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Autor über das Matriarchat der Mosuo"Das Paradies der freien Liebe"

Der argentinische Journalist Ricardo Coler schrieb ein Buch über die Mosuo in China, die im Matriarchat leben. Sein Eindruck: Die Männer leben da besser, wo die Frauen das Sagen haben.

Haben nicht viel mitzureden: Männer bei den Mosuo in China. Bild: coler
Jürgen Vogt
Interview von Jürgen Vogt

taz: Herr Coler, was reizte Sie daran, das Paradies der Frauen zu suchen?

taz
Im Interview: 

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Ricardo Coler: Ich wollte wissen, wie es sich in einer Gesellschaft lebt, in der die Frauen bestimmen. Ich war in verschiedenen Matriarchaten, in Indien, in Mexiko, aber bei den Mosuo in China gibt es das reinste. Ich hatte ein umgekehrtes Patriarchat erwartet. Aber dem war nicht so. Im Dorf laufen die Frauen zwar vorneweg und die Männer hinterher, aber auf die Idee, Vermögen anzuhäufen, kommen Frauen nicht, es reicht ihnen, wenn es der Familie gut geht. Mir scheint, Kapitalakkumulation hat eine männliche Triebfeder. Nicht umsonst sagt der Volksmund, der Unterschied zwischen einem Mann und einem Jungen ist der Preis seines Spielzeugs.

Ist es auch ein Paradies für Männer?

Wo die Frauen das Sagen haben, leben die Männer besser. Sie arbeiten viel weniger als im Patriarchat. Sie sind den ganzen Tag mit Freunden und jede Nacht mit einer anderen Frau zusammen. Niemand beschwert sich oder fordert Geld. Sie leben für immer bei ihrer Mutter. Als Frauen mich zum Essen eingeladen hatten, wollte ich beim Abräumen und Abwaschen helfen. Ich durfte nicht, kein Mann durfte sich daran beteiligen. Die Frau bedient den Mann, obwohl sie über das Geld verfügt, sich ihrer dominanten Stellung sicher ist und sich dabei frei und wohlfühlt.

Wie haben Sie als Fremder Zugang gefunden?

Die Mosuo sind überaus freundlich. Ich wurde ins Haus eingelassen, als wäre ich ein Außerirdischer, den sie unbedingt kennenlernen wollten. Sie fragten mich aus und ich sie.

Was hat Sie am meisten erstaunt?

Dass in der matriarchalen Gesellschaft keine Gewalt existiert. Gewalt scheint eine männliche Sache zu sein. Die Frauen empfinden Streit als Schande, sie fürchten Ansehensverlust.

Aber wenn es für ein Problem keine Lösung gibt?

Frauen sagen, wo es langgeht. Manche etwas bestimmter, manche etwas freundlicher. Es sind starke Frauen, die klare Anweisungen erteilen. Ein Mann muss eingestehen, dass er mit einer Sache nicht fertiggeworden ist. Er wird nicht ausgeschimpft oder bestraft, sondern wie ein kleiner Junge behandelt, der seiner Aufgabe nicht gewachsen war. Dennoch sagen die Frauen, die großen Entscheidungen, ob eine Maschine oder eine Kuh gekauft werden soll, treffen die Männer. Die Frauen legen auf solche Entscheidungen nicht viel Wert. Die offizielle staatliche Autorität, der Bürgermeister, ist ein Mann. Ich spazierte mit ihm durchs Dorf, niemand beachtete ihn. Als Mann besitzt er keine Autorität.

Und das Liebesleben?

In der matriarchalen Gesellschaft sind Liebe und Erotik allgegenwärtig. Es werden ständig doppeldeutige erotische Witze gerissen. Wenn es ums Verführen geht, dann wandeln sich die Frauen komplett, sie geben sich schüchtern. Am nächsten Morgen geht der Mann, und die Frau macht weiter wie bisher.

Also ist es das Paradies der freien Liebe?

Das Sexualleben der Mosuo ist sehr aktiv, Partner werden häufig gewechselt. Sollten sie sich verlieben, dann empfängt die Frau nur diesen Mann. Wenn ein Mann eine Frau besucht, hängt er seinen Hut an den Haken an der Haustür. So klopft kein anderer an. Die Frauen wählen, mit wem sie die Nacht verbringen.

Wissen die Mosuo, was Heirat und Ehe bedeuten?

Ja, den Kindern wird sogar damit gedroht: Wenn du nicht brav bist, dann verheiraten wir dich. Die Kinder kennen Ehe als Horrorgeschichten. Mich haben sie gefragt, wie wir das machen. Ah, sagten sie, das muss toll sein. Dabei lachen sie sich kaputt, dass wir von etwas erzählen, von dem alle wissen, dass es nicht funktioniert.

Haben Sie Ihren Hut auch an einen Haken gehängt?

Eine Frau wollte ein Kind von mir haben. Ich sagte, nein, du lebst in China und ich in Argentinien. "Na und?", war die Reaktion. Die Kinder bleiben ihr Leben lang bei der Mutter. Ich sagte, ich kann keine Kinder haben, die ich nicht sehen kann. Sie hat nur gelacht, als würde ich die Sache zu ernst nehmen. Wenn sie Kinder haben, sind sie von ihnen, der Mann spielt dabei keine Rolle.

Wollen die Frauen lieber Töchter als Söhne?

Eine Familie ohne Töchter ist eine Katastrophe. Zudem geht es ihr wirtschaftlich schlechter, denn die Frauen verwalten das Geld und kaufen nicht jeden Schnickschnack. Eine Familie hat zwischen 15 und 20 Angehörige, manchmal auch weniger; sie umfasst die Mutter mit ihren Geschwistern, ihren Kindern und den Kindern ihrer Geschwister. Weil niemand heiratet, muss niemand die Familie verlassen.

Haben die Mosuo kein Wort für "Vater"?

Doch. Aber es gibt kein Konzept für Vaterschaft. Da die Frauen den Partner wechseln, wissen sie oft nicht, wer sie geschwängert hat. Und die Kinder wissen nicht, wer ihr Vater ist. Sie brauchen auch keinen Vater, denn dessen Rolle übernimmt die Mutter oder die Familie. Die Kinder vermissen nichts.

Gibt es dort auch Übles?

Buttertee. Das ist, als ob du Tee aus Fett trinken musst. Eklig. Aber ihn nicht zu trinken, das ist wie ein ungezogenes Kind sein. Also habe ich die Klappe gehalten und ihn geschluckt. Und dann noch die hundertjährigen Schweine. Sie töten ein Schwein, holen die Innereien heraus und lassen es trocknen. Dann schneiden sie Stücke ab, die oft nur reines Fett sind und frittieren sie. Auch dies bitte nicht wieder.

Ricardo Coler: "Das Paradies ist weiblich". Kiepenheuer 2009, 17,95 €

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11 Kommentare

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  • G
    guest

    @navajo joe: Also ich habe schon mal gehört das die viele machtgierige Frauen einfach ein Produkt unseres Patriarchats sind, in dem sie versuchen gewissermaßen "männlicher als Männer" zu sein. Was da dran ist und ob es Belege dafür gibt weiß ich aber leider nicht.

  • JB
    Joachim Buckow

    Im Herbst 2007 war ich am Lugu-See bei den Mosuo. Zu diesem Zeitpunkt war bereits die Strasse dorthin ausgebaut, an dem es einen Checkpoint der Chinesen gab, an dem ein Eintrittsgeld erhoben wurde. Es gab seit kurzem elektrischen Strom, einen Mobilfunk-Tower und ein neuerbautes Hotel. Die Touristen in den Bussen waren noch zu 99 % Chinesen, die Mosuo aber fuer den Alltag schon etwas zu praechtig ausstaffiert.

    Maedchen und Jungen werden im Alter von 13 Jahren mit einer Zeremonie in die Welt der Erwachsenen aufgenommen und die Maedchen bekommen mit der Pubertaet einen eigenen Raum, in dem sie ihre Liebhaber nachts empfangen koennen. Ihre Muetter sagen:"Dieses kleine Voeglein kann jetzt selbst lernen, wie man aus dem Nest fliegt." Die Jugendlichen bekommen aber auch Reis und neue Kleidung als Symbol dafuer, dass sie sich um das Essen und die Bekleidung auch in Zukunft keine Sorgen machen muessen.

    Wenn aber Motorrad und Mobiltelefon zum "Mosuo-Standard" gehoeren, wird es wohl Belastungsproben geben.

  • NJ
    navajo joe

    Da es auch kapitalismusgeile und machtgierige Frauen gibt, und Männer, die weder kapitalismusgeil noch machtgierig sind (ich kenne von beiden Kategorien Beispiele), sind diese Charaktereigenschaften offenbar nicht dadurch bedingt, dass ein Mensch 2 x Chromosomen hat, oder ein x und ein y Chromosom.

     

    Die Versuchung zu biologistischen Fehlschlüssen ist leider bei vielen Begeisterten sogenannter Matriarchatskulturen verbreitet. Trotzdem ist es ein Fehlschluss. Selbst wenn es angeborene Neigungen geben sollte, die in dieser Hinsicht mit dem biol. Geschlecht zusammen hängen (evtl. etwas wie ein eher männliches als weibliches Imponiergehabe oder Ähnliches und dessen kulturelle Folgen), sind diese immer sehr stark von historisch-kulturellen Faktoren beeinflusst, bzw. überformt. Das sollte nicht unterschätzt werden.

     

    Übrigens sind weibliche Hierarchierangeleien im Prinzip auch nicht besser als männliche. Dass sich zufällig die männlichen in der Geschichte zu Kriegen etc. ausgewachsen haben, hat viele Gründe, und vielleicht gehört zu diesen, dass Frauen vielleicht - eine vorsichtige Hypothese - in ihrer Rolle als Mütter (schon seit der Zeit der animalischen und prähominiden Urahnen der Menschen) und außerdem ihrer Rolle, in den Jahrzehntausenden der Steinzeit meist nicht an der Jagd beteiligt gewesen zu sein (sondern viele andere wichtige Aufgaben übernommen zu haben wie Sammeln, Kleidung herstellen etc.) von Generation zu Generation Muster des Denkens Fühlens und Verhaltens weitergeben, die stärker auf Beschützen und Bewahren ausgerichtet sind, als die Muster der Männer.

     

    Auch diese Muster sind aber keineswegs deshalb als "angeboren" zu betrachten!

     

    Eher können sie sich aus der Arbeitsteilung ergeben haben, die sich vielleicht schlicht und einfach v. a. daraus entwickelt hat, dass Frauen einerseits die Kinder gebärenden und säugenden sind, und andererseits im Durschschnitt auch weniger Testosteron und damit weniger Muskelmasse haben und schließlich auch im Durchschnitt kleiner sind (was für die Jagd langfristig evtl. ein Nachteil war, da dort längere Beine vorteilhafter sind) ...

  • MN
    Mein Name

    Es gibt auch eine Autobiographie einer Frau die aus dieser Kultur stammt, sehr interessant:

    "Das Land der Töchter: Eine Kindheit bei den Moso, wo die Welt den Frauen gehört" von Yang Erche Namu

  • L
    Lisa

    Hinter die Kulissen geguckt hat: Heide Göttner-Abendroth ("Matriarchat in China", Kohlhammer), einer der führenden Matriarchatsforscherinnen in Deutschland.

  • TK
    Torsten Krüger

    Zu Herrn Jung:

     

    Das sich diese Form der Gesellschaft nur noch im, wie sie sagen, "hintersten Winkel" der Erde - eine im Übrigen wenig intelligente Bezeichnung - gehalten hat, muss doch nicht daran liegen, dass sie nur dort funktioniert. Dass es sie trotz der Kulturrevolution, religiöser Eiferer, trotz aller Versuche, diese Menschen in die gleichen Abhängigkeitverhältnisse zu zwingen, immer noch gibt, beweist das absolute Gegenteil.

     

    An Herrn Gerhard und seba.gar:

     

    Maria Mies: Patriarchat und Kapital

    Heide Göttner-Abendroth: Matriarchat ind Südchina

     

    Das Buch von Herrn Coler ist nicht mehr als ein deskriptiver Bildband, der in keiner Weise den Anspruch einer Sozialen Studie erhebt.

     

    Und es ist nicht schwer, zu beschreiben, warum alle Menschen dort besser Leben, als hier: Im Mittelpunkt ihres Lebens steht nicht etwas so fragiles, wie die Beziehung zwischen Mann und Frau und die damit verbundene ökonomische Abhängigkeit (meistens zu Lasten der Frau), sondern die Dauerhaftigkeit einer ganzen Familie. Zugegeben, für uns ist es nicht mehr leicht, sich eine Familie über das Bundesdeutsche Mutter/Vater/Kind vorzustellen. Na, vielleicht noch die demente Mutter irgendwo im Heim.

     

    Utopisch ist seit je her die nur Fantasie einer lebenslangen Partnerschaft. Dass es in Einzelfällen funktioniert, wir wollen doch Wissenschaftlich bleiben,ist kein Beweis für irgendwas.

     

    An die Redaktion der TAZ:

     

    "Das Paradies der freien Liebe"?

    Eine unsinnige aber mehr als typische fokusierung der Sexualität. Das Glück dieser Gesellschaft liegt gerade darin, dass nicht die Sexualität im Mittelpunkt steht. Weiblich ist eben nicht = Sex.

     

     

    Schwer zu akzeptieren, das Liebe kommt und geht.

    Die demonstrierte Haltung der Leser zu diesem wenig rühmlichen Anriss der Mosuo, ist Zeugnis einer Paranoia.

     

    Torsten

  • W
    WilderWusel

    Eh,das ist geil.Sollte in Deutschland auch eingeführt werden.Schon allein die Sache mit dem Hut ist super;braucht man den Liebhaber nicht mehr im Schrank verstecken:-))

  • LA
    Lanz a Lot

    So viel Trost die Vorstellung einer solchen Gesellschaft manchen Menschen bietet, so verheerend können die Folgen für die Mosuo selbst sein.

    Da es den wenigsten Menschen möglich ist, in unserer Welt frei von patriarchalen Beschränkungen zu leben, könnte der Wunsch wachsen, einer mutterzentrierten Gesellschaft räumlich nahe zu sein. Und weil wir nun mal leben, wo wir leben, wird sich auch jemand finden , der aus diesem Wunsch ein Geschäftskonzept entwickelt. Die buddhistischen Okkupationsbeschstrebungen haben die Mosou überstanden, den Tourismus überleben sie nicht.

  • S
    seba.gar

    dieses buch und das interview scheinen vielmehr eine beleidigung an ernsthafte kultur- und sozialanthropologische forschung zu sein und bevorzugen eine lediglich oberflächliche auseinandersetzung mit nicht-europäischen verwandtschaftsmodellen. alternative macht- und herrschaftsverhältnisse aufzuzeigen sieht anders aus. leider sind neben den antworten und pseudoerkenntnissen auch die fragen in diesem interview eher sinnfrei.

  • KG
    K. Gerhard

    Strotzt nur so vor Stereotypen.

    Die Wunschvorstellung "moderner" westlicher Frauen.

    Sie sind die besseren Menschen.

    Und Familie oder gar Ehe - das NoGo schlechthin.

    Nach welchen Massstäben leben da denn Männer besser...?

    Oder Frauen ...?

    Hinter den Kulissen?

    Ach, da hat jetzt mal keiner nachgekuckt ?

  • CJ
    Carl Jung

    Das erinnert mich irgenwie an Gaugin. Suchte der nicht auch in der Südsee das verlorene Paradies? Und, hat er es gefunden?

     

    Eben nicht!

     

    Wie lange wird es die hier beschriebene Kultur noch geben? - Na? - Fünf Jahre, zehn Jahre, ...? - Eben! Nicht mehr sehr lange!

     

    Die Tatsache, dass sich diese Modell nur im hintersten Winkel gehalten hat, lässt Rückschlüsse zu.

     

    Vorbildcharakter hat eine solche Gesellschaftsform mit Sicherheit nicht.

     

    Carl Jung