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An Renitenz Weltniveau

Widerstandsgeist In der Rockgeschichte der DDR haben Renft einen besonderen Platz: So gut war die Band, dass sie vor 40 Jahren von der Staatsmacht einfach aufgelöst wurde

von Thomas Winkler

Der Leipziger Ableger des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland widmet sich, so die Selbstdarstellung, der „Geschichte von Diktatur, Widerstand und Zivilcourage in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR“. Auf den insgesamt 2.000 Quadratmetern der Dauerausstellung des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig sind ein sechssitziger Kinderwagen, der in staatlichen Krippen zum Einsatz kam, zu sehen, Abhörgerätschaften der Staatssicherheit, der Nachbau eines Zimmers im Notaufnahmelager Marienfelde – und auch der E-Bass von Klaus Renft.

Renft, dieser Name hat dort, wo einmal die DDR war, immer noch einen besonderen Klang. Klaus Renft, der eigentlich ­Jentzsch hieß, war Bassist der Rockband, der er seinen Namen gab, ihr Leiter und ihre einzige Konstante.

Er war dabei, als sie 1958 als Klaus Renft Combo in Leipzig gegründet wurde, als sie 1962 zum ersten Mal wegen „Verbreitung amerikanischer Unkultur“ mit einem Auftrittsverbot belegt und dann wieder erlaubt wurde. Er war dabei, als sie so ausdauernd noch die allerletzte Dorftanzveranstaltung unterhielt, bis sie sich schließlich eine die ganze DDR umspannende Fangemeinde erspielt hatte. Er war dabei, als sie sich nur noch schlicht Renft nannte, als sie ihre beiden einzigen Platten in der DDR veröffentlichte, sogar in sozialistischen Bruderstaaten auftreten durfte. Aber auch, als sie begann, zusehends die Wirklichkeit im Arbeiter-und-Bauern-Staat abzubilden und dafür noch mehr Zuspruch bekam und immer mehr Probleme mit den Behörden. Er war dabei, als der Rat des Bezirkes Leipzig am 22. September 1975 per Schreiben „die Tanzmusikformation Klaus-Renft-Combo als aufgelöst“ erklärte.

Auf schmalem Weg

Nun, da sich die vermutlich weltweit einzigartige, staatlich verordnete Auflösung einer Rockband zum 40. Mal jährt, kann man noch einmal eintauchen in die wechselvolle Geschichte der Band, die sich wie keine andere an der DDR gerieben hat und dafür bis heute nahezu abgöttisch verehrt wird. Das sich traditionell um die Aufarbeitung der DDR-Popkultur bemühende Label Buschfunk hat eine CD-Box herausgebracht, in der das – vor allem angesichts ihrer Bedeutung – nicht eben üppige Gesamtwerk der Band versammelt ist. Als Dreingabe gibt es eine DVD mit Fernsehdokumenten von Renft. In einem Beitrag erläutern die Fans, was Renft einmalig macht: „Die sprechen so wie wir“, sagt eine junge Frau. In einem anderen Film muss sich die Band selbst erklären: „Wir machen keine Schlagermusik, wir machen keine Singebewegung“, sagt Klaus Renft. Und: „Es ist ein sehr schmaler Weg, den wir gehen.“

Renft ganz kompakt

Das für diesen Sonntag ­geplante „Liedervereinigung“-Konzert zu 25 Jahren deutsche Einheit mit Renft und Ton Steine Scherben im Kesselhaus der Kulturbrauerei wurde samt Tour abgesagt.

Renft zum Hören: komplett auf vier CDs plus DVD mit der „Renft-Box“ (Sechzehnzehn/ Buschfunk). Renft zum Lesen: die jetzt bei Buschfunk erschienenen Tagebücher von Klaus Renft „Die Bewaffnung der Nachtigall“. 232 Seiten, 16,95 Euro

Wie schmal dieser Weg immer war, wird anschaulich, wenn man die Tagebücher des Bandgründers liest, die unter dem Titel „Die Bewaffnung der Nachtigall“ nun erschienen sind. Renft schrieb keine Musik, auch keine Texte für seine Combo, das übernahmen Kurt Demmler, der später für die Hälfte aller DDR-Rockbands textete, Gitarrist und Sänger Peter „Cäsar“ Gläser, Keyboarder Christian „Kuno“ Kunert, Multiinstrumentalist Peter „Pijotr“ Kschentz oder Sänger Thomas „Monster“ Schoppe. Notorisch wurden die Auseinandersetzungen mit der Zensur, als der beständig am Rande des Auftrittsverbots entlang schram­mende, regimekritische Liedermacher Gerulf Pannach Mitglied der Band wurde.

Als Bassist hielt Klaus Renft nicht nur den Sound zusammen, als Organisator und guter Geist musste er zudem zwischen den vielen starken Charakteren der immer wieder wechselnden Besetzungen moderieren. Wie anstrengend das war, mitunter ebenso aufreibend wie die ständigen Auseinandersetzungen mit den Staatsorganen, das kann man nachlesen in seinen Tagebüchern.

Dort wird allerdings nur bedingt lebendig, wie ein paar Musiker, die doch nur einfach Blues­rock spielen wollten und nicht eben blind durch ihre Wirklichkeit spazierten, zu kultisch verehrten Volkstribunen werden konnten. Tatsächlich konnte in der kleinen, engen, reglementierten DDR eine Rockband eine ganz andere Sprengkraft entwickeln als im Westen. Das gelang Renft vor allem, weil die wechselnden Texter der Band eins gemeinsam hatten: Aus dem metaphorischen Umgang mit Sex, den sie aus den US-amerikanischen Blues-Originalen gelernt hatten, entwickelten sie jenes virtuose Schreiben zwischen den Zeilen, das zum festen Bestandteil der DDR-Rockmusik werden sollte. Renft stehen am Anfang der real existierenden Songlyrik, in der die Wirklichkeit nicht benannt, sondern in poetischen Bildern paraphrasiert wird. Wenn Schoppe in „Als ich ein Vogel war“ singt „Irgendwann will jedermann raus aus seiner Haut/ Irgendwann denkt er dran, wenn auch nicht laut“, dachte jeder zwischen Rostock und Zittau an die fehlende Reisefreiheit.

Weg in den Westen

Doch als vor allem Pannach immer konkreter wurde und etwa in der „Rockballade vom kleinen Otto“ vollkommen unverschlüsselt eine gescheiterte Republikflucht thematisierte, war es mit der Geduld der staatlichen Organe endgültig vorbei. Nach der Zwangsauflösung und gescheiterten Versuchen, diese wieder aufheben zu lassen, ging Klaus Renft im Mai 1976 in den Westen. Schoppe folgte ihm zwei Jahre später. Pannach und Ku­nert saßen neun Monate in Haft und wurden 1977 ausgebürgert.

Gläser und Schlagzeuger Jochen Hohl gründeten Karussell, die als Nachfolgeband von Renft einen Teil von deren Repertoire und Fanbasis übernahmen, aber auch deren Probleme erbten. Gläser stieg 1983 bei Karussell aus, blieb aber aktiv, bis auch er ein halbes Jahr vor dem Mauerfall ausgebürgert wurde.

Irgendwann lebten nahezu alle wichtigen Bandmitglieder im eingemauerten Westberlin, wie so viele gewesenen DDR-Bürger hatte es sie in die Nähe der alten Heimat gezogen. Zusammen fand die Band trotzdem erst 1990 wieder, zerfiel aber schnell erneut an denselben internen Reibereien, die sie schon in der DDR plagten. Es folgten unappetitliche Streitereien um die Namensrechte, aber auch immer wieder neue Versuche, in wechselnden Besetzungen an alte Zeiten anzuknüpfen. 1998 starb Pannach, 2005 Kschentz, ein Jahr später Klaus Renft und 2008 auch Gläser. Mittlerweile ist Schoppe mit neuen Musikern unter dem Namen Renft unterwegs.

Eine große, gemeinsame Tournee mit Ton Steine Scherben musste vor wenigen Wochen aber abgesagt werden. Zu wenige Menschen wollten die alt gewordenen Reste der beiden Bands sehen, die in den beiden Teilen des geteilten Deutschlands eine jeweils originäre, aber doch vergleichbare Rolle gespielt hatten. Aber dass ausgerechnet seine Combo nicht von der allgemein grassierenden Ostalgie profitiert, das hätte Klaus Renft vermutlich gut gefallen.

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