schleudersitz nutzen: Er habe nur Aufmerksamkeit erzeugen wollen.
Das wird ihm zumindest immer zugute gehalten. Stets verbunden mit dem Hinweis, dass der Diekmann ja eigentlich viel klüger sei und das ganze Diffamierende deswegen gar nicht ernst meine. Aber: Was soll diese Inschutznahme? Warum wird er nicht an dem gemessen, was er raushaut?
Diekmann warf via Twitter dem FC St. Pauli vor, der AfD in die Hände zu spielen und dass am Millerntor #refugeesnotwelcome seien. Die Anschuldigungen sind so bescheuert, dass sie einer ernsthaften Erwiderung nicht würdig sind. Und deswegen verfingen sie auch nicht. Im Gegenteil: Der Hashtag #BILDnotwelcome brach sich bahn.
Also raste Diekmann weiter, immer weiter, und kramte einen alten Tweet aus, von irgendwem, der meinte, jedem das Auto abfackeln zu müssen, der sich solch einen „Wir helfen - #refugeeswelcome“-Aufkleber der Bild auf den Wagen pappte. „#BILDnotwelcome ...ist nicht wirklich neu!“, schrieb er dazu. Ergo: Wer gegen die Bild-Aktion ist, schmort im selben Topf wie die rechten Hetzer gegen Flüchtlinge.
Und er twitterte und twitterte: St. Pauli dürfe natürlich gern weiter seine Fanartikel über den Bild-Shop vertreiben. Mit „Hach, ich mag all‘ diese kultivierten feingeistigen Fans des FC St. Pauli wirklich irgendwie!“ kommentierte er die niveauärmsten Repliquen auf seine Tweets. Er schlug dem Klub einen Alternativvorschlag für das „Wir helfen“-Emblem mit HSV-Raute statt mit Bild-Logo vor. Und. So. Weiter. Es ist ein Strategiemix aus vermeintlicher Ironie, Zu-Tode-Labern und immer neuen Provokationen. Irgendwann geben selbst die hargesottensten Widersacher klein bei.
Und Diekmann kann sich stets sicher sein, dass irgendwann die Claqueure aus ihren Kämmerchen kommen und ihrem Web-2.0-Vorbild huldigen werden; die messerscharf erkannt haben, wie ironisch das doch alles gemeint sei; die ihn dafür feiern, wie toll er doch wieder einen Buzz erzeugt habe. Und wenn nicht, dann übernimmt Diekmann eben auch das: „...das habe ich ja wieder einmal wunderbar hingekriegt! #shitstorm“, schrieb er am Donnerstag und postete dazu ein Foto mit ausgedruckten Artikeln über seinen Streit mit dem FC St. Pauli.
Ironisch brechen kann man am Ende halt jeden Schwachsinn. Besser oder sinnvoller macht es ihn aber nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Spaniens Staatschef im Nahkampf
Ein König mit Cojones
Regierungskrise der Ampel
Schmeißt Lindner hin oder Scholz ihn raus?
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala