piwik no script img

Kriminologe über Stadionverbote für Fans„Viele sind nicht dauerhaft kriminell“

Kriminologe Feltes fand heraus, dass 70 Prozent der mit einem Stadionverbot belegten Fans vorbestraft sind. Er warnt vor pauschalen Verurteilungen ganzer Gruppen.

Klare Botschaft Foto: dpa
Christian Rath
Interview von Christian Rath

taz: Herr Feltes, Sie haben Stadionverbote untersucht, die gegen deutsche Fußballfans verhängt wurden. Wie viele Fans sind betroffen?

Thomas Feltes: Wir haben alle Stadionverbote ausgewertet, die im März 2012 bestanden. Damals waren es rund 2.700. Wann wird ein Stadionverbot verhängt?

Anlass ist in der Regel, dass die Polizei ein Ermittlungsverfahren gegen einen Fußballfan einleitet, der vor, während oder nach einem Spiel auffällig wurde. Ob die Ermittlungen auch zu einer Verurteilung führen, spielt dabei keine Rolle. Die häufigsten Delikte sind Körperverletzungen, Besitz von Pyrotechnik und Sachbeschädigungen.

Welche Fans sind am häufigsten betroffen?

Die meisten Stadionverbote wurden gegen Fans von Borussia Dortmund, Hansa Rostock und Eintracht Frankfurt verhängt. Sinnvoller ist es aber, die Zahl der Stadionverbote an den Zuschauerzahlen zu messen. Dann waren Rostock, Halle und Saarbrücken am häufigsten betroffen.

Wenn ich als Fan ein Stadionverbot bekomme, gilt das nur im heimischen Stadion?

Nein, Stadionverbote gelten bundesweit. Der betroffene Fan kann bei Auswärtsspielen also mitfahren, darf das Stadion aber nicht betreten. Es ist wohl das einzige Hausverbot, das auch an anderen Orten gilt. Die Vereine bekommen aber nur dann eine Ligalizenz, wenn sie die Stadionverbote anderer Vereine übernehmen.

Wie viele Fans mit Stadionverbot sind auch vorbestraft?

privat
Im Interview: 

64, ist Professor für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft an der Uni Bochum. Von 2010 bis Mitte 2012 saß er im Beirat der DFL, in dem externe Experten gemeinsam Themen wie Sicherheit und Fan­situa­tion analysieren sollten.

Laut unserer Auswertung des Bundeszentralregisters sind dort rund 70 Prozent der Stadionverbotler registriert.

Also treffen Stadionverbote schon die Richtigen – eine kriminelle Klientel?

Das mag so aussehen, aber unter den im Bundeszentralregister eingetragenen Sanktionen sind vornehmlich Geldstrafen und jugendrichterliche Maßnahmen. Nur gegen vier Prozent der Betroffenen wurde schon einmal eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung verhängt. Man muss auch bedenken, dass generell rund die Hälfte aller jungen Männer bis zum 25. Lebensjahr mindestens einmal strafrechtlich sanktioniert wird, ohne dauerhaft kriminell zu werden. Außerdem ist bei Fußballfans der Kontrolldruck besonders hoch. Sie fallen auf, sie exponieren sich, also werden sie auch häufiger von Polizisten und Ordnungskräften kontrolliert.

Aufgrund welcher Delikte sind die Stadionverbotler vorbestraft?

Foto: taz.Grafik: infotext-berlin.de/P.Sobotta

Da gibt es die ganze Bandbreite, vom Schwarzfahren und der Beleidigung bis zu schweren Straftaten wie Vergewaltigung. Meist ging es aber um leichtere Vergehen; den größten Anteil machen mit rund 40 Prozent Körperverletzungsdelikte aus.

Wie alt sind die Fans, die nicht mehr ins Stadion dürfen?

Zwei Drittel sind unter 30, das Durchschnittsalter ist 29 Jahre.

Geht es also vor allem um jugendtypische Verfehlungen?

Das dachten wir anfangs auch. Es gibt bei den Stadionverboten aber wohl zwei Gruppen. Zum einen jüngere Fans, die wegen überwiegend jugendspezifischer Delikte vorbestraft sind, etwa wegen Drogensachen und dann auch beim Fußball auffallen. Hier besteht die Erwartung, dass dies aufhört, wenn sie „erwachsen“ werden. Daneben gibt es aber immerhin ein Drittel Personen, die mindestens 30 Jahre alt sind und in diesem Alter immer noch Straftaten begangen haben.

Bisher haben Sie vor stigmatisierenden Maßnahmen gegen Fußballfans gewarnt, wollten nicht verallgemeinern. Müssen Sie umdenken?

Ich bleibe dabei: Viele Fans, gegen die ein Stadionverbot verhängt wurde, sind nicht dauerhaft kriminell. Das Stadionverbot kann aber dazu beitragen, dass jemand in die kriminelle Ecke gestellt wird. Es muss daher mit Bedacht angewendet werden und pauschale Verbote gegen ganze Gruppen von Fans sind eher dysfunktional.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Die meisten Mörder sind auch nicht dauerhaft kriminell, die Rückfallquote liegt bei unter ein Prozent. Dies kann also nicht immer Argument sein. Ebenso wenig überzeugt mich die Feststellung, es würde sich vielfach um Geldstrafen und jugendgerichtliche Maßnahmen handeln. Vielleicht muss man Jurist sein, um zu wissen, wie schwierig es ist, eine aus einer Gruppe heraus begangene Straftat juristisch aufzuarbeiten. Da muss genau bewiesen werden, welcher Beschuldigte welche einzelne Verletzung verursacht hat und es muss ausgeschlossen werden (beliebtes Argument der Verteidigung), dass nicht vielleicht doch ein weiteres Gruppenmitglied den Böller gezündet haben könnte (Konjuktiv ist des Anwalts bester Freund). Geradezu absurd finde ich den Vergleich mit der Gesamtheit aller Jugendlichen. Schwarzfahren und Verkehrsdelikte haben hier zumeist eine etwas andere Dimension, als die oftmals mit roher Gewalt ausgeführten Stadiondelikte. Ich für meinen Teil will solche Leute nicht im Stadion haben und schon gar nicht italienische Verhältnisse, wo kein Familienvater mehr auf die Idee kommt, seine Kinder mit ins Stadion zu nehmen. Da nehme ich lieber in kauf, dass auch mal ein kleiner Fisch zu hoch gehängt wird. Der kann dann ja immer noch im Regionalligabereich weiter randalieren...

    • @Cerberus:

      Die Chance, als "Familienvater" oder auch nur sonst Unbeteiligter beim Fußb all veretzt zu werden ist um ein vilfaches niedriger als an anderen Orten (z.B. zuhause!). Die Gewalt in und um die Stadien spielt sich fast ausschl. zwischen den Fans und zwischen Fans und Polizei ab. Wenn Sie Details interessieren schicke ich Ihnen gerne den Aufsatz zu der Studie zu. thomas.feltes@rub.de

    • @Cerberus:

      "Vielleicht muss man Jurist sein, um zu wissen, wie schwierig es ist, eine aus einer Gruppe heraus begangene Straftat juristisch aufzuarbeiten."

       

      Ich hoffe, dass Sie nicht Jurist sind, mit Ihrer Ansicht, man solle Unschuldige bestrafen, wenn man nicht weiß, wer Schuld hat - und weil man ja so Schuldige und Unschuldige-werden-schon-irgendwas-gemacht-haben zu Ihrem Wohlgefühl vom Stadion fernhalten kann.