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Debatte Boykottaufruf von Naomi KleinDie dritte Kraft

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Wer wie Naomi Klein einen Boykott gegen Israel fordert, ist noch lange kein Antisemit. Dass sie damit in Deutschland auf den schärfsten Widerspruch stößt, lässt tief blicken.

N aomi Klein hat Erfahrung damit, wegen ihrer Meinung zu Israel angefeindet zu werden. Als sie noch in Toronto aufs College ging, schrieb sie in einer Zeitung der Hochschule einen Artikel, der die israelische Besatzungspolitik kritisierte. Dafür erntete sie böse Briefe und sogar Bombendrohungen, und der stramm zionistisch orientierte jüdische Studentenverband der Universität berief ein Treffen ein, um zu beratschlagen, wie er auf den Artikel reagieren sollte. Da keiner der Anwesenden wusste, wer sie war, mischte sich Naomi Klein einfach unter das Publikum. Nach einer Stunde erregter Debatte, in der ihr eine Sitznachbarin den Tod gewünscht hatte, stand sie auf und outete sich als Verfasserin des umstrittenen Beitrags. Das Schweigen im Saal danach sei unbeschreiblich gewesen, erinnerte sie sich noch viel später, und beschreibt diese Erfahrung als eine Art Initiationserlebnis. "Ich war damals 19, und es hat mich stark gemacht".

Bild: taz

Daniel Bax, 38, ist Redakteur im Meinungsressort der taz

Sie hätte wohl kaum zu träumen gewagt, auch in Deutschland eines Tages einmal aus ähnlichen Gründen an den Pranger gestellt zu werden. Doch nachdem sie im Januar im britischen Guardian zu einer Boykottkampagne gegen Israel aufgerufen hatte, wurde ihr daraufhin in der Zeit und der taz Antisemitismus vorgeworfen und ihr Guardian-Aufruf auf eine Stufe mit der Nazi-Parole "Kauft nicht bei Juden" gestellt. Aber was genau hatte Naomi Klein geschrieben? Sie hatte behauptet, dass nur internationaler Druck Israel dazu bewegen könne, die Besatzung zu beenden und einen Frieden mit den Palästinensern zu suchen. Und sie hatte in bester Aktivistenmanier argumentiert, dass ein Boykott nach dem Muster der Sanktionen gegen Südafrika, die zum Fall des Apartheidsregimes beigetragen hätten, dafür ein brauchbares Mittel sei.

Nun lässt sich dagegen einiges einwenden: dass die Situation in Israel eine andere ist als in Südafrika, zum Beispiel, weil niemand im Ernst die Legitimität der israelischen Regierung in Frage stellt. Oder, dass Sanktionen zumeist die Falschen treffen. Doch der reflexhafte Vorwurf des Antisemitismus dient nur dazu, von solchen Fragen abzulenken. Es ist schon erstaunlich, dass dieses Muster der Diffamierung, das man sonst nur von extrem rechten jüdischen oder neokonservativen Kreisen in den USA kennt, gerade in Deutschland so bereitwillig aufgegriffen wird. Im Fall von Naomi Klein trifft es definitiv die Falsche: Nicht, weil sie selbst Jüdin ist, sondern weil sie oft genug davor gewarnt hat, Antisemitismus zu bagatellisieren und das Bedürfnis vieler Linker kritisiert, sich in Konflikten auf eine, vermeintlich "richtige" Seite zu schlagen.

Es ist vermutlich genau dieses tief empfundene Bedürfnis, endlich einmal auf der "richtigen Seite" zu stehen, warum die Empathie während des Gazakriegs in vielen deutschen Medien recht ungleichmäßig verteilt zu sein schien. Zu Recht wird es hierzulande skandalisiert, wenn bei Demonstrationen gegen das Blutvergießen in Gaza antijüdische Parolen gerufen worden sein sollen. Aber warum war es ein Beinahe-Skandal, als Polizisten in Duisburg Anwohner dazu nötigten, eine israelische Fahne aus dem Fenster zu nehmen? Hätte es auch so viel Aufhebens gegeben, wenn es sich um eine russische Fahne gehandelt hätte - und bei den Demonstranten um Tschetschenen? Wohl kaum.

Für erstaunlich wenig Aufsehen sorgte dagegen, dass die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Lala Süsskind, ihre Ansprache auf der Solidarität-mit-Israel-Kundgebung mit einem zynischen Golda-Meir-Zitat beendete: "Wir können den Arabern nicht vergeben, dass sie uns zwingen, ihre Kinder zu töten" (die Rede ist auf der Webseite der Gemeinde dokumentiert). Was wäre wohl passiert, hätte sich ein Deutsch-Palästinenser ähnlich selbstgerecht über Israelis geäußert? Sicher ist es infam, wenn die israelischen Angriffe auf Gaza mit dem Holocaust verglichen werden, wie mancherorts auf Protestplakaten zu lesen war. Fragwürdig ist es aber auch, Irans Präsident Ahmadinedschad als neuen Hitler zu bezeichnen, der "den Judenmord der Zukunft" plane, wie jüngst im Berliner Tagesspiegel stand.

Dass Israels Außenministerin Tzipi Livni vor einer "Welle wachsenden Antisemitismus" warnte, als die Bombenangriffe auf Gaza noch im vollen Gange waren, erscheint darum überzogen. Doch dieser amtliche Alarmismus hat einen doppelten Sinn. Erstens soll er die Kritik an Israel kontern. Und zweitens sucht er, unter Juden in aller Welt die Reihen zu schließen, indem er deren latente Ängste schürt. Solche Empörungsroutinen dienen nur dazu, von eigener Verantwortung abzulenken - von der Blockade etwa, mit der Israel noch immer den Gazastreifen abriegelt.

Es ist schon traurig genug, wenn manche Juden anderen Juden, die Israel nicht ganz so bedingungslos unterstützen wie sie selbst, "Antisemitismus" vorwerfen. Für Nichtjuden gibt es keinen Grund, bei diesem Spiel mitzumachen. Und wenn ausgerechnet deutsche Publizisten eine jüdische Globalisierungskritikerin darüber belehren wollen, was Antisemitismus ist, entbehrt das nicht eines gewissen Hautgouts. Ist das schon die Gnade der späten Geburt? Naomi Klein kann sich immerhin damit trösten, dass sie in guter Gesellschaft ist: Auch Jimmy Carter, Alfred Grosser oder Steven Spielberg (für seinen Film "München") wurden schon mal als Antisemiten bezeichnet.

Auf eine "dritte Kraft", die zwischen den Fronten vermittelt, hat Martin Altmeyer in der taz (23. 1.) seine Hoffnung gesetzt. Diese Kraft gibt es bereits. Das sind zum einen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch, Oxfam oder Medico International, die Israel vorwerfen, in Gaza unerlaubte Waffen eingesetzt und zu wenig getan zu haben, um Zivilisten zu schützen. Diese Kritik bedeutet nicht, sich auf die Seite der Hamas zu schlagen oder deren Verbrechen zu ignorieren. Auch eine Boykottkampagne gegen Israel zu fordern, wie es Naomi Klein gemacht hat, ist so legitim, wie für Sanktionen gegen den Iran, Kuba oder die Fidschi-Inseln einzutreten. Es wird aber so lange eine hilflose Geste bleiben, wie sie auf der Ebene internationaler Politik keinen Widerhall findet.

Es würde ja schon reichen, wenn Europa und die USA ihren Verbündeten im Nahen Osten nicht mehr ganz so vorbehaltlos unterstützen würden, wie sie das bisher tun. Erst im Dezember hat die Europäische Union ihr Assoziierungsabkommen mit Israel aufgewertet, um den gemeinsamen Handel anzukurbeln. Angela Merkel hat sich hinter die Angriffe auf den Gazastreifen gestellt, indem sie allein die Hamas für das Desaster verantwortlich machte. Und Deutschland liefert U-Boote an Israel, stellt sich aber in der EU quer, wenn es um eine unabhängige Untersuchung von mutmaßlichen Kriegsverbrechen während des Kriegs gegen Gaza geht. All das ist sicherlich nicht dazu angetan, in Jerusalem ein Umdenken zu fördern. Es müssen ja nicht gleich Sanktionen sein. Aber warum nicht die nächste Waffenlieferung an Israel an Bedingungen knüpfen: etwa, den Bau weiterer Siedlungen zu stoppen oder die Gazablockade zu lockern? DANIEL BAX

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”

26 Kommentare

 / 
  • B
    Boris

    Guter und richtiger Kommentar, Herr Bax!

     

    @ Pippi Langstrumpf:

    Hier die Einschätzung eines Mitglieds der SÜDAFRIKANISCHEN Wahrheitskommission und UN-Sonderberichterstatters:

     

    'South African law professor Prof. John Dugard, the special rapporteur for the United Nations on the situation of human rights in the Palestinian territories, has written in a report to the UN General Assembly that there is "an apartheid regime" in the territories "worse than the one that existed in South Africa.'

     

    http://www.haaretz.com/hasen/pages/ShArt.jhtml?itemNo=468456

     

    Wahrscheinlich auch ein Antisemit....

  • T
    t.s.

    > Der kleine, aber feine Unterschied ... dass die Schwarzen südafrikanische Staatsbürger waren und sich bis auf Ausnahmen in Form von Aufständen friedlich verhalten haben

     

    Es freut mich zu sehen, dass die Redaktion über eine humoristische Ader verfügt.

     

     

    > Alleine dieser Kommentar zeigt, wie antisemitische Komplexitätsreduktion funktioniert. Ich möchte zu bedenken geben, dass ersten die BewohnerInnen Israels nicht ausschließlich "weiß" und auch nicht ausschließlich Jüdinnen und Juden sind.

     

    Sie irren. Was Sie als 'antisemitische Komplexitätsreduktion' bezeichnen ist das israelische Credo - ein jüdischer Staat sein zu wollen - unbeachtlich der Rechte von Nichtjuden unter seiner Herrschaft. Die Hautfarbe ist bei dieser (!) Unterscheidung sekundär.

    Zustimmen darf ich Ihnen allerdings in dem Punkt, dass es auch innerhalb in der israelisch/jüdischen Gesellschaft einen virulenten Rassismus entlang der Hautfarbe gibt, bei dem europäische Juden ganz oben - äthiopische ganz unten stehen.

     

    MfG ts

  • T
    t.s.

    > Der kleine, aber feine Unterschied ... dass die Schwarzen südafrikanische Staatsbürger waren und sich bis auf Ausnahmen in Form von Aufständen friedlich verhalten haben

     

    Es freut mich zu sehen, dass die Redaktion über eine humoristische Ader verfügt.

     

     

    > Alleine dieser Kommentar zeigt, wie antisemitische Komplexitätsreduktion funktioniert. Ich möchte zu bedenken geben, dass ersten die BewohnerInnen Israels nicht ausschließlich "weiß" und auch nicht ausschließlich Jüdinnen und Juden sind.

     

    Sie irren. Was Sie als 'antisemitische Komplexitätsreduktion' bezeichnen ist das israelische Credo - ein jüdischer Staat zu sein - unbeachtlich der Rechte von Nichtjuden unter seiner Herrschaft. Die Hautfarbe ist bei dieser (!) Unterscheidung sekundär.

     

    MfG ts

  • A
    AntonW

    @ Aluf Stone, 04.02.2009 13:59 Uhr:

    Sie zitieren mich, haben aber ein Wort eingefügt, dass ich nicht benutzt habe. Sie sollten die Beiträge lesen, auf die Sie sich beziehen!

    Mein Beitrag vom 4.2. war geschrieben zu diesem immer wieder auftauchendem unsäglichem 'Antisemitsmus'-Vorwurf.

    Ist es für Sie ein 'Vernichtungskrieg', wenn ich dies im Zusammenhang mit dieser Diskussion zurückweise?

  • T
    Tigerin

    Es geht bei diesem "Spiel" nicht nur darum, "welcher Jude Antisemit ist". Interesant ist auch, wie schnell man in dieser 'Diskussion' mit welchen Argumenten plötzlich als 'Antisemit' bezeichnet wird.

    Kritik an Israel = Antisemitismus = Ende der Diskussion.

    So'n Quatsch, Israels Handeln in den Palästinenser'gebieten' (dazu zählt auch Gaza!)ist Politik. Und Politik muß kritisierbar sein dürfen. Ob es russische Politik, amerikanische, deutsche, oder eben israelische Politik ist.

    Und, ich erlaube mir anzumerken, Israels Besatzung (auch wieder: +Gaza!), seine Siedlungs- und Annektionspolitik widerspricht dem Völkerrecht (@ Aluf Stone: von wegen Regeln des Völkerrechts). Nur, falls das jemanden von denen, die so schnell mit dem Totschlagwort A. zur Hand sind, interessiert.

    Und von denen habe ich noch nie hier gelesen, dass sie als 'Friedenstiftende' Maßnahme für einen Rückzug Israels in seine Grenzen von 1967 plädieren.

  • AS
    Aluf Stone

    @t.s.: Noch ein kurzer Nachtrag. Die liberalen und progressiven Kräfte boykottieren wohl nicht, weil sie eher auf Seiten der Demokratie stehen. Zumindest war das mal so...

  • AS
    Aluf Stone

    @t.s.: Der kleine, aber feine Unterschied zwischen der schwarzen (oder wie Sie es nennen: nichtweißen) Bevölkerung des Apartheidstaates Südafrika und den Palästinensern ist, dass die Schwarzen südafrikanische Staatsbürger waren und sich bis auf Ausnahmen in Form von Aufständen friedlich verhalten haben, was an ihrer Unterdrückung nichts geändert hat. Schließlich wurde der Wechsel in Südafrika uach nicht durch Mord erreicht. Die Palästinenser hingegen sind keine Israelis und waren, auch schon vor der Staatsgründung Israels, immer ganz vorne mit dabei, wenn es darum ging jüdsche Siedler bzw. Israelis zu töten. Israelis mit arabischem Hintergrund wiederum sind wohl unstreitig die Araber mit den meisten demokratischen Rechten im ganzen Nahen Osten. Zudem bekamen Palästinenser auch schon vor israelischen Gerichten Recht, wenn sie denn den Rechtsweg beschritten haben, Stichwort Änderung des Grenzzaunes. Man könnte dei Sache also auch friedlich lösen. Wohin hingegen der einseitige Rückzug der Israelis aus dem Gazastreifen mit permanentem Raketenbeschuss und Suizidbombern quittiert wurde.

    Ich finde es daher etwas fragwürdig aufgrund dieses hinkenden Vergleichs der israelischen Regierung ihre Legitimation abzusprechen, wenn sie versucht ihre Bürger zu schützen.

  • R
    Renegade

    Danke taz, das ist wirklich ein toller Artikel.

     

    Die Leute, die hier immernoch alle, die nicht gleich bei der ersten Bombe klatschen, als Antisemiten darstellen, können einem Leid tun.

     

    Aber es ist doch schön, dass die taz so weit aufgestellt ist, dass sie hier jeder vom "pseudo-linken Antisemiten" bis zum bedingungslos israeltreuen Ultra-Zionisten liest.

  • I
    Ich

    @anna.radack

     

    Das ist keine logisch stringente Schlussfolgerung.

    Erstens vermengen Sie rassistisch-ideologische, religiöse und politische Kategorien. Wenn es Ihnen um die politische Legitimation der israelischen Regierung geht, dann können Sie hier höchstens von Anti-Israelismus sprechen aber weder von Antisemitismus (rassistisch-ideologisch und damit eh sinnfrei) noch von Antijudaismus (religiös). Die ganze Argumentationsstruktur, die sich auf politische Legitimation in Wahlen beruft, scheint mir aber nicht sehr sinnvoll, weil es politische Institution, Gesellschaft und Bevölkerung über einen Kamm schert.

     

    Und damit sind wir bei:

    Zweitens ist die Folgerung von der politischen Legitimation einer Regierung durch Wahlen auf die bedingungslose und allgemeine Zustimmung zum operativen Geschäft dieser Regierung durch eine Bevölkerung insofern dubios, als sie beispielsweise auch jedem Deutschen die Zustimmung für alles politische Tun unserer Regierung unterstellen würde. Das meinen Sie doch hoffentlich nicht ernst! Politische Legitimation einer Regierung in Wahlen durch einen gleichwie hohen Anteil der Bevölkerung begründet keine Gesamthaftung aller Mitglieder dieser Bevölkerung für das Tun dieser Regierung.

     

    Und weil politische Institution, Gesellschaft und Religion nun einmal unterschiedliche Kategorien sind, kann eine Kritik am operativen politischen Tun einer Regierung niemals mit dem Etikett eines pauschalen Anti-Ismus abgetan werden. Da sollte man sich schon mehr Mühe mit seinen Begriffen und Argumenten geben. Wenn eine Regierung politische Verbrechen begeht (so wie die Regierung Israels das tut), dann kann man darüber diskutieren und dies kritisieren, ohne dass man die Gesellschaft Israels oder die Glaubensgemeinschaft der Juden als jeweils Ganzes treffen muss. Wer sich getroffen fühlt, unterstützt offenbar das aktuelle politische Tun der Regierung und muss sich nicht hinter Wahlergebnissen verstecken, sondern sollte sich fragen lassen, wie er oder sie glaubt die berechnende und gezielte Zerstörung eines Gemeinwesens durch Mord an zufällig getroffenen Bürgern vermittelst international geächtete Waffen rechtfertigen zu können.

  • PL
    Pippi Langstrumpf

    "Südafrikas Machthaber haben Nichtweissen keine - bzw. nur abgestufte Rechte zugestanden - um eine Herrschaft durch Weisse abzusichern.

    Analog verfährt Israel."

     

    Alleine dieser Kommentar zeigt, wie antisemitische Komplexitätsreduktion funktioniert. Ich möchte zu bedenken geben, dass ersten die BewohnerInnen Israels nicht ausschließlich "weiß" und auch nicht ausschließlich Jüdinnen und Juden sind. Alleine diese Annahme ist so dermaßen ungeheuerlich, dass sie nicht weiter kommentiert zu werden braucht.

     

    Genauso verhält es sich mit dem Vorwurf der "Propagandakampagnen" der Menschen, die Antisemitismus thematisieren und entgegentreten. Niemand will hier irgendjemanden "einschüchtern", es geht lediglich um eine offene Auseinandersetzung. Sonst müsste ich von dem Wort Propagandakampagne ja auch eingeschüchtert sein.

     

    Ich finde an dieser Diskussion ist deutlich geworden, dass zwar nicht jede Kritik an Israels Politik antisemitisch ist. Das behauptet niemand außer denjenigen, die sich vom Vorwurf des Antisemitismus ertappt fühlen. Wie ich finde zu recht, wenn mensch sich die Beiträge anschaut.

  • CR
    christine rölke-sommer

    In diesem Zusammenhang muss ich an Jeshajahu Leibowitz denken, der (nachzulesen unter der Adresse: http://juedische.rundschau.ch/showart.asp?ID=878 ) der den Sechs-Tage-Krieg als eine historische Katastrophe bezeichnete und für den Fall, dass es nicht zu einer Zwei-Staaten-Lösung und einem Rückzug Israels auf eher mehr als weniger die ‚green line’ komme, lange vor Oslo und den darauf folgenden Friedensinitiativen folgendes prognostizierte: „Praktisch wird dieser Zustand zu einem Krieg auf Leben und Tod zwischen Israel und der arabischen Welt führen“.

     

    Nun, diesen Zustand haben wir. Und in diesem Zustand finden sich immer noch und immer wieder Stimmen, wie schalom5767, aber auch wie das International Solidarity Movement, die auf unbewaffneten Widerstand vor Ort aber auch von anderen Orten aus und von unten setzen.

    Solche Initiativen haben immer einen Schönheitsfehler, vielleicht auch zwei, drei. Sie haben selten eine großen Namen auf der Position des Anführers zu bieten, positionieren sich aber unweigerlich quer/queer zum mainstream, welcher in hie Antisemiten und dort das Existenzrecht des Staates Israel unterscheidet. Sie negieren nicht, dass es tatsächlich um Leben oder Tod geht, sondern machen deutlich, dass das Leben der einen nicht der Tod der anderen sein kann. Sie suchen nach gemeinsamen Wegen und nach einer Praxis der gemeinsamen Wege. Und sie schlagen andere, aber bereits beschrittene/teilweise erprobte, Wege vor … wie Naomi Klein in ihrem Boykottaufruf.

     

    Diese Ansätze – und mir scheint, wir vergessen das zu schnell – hat es immer gegeben. Sei es in Form kritischer Kommentare wie die des Achad Ha’am, sei es in Form des Brith Schalom (zu dem beispielsweise unter http://imgespraech.buber-gesellschaft.de/hefte/11/wolf.pdf etwas mehr nachzulesen ist), sei es in Form von Neve Shalom, das sich ( unter http://nswas.org/spip.php?article866 nachzulesen), sehr eindeutig zum Krieg in Gaza geäußert hat – und zur Fortsetzung seiner eigentlichen Arbeit Geld benötigt.

     

    Vielleicht würde es uns helfen, uns noch mehr in Erinnerung zu rufen. Beispielsweise Einzelheiten aus der Geschichte des Boykotts gegen Südafrika. Hier eine nachzulesen in einem Artikel aus dem Jahr 1963! aus dem Archiv der ZEIT: http://www.zeit.de/1963/33/Boykott-gegen-Suedafrika . Diese zeigt uns, dass es nicht darum ging, „kauft nicht beim Südafrikaner/Juden“ salonfähig zu machen, sondern Staaten als einzelne wie als Gemeinschaft dazu zu bewegen, ihre Politik zu verändern. Natürlich gab es damals auch Stimmen, die sagten: „Aber wenn wir nichts mehr aus Südafrika kaufen, dann verlieren doch die Schwarzen ihre Lebensgrundlage“ – und diese Stimmen hatten nicht ganz unrecht. Aber wie das Beispiel aus dem ZEIT-Archiv zeigt, ging es darum, über den Boykott-Aufruf auf anderen Ebenen Politik zu verändern. Nämlich da: keine Waffenlieferungen, kein Technologie-Transfer, keine Bankverbindungen, keine Kredite, keine Bürgschaften … verbunden mit der Suche danach, wie alternative Projekte unterstützt werden können. Naomi Klein hat dies in ihrem Aufruf, den es sich allemal in Gänze zu lesen lohnt, an einem Beispiel erklärt.

    Und: Naomi Klein ist mit ihrem Rückgriff auf den Boykott gegen Südafrika nicht allein. In Israel selbst gibt es Stimmen wie diese: http://www.soal.ch/apartheidstaat-israel-was-kann-israel-von-suedafrika-lernen oder auch diese: http://zmag.de/artikel/Akademischer-Boykott-Unterstuetzung-fuer-Paris-VI , einen Aufruf aus Israel zum Boykott israelischer wissenschaftlicher Institutionen . Wir sollten versuchen, auf diese Stimmen genauer zu hören, um jenseits der Frontlinie Antisemitismus./. Existenzrecht von bewaffneter Gewalt freie Ideen zu erkennen, zu unterstützen oder selbst zu entwickeln.

  • TN
    Thomas Nauerth

    Eine Alternative wäre nur die Siedlungen zu boykottieren, israelische NGOs haben dazu schon gewaltig vorgearbeitet; es gibt jetzt eine prima

    Webseite (über die die deutsche Presse auch einmal berichten könnte): www.whoprofits.org

  • C
    coco

    I applaud this article. Thank you taz for being so brave.

     

    Here is a question and answer period with Norman Fiinkelstein (a former student of Noam Chomsky's)

    http://www.youtube.com/watch?v=jkOrc1zySmQ&feature=related

  • A
    anna.radack

    Der israelische Staat ist eine Demokratie, die einzige im Nahen Osten wohlgemerkt, und schon aus diesem Grund allen anderen Diktaturen islamischer Prägung ein Dorn im Auge. Da Israel eine Demokratie ist, ist seine Regierung vom jüdischen Volk gewählt worden. Die Handlungen dieser Regierung haben demzufolge das Placet ihrer jüdischen Bevölkerung. Alle Schmähungen und aller Hass, die heute dem Staat Israel entgegenschlagen, sind zugleich Hass und Schmähungen dem Wähler gegenüber, dem jüdischen Bürger Israels. Und das ist Judenhass (Nicht Antisemitismus, denn Semiten sind sie dort alle).

  • US
    ute selb

    NO COMMENT!

    04.02.09

    JERUSALEM ap/dpa/ots Nach einem neuerlichen Raketenangriff aus dem Gazastreifen haben sich die Spannungen in der Region weiter verschärft. Bei dem Angriff auf Aschkelon wurde am Dienstagmorgen erstmals eine Grad-Rakete mit größerer Reichweite eingesetzt. In der 122.000-Einwohner-Stadt wurde niemand verletzt.

  • E
    erna

    @t.s

    sehe das genau wie sie - besonders interessant finde ich, dass sowohl der afrikaaner nationalismus als auch auch der zionismus ihre ideologischen wurzeln im deutschen kulturnationalismus haben - das habe ich zumindest mal bei john sharp gelesen.

     

    am sonntag werden dockarbeiter in durban ein israelisches schiff aus protest nicht entladen - schreibt zumindest der Mail&Guardian

    http://www.mg.co.za/article/2009-02-03-dock-workers-to-boycott-israeli-ship

  • AS
    Aluf Stone

    @AntonW: ich finde Ihre Erwiderung so plump wie unverschämt. So nämlich empfinde ich diese unselige Totschlagkeule namens 'Vernichtungskrieg'.

    Vielleicht sollten Sie einfach über Ihre Meinung reflektieren.

  • T
    t.s.

    Frage zu

     

    "Nun lässt sich dagegen einiges einwenden: dass die Situation in Israel eine andere ist als in Südafrika, zum Beispiel, weil niemand im Ernst die Legitimität der israelischen Regierung in Frage stellt."

     

    Ist die Situation denn tatsächlich eine andere?

     

    Südafrikas Machthaber haben Nichtweissen keine - bzw. nur abgestufte Rechte zugestanden - um eine Herrschaft durch Weisse abzusichern.

    Analog verfährt Israel.

     

    Südafrika hat Nichtweisse gezwungen sich in wirtschaftlich nicht lebensfähigen Gebieten anzusiedeln - die dann formell als exterritorial deklariert wurden - in Bantustans.

    Ganz analoge Pläne verfolgt Israel.

     

    Südafrika hat die Zwistigkeiten zwischen den schwarzen Volksgruppen angefacht - und ihm genehme Qislinge - Buthelezi - mit Privilegien versehen.

    Ganz analog verfährt Israel.

     

    Schwarze militante Gruppen leisteten Widerstand gegen die Südafrikaner und wurden von ihnen als Terroristen gebrandmarkt.

    Analog verfährt Israel.

     

    Südafrika war ein destabilisierender Faktor in der Region, der auch in den schwarzen Nachbarländern interveniert und in der ganzen Region dazu beitrug autoritäre Regime an der Macht zu halten.

    Ganz analog verfährt Israel.

     

    Wie legitim ist denn - in Anbetracht dieser Tatsachen - die isr. Regierung?

     

    Warum optieren daher nicht alle liberalen und progressiven Kräfte für den Boykott jenes Staates in Palästina, der mit der planvollen Zerstörung der Existenz seiner arabischen Bewohner langfristig auch die eigene zerstört?

     

    Könnte es nicht sein, dass Frau Klein die Existenz von Juden in Palästina viel mehr am Herzen liegt wie jenen, die auf die unverbrüchliche Treue mit dem isr. Staat schwören?

  • A
    AntonW

    @Pippi Langstrumpf: ich finde Ihre Erwiderung so plump wie unverschämt. So nämlich empfinde ich diese unselige Totschlagkeule namens 'Antisemitismus'.

    Vielleicht sollten Sie einfach über Ihre Meinung reflektieren.

    Im übrigen schließe ich mich Herrn Bax und 'plutokrator' an.

  • P
    plutokrator

    bei jeder Kritik, welche an der verbrecherischen Kriegspolitik geäußert wird, kommt unverzüglich die Antisemitismus-Keule zum Einsatz, verbunden mit dem Hinweis der ewigen Opferrolle der Juden/Israels.

    Natürlich lassen sich klar denkende Menschen von solchen Propagandakampagnen nicht einschüchtern, weshalb der Komplex seine Aktivitäten intensiviert.

    Im übrigen ist ein Boykott gegen israelische Produkte eines der wenigen Dingen die ein empfindliches Nachdenken seitens der israelischen Eliten auslösen können.

  • AS
    Aluf Stone

    Hm, ich denke, dass die Frage, ob Kritik an Israel Antisemitismus ist oder auch nicht einfach am Thema vorbei geht. Meines Erachtens ist es vielmehr eine Frage von Demokratie- und Rechtsstaatsverständnis. Auf der einen Seite haben wir einen demokratischen Rechtsstaat mit einem Verfassungsgericht, dass sich tagtäglich mit Problemen beschäftigen muss, die wir schön intellektuell in unserem Elfenbeinturm diskutieren können. Dieser Staat versucht selbst unter schwierigsten den völkerrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren, wenn er seine Bürger vor Mord(versuchen) schützt(HAMAS warnt nicht vor ihren Angriffen auf Flugblättern). Auf der anderen Seite steht eine Mörderbande, die keine einzige Regel des Völkerrechts einhält, wenn sie gezielt Zivilisten attackiert und sich hinter den eigenen Zivilisten versteckt. Gerade vor dem Hintergrund, dass auch der 2. Weltkrieg nicht durch Boykotte und Lichterketten vor SS-Kasernen beendet wurde, ist ja wohl klar, dass Stillhalten für die Israelis keine Option ist. Dies sollte sich einmal jeder in einer ruhigen Stunde durch den Kopf gehen lassen.

  • PL
    Pippi Langstrumpf

    Dass die taz neuerdings Antisemiten ein Forum gibt, enttäuscht mich zutiefst. Hätte nur noch gefehlt, in der Debatte um Richard Williamson anzufügen, dass auch hier der Antisemitismus-Vorwurf "refelxartig" sei. Wer sich ernsthaft mit dem strukturellen Antisemitismus in der Bundesrepublik (bei über 1/5 der Bevölkerung sind antisemitische Klischees abrufbar) und den Chiffren, in denen diese Vorurteile transporiert werden, auseinandersetzt, wird viele davon in diesem Artikel wiederfinden. Es wundert mich überhaupt nicht, dass der Kommentar auf viel unreflektierte Zustimmung stößt; nur, liebe Redaktion, könnt ihr auf die Zustimmung von pseudo-linken Antisemiten nicht verzichten???

  • V
    vic

    Kritik an Israels abscheulichem Vernichtungskrieg gegen Gazas Bevölkerung, hat mit Antisemitismus überhaupt nichts zu tun.

    So wenig wie Kritik an Bush´s überfallartigen Vernichtungsfeldzügen im Mittleren Osten mit Antiamerikanismus.

    Beides übrigends mit international geächteten, und völkerechtswidrigen Waffensystemen.

    Ich bin es leid, diesen Maulkorb in Sachen Israel auch nur einen Tag länger zu tragen.

  • LA
    <kein Antisemit>

    DANKE! Danke, danke, danke, dafür, dass es jemanden gibt, der das Problem, das vielen in diesem Land so Kopfschmerzen bereitet, mal sachlich und vernünftig anspricht.

     

    Herr Broder, bitte lesen und drüber nachdenken, bevor Sie ihre polemische Antwort schreiben (auf die ich mich trotzdem freue, des Unterhaltungswertes wegen)!

  • HF
    Helmut Frosch

    "Auf eine "dritte Kraft", die zwischen den Fronten vermittelt, hat Martin Altmeyer in der taz (23. 1.) seine Hoffnung gesetzt. Diese Kraft gibt es bereits. Das sind zum einen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch, Oxfam oder Medico International ..." Hierzu gehören natürlich auch Leute wie die, die die Erklärung 'Schalom5767' unterstützt haben.

  • T
    Tigerin

    Ein guter Artikel.