Abtreibungsgegner erstarken: Von Beruf Mutter
In Deutschland gehen christliche Abtreibungsgegner immer öfter auf die Straße. Sie missionieren mit erzkatholischen Argumenten: Ein Selbstbestimmungsrecht der Frauen akzeptieren sie nicht.
In Deutschland erstarken die Abtreibungsgegner und überziehen Deutschland mit Demonstrationen. Dabei schüren sie Angst mit zweifelhaften Zahlen "Aus Sicherheitsgründen werden keine Kreuze ausgegeben." Nach diesem Satz jubeln die jungen Frauen und Männern am vergangenen Samstag auf dem übervollen Münchner Marienplatz.
Ihr Plan, unter den Augen der Polizei den Kreuzmarsch der christlichen Abtreibungsgegner mit bunten Perücken und Parolen wie "Hätte Maria euch abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben" zu stören, ist aufgegangen. 1000 weiße Holzkreuze sollten von Betenden durch die Innenstadt getragen werden, um an 1000 Kinderleichen zu erinnern. Kinder, die, so Wolfgang Hering, 52, Präsident des Vereins "Helfer für Gottes kostbare Kinder" und Mitinitiator dieser Anti-Abtreibungskampagne, "vorgeburtlich getötet werden".
Für sie geht der bekennende Christ regelmäßig auf die Straße: Betreibt unaufgeforderte Gehsteigberatung vor Abtreibungskliniken und trägt Holzkreuze beim Gebet. 1000 Kreuze für 1000 Schwangerschaftsabbrüche täglich - mehr als doppelt so viele wie die über das Statistische Bundesamt gemeldeten Aborte. Dahinter stecke eine Dunkelziffer, so die Pro-Life-Vereinssite, da nur jede zweite Abtreibung gemeldet werde.
"Die Zahl ist erfunden", sagt Simone Kraft, Pressesprecherin des Antisexistischen Aktionsbündnis München und Mitinitiatorin der Gegen-Kundgebung am Münchner Geschwister-Scholl-Platz unter dem Motto "My Body My Choice". Das christliche Pro-Life-Denken ist nicht die Ansicht aller. Bereits im Vorfeld des Gebetsmarsches gab es Proteste. Unbekannte schrieben "Mist Christ" an die Mauer zur Hofeinfahrt zum Kostbare-Kinder-Vereinsladen im Münchner Westend und warfen die Schaufenster des Ladens mit Steinen ein. Rechtsextreme Gruppierungen wie die Freien Nationalisten München haben die Abtreibungsdebatte als Möglichkeit erkannt, Sympathien zu gewinnen und propagierten online die Teilnahme am Kreuzmarsch.
Die Christen änderten deshalb ihre Marschroute, da sie, so Hering, von Rechten nicht instrumentalisiert werden wollen. Nachdem in Berlin am 21. September bereits gegen den Schwangerschaftsabbruch marschiert wurde, wurde der Münchner Gebetsmarsch flankiert von einer dreitätigen internationalen Kundgebung zum 40. Geburtstag der "Humanae Vitae", der Enzyklika von Papst Paul VI. Dieses Werk bekräftigt die erzkatholische Meinung, dass Ehe und somit auch Geschlechtsverkehr auf Zeugung und Erziehung von Kindern ausgerichtet seien.
Die Frage nach dem Selbstbestimmungsrecht von Frauen hat da natürlich keinen Platz. Schwangerschaftsabbruch nach einer Gewalttat wird ebenso wie die Bedeutung der medizinischen Indikation als verwerflich geächtet. So sieht es auch Wolfgang Hering: Abtreibung sei Tötung und sollte bestraft werden: "Ein Hausbesitzer kann einen unliebsamen Mieter auch nicht einfach erschießen. Er muss ihm kündigen, fristgerecht. Ebenso ist es mit einem ungeborenen Kind. Dem kann auch gekündigt' werden." Einen neuen Mieter fände das Kind dann ganz einfach über Adoption. Dieses fundamentalistische Weltbild betrachtet alle Frauen als potentielle Mütter - "eine Frau, die kinderlos bleiben möchte, ist dabei nicht vorgesehen", kritisiert eine Rednerin des Antisexistischen Aktionsbündnisses auf dem "My Body My Choice"-Podium.
Knapp 100 Interessierte lauschen ihren Sätzen, während sich drei junge Männer in übergroßen pinkfarbigen Kondomen unter die Menge mischen. Neben der Forderung nach Frauenrecht wird die latente Homosexuellen-Antipathie der Abtreibungsgegner beanstandet - eine Beziehungsform, die dem erzkatholischen Ideal mehr als widerspricht. Nicht Frauen als Individuen tragen die Alleinschuld an den immer noch über 120.000 Schwangerschaftsabbrüchen pro Jahr in Deutschland tragen, sondern zum großen Teil gesellschaftliche Strukturen. Meldungen der jüngsten Vergangenheit wie der Einsatz von Schwangerschaftstests bei Bewerbungsgesprächen oder die immer noch sehr hohe Zahl an Teenager-Schwangerschaften zeigen, dass das Thema Geburtenkontrolle auch in der gesellschaftlichen Mitte diskutiert werden muss.
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