: Risse in der Linken
■ Nanni Balestrini schildert in seinem Roman 'Der Verleger' einen Anschlag auf einen Strommast und seine politischen Folgen
schildert in seinem Roman Der Verleger die Folgen eines mißglückten Anschlags auf die italienische Linke
„Obwohl die Angelegenheit tragisch ist und die Umstände makaber sind ist die Atmosphäre geprägt von ausgesuchter Würde und höflicher Korrektheit wäre da nicht der Untersuchungsgegenstand gewesen hätte es die Sitzung verdient im Fernsehen übertragen zu werden“. Die makabre Angelegenheit, um die es hier geht, ist die Autopsie einer Leiche in einem Mailänder Krankenhaus und die erste Szene aus Nannis Balestrinis neuem Roman Der Verleger. Das Buch basiert auf einer wahren Geschichte.
Der linksradikale Verleger Giangiacomo Feltrinelli kam 1972 bei einem Anschlag auf einen Hochspannungsmast ums Leben. In Balestrinis Roman verfolgt ein unsichtbarer Beobachter mit gerichtsmedizinischer Akribie die Untersuchung der Leiche. Es ist nicht nur die genaue Beobachtung der Verstümmelung eines Körpers, es ist auch die Tatsache, daß Balestrini ohne Punkt und Komma schreibt, die dem Leser zumindest auf den ersten Seiten Schwierigkeiten bereitet. Doch beim Weiterlesen geht Balestrinis Taktik auf. Das Lesen bekommt eine andere Dichte, einen anderen Erzählfluß, und der Text eine Intensität, die die damalige Zeit lebendig werden läßt. Der Tod des „dilettantischen Bombenlegers war ein Wendepunkt“ in der Geschichte der italienischen Linken.
Im Roman treffen sich 17 Jahre nach dem immer noch ungeklärten Tod des Verlegers ein Regisseur, ein Buchhändler, ein Universitätsprofessor und eine Journalistin, um einen Film über die Ereignisse zu machen. In zwölf Szenen sollen unterschiedliche Erklärungen und Einschätzungen aus den verschiedenen politischen Strömungen wiedergegeben werden. Der junge Regisseur hatte sich in den 70er Jahren dem bewaffneten Kampf angeschlossen, weil er damals im Tod des Verlegers einen gut inszenierten Mord des italienischen Geheimdienstes sah und als eine neue Phase der Eskalation im Krieg gegen den Staat.
Die kommunistische Partei fand darin jedoch einen weiterer Grund, um sich vom bewaffneten Kampf zu distanzieren. Der „historische Kompromiß“ bahnte sich an, und die Waffen der Partisanen wurden in Kellern verstaut. Die scheinbare Einheit der Linken bekam weitere Risse. Das autonome Spektrum der Bewegung sah im Tod des Verlegers einen Unfall und in dem glücklosen Attentäter einen „romantischen Revolutionär“, der mit seiner Einzelaktion der Bewegung geschadet habe. Autonome befürchteten, daß der Staat die Gelegenheit nutzen würde, um die außerparlamentarische Opposition zu zerschlagen: „Auf all dem werden abwechselnd die faschistische Spekulation oder die staatliche Repression gedeihen“.
Die Geschichte sollte ihnen Recht geben. Die Niederlage, die der staatliche Apparat mit der Ermordung Aldo Moros erlitt, sollte im Jahr 1979 die Linke teuer bezahlen. Unterstützt von Gummiparagraphen, dem deutschen Paragraphen 129a nicht unähnlich, brach eine „Säuberungswelle“ aus, die die kritische Linke um Jahre zurückwarf. Auch gegen Balestrini, der selbst einer verlegerischen Tätigkeit im linken Spektrum nachging, wurde damals Haftbefehl wegen Mordes erlassen. Er floh nach Paris, wo er heute noch lebt. Der Haftbefehl gegen ihn wurde erst fünf Jahre später aufgehoben. „Das Klassenbewußtsein verschwindet und es entsteht die dezentrale Kollektivität zumindest sagten wir das damals so“, erinnert sich die Journalistin.
Balestrini analysiert eine Epoche und dokumentiert die politische und persönliche Spaltung der Linken nicht nur, um einen Mythos zu entzaubern, sondern auch, um nach Zukunftsperspektiven zu suchen. Ihm ist auf seine ungewöhnliche Art ein kleines literarisches Meisterwerk gelungen.
Nikos Theodorakopulos
Nanni Balestrini: „Der Verleger“, Verlag Libertäre Assoziation, Hamburg, 160 S., 20 Mark
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen