Biowinzer über die neue Hochmoselbrücke: „Wir haben uns belogen gefühlt“
Rudolf Trossen hält das Verkehrsprojekt für sinnlos und zerstörerisch. Die Grünen in der Landesregierung von Rheinland-Pfalz haben sich verbiegen lassen, sagt er.
taz: Herr Trossen, seit über 35 Jahren bauen Sie hier in Kinheim an der Mosel Wein nach biodynamischen Prinzipien an. Schmeckt ein „Rudolf-Steiner-Wein“ anders?
Rudolf Trossen: Das sicherlich nicht. Ich glaube aber schon, dass sich ein ganzheitlicher Umgang mit der Natur auch in der Qualität widerspiegelt. Vitale Böden sind die Grundlage für gesunde Rebstöcke und die wiederum die Basis für guten und vor allem authentischen Wein, der die Besonderheiten der Lage und des Mikroklimas ausdrückt.
Bei einem Teil Ihrer Weine verzichten Sie sogar auf jegliche Schwefelzugabe zur Stabilisierung und Haltbarmachung. Diese Rieslinge schmecken recht eigenartig, blind hätte ich die Rebsorte jedenfalls kaum erkannt. Ist das nicht ziemlich extrem?
Dass Sie diesen Geschmack gar nicht zuordnen können, ist ja gerade das Spannende. Denn genau so schmeckt Riesling aus diesem Teil der Mittelmosel, wenn man so gut wie gar nicht in seinen Werdungsprozess eingreift. Schwefel macht eben nicht nur haltbar, sondern verändert auch stark das Geschmacksbild. Das ist eine spannende Erfahrung, aber mittlerweile rennen mir an diesen Weinen interessierte Kunden die Bude ein.
Deutlich weniger erfolgreich ist Ihr Engagement gegen den Bau der neuen Hochmoselbrücke zwischen Ürzig und Rachtig. Sie und andere Winzer der Region befürchten, dass die Brücke den Weinbau nachhaltig beeinträchtigen wird. Ist das nicht ein wenig übertrieben?
Auf die ganze Mosel bezogen wäre das sicherlich übertrieben. Wir reden hier aber von dem Kerngebiet zwischen Zeltingen und Bernkastel. Dort wird die geplante Trasse eine 60 Meter breite Schneise der Verwüstung ziehen. Es wird dort großflächig gerodet, dazu kommen bis zu 15 Meter tiefe Bodeneinschnitte und die Verfüllung von Tälern. Und das in einem extrem sensiblen Gebilde wie diesem Berg, der ein ganz eigenes Mikroklima hat, auch in sehr heißen Jahren nicht komplett austrocknet und auf diese Weise berühmte Weinlagen wie den Graacher Domprobst und die Zeltinger Sonnenuhr mit Wasser speist.
Die Befürworter der Brücke halten dagegen, dass es ein übergeordnetes Interesse an dem Projekt gibt, um die Verkehrsinfrastruktur der gesamten Region nachhaltig zu verbessern. Die Partikularinteressen der Winzer müssten dahinter zurückstehen.
Das ist doch andersrum. Hier werden mindestens 470 Millionen für ein sinnloses Verkehrsprojekt ausgegeben, während anderswo für die Erhaltung und Sanierung des vorhandenen Straßen- und Brückennetzes in Rheinland-Pfalz kein Geld da ist. Die ganzen Planungsvorgaben stammen aus den 70er und 80er Jahren und stimmen längst nicht mehr. Inzwischen gibt es in der Region zwei leistungsfähige Fernverbindungen von Hessen bis Rotterdam.
Jahrgang 1955, baut zusammen mit seiner Frau Rita seit 1978 Biowein an der Mosel an. Seit 2010 verzichten beide auch auf Schwefel bei der Weinherstellung. Trossen engagiert sich seit Langem gegen die Hochmoselbrücke: Die Mosel sei eine Region "voller Anmut und Liebreiz", sagte er 2011 der taz, jetzt komme die "abartige Brücke". Genutzt hat es bislang nichts.
Aber irgendjemand muss doch ein einigermaßen nachvollziehbares Interesse am Bau der Brücke haben.
Natürlich gibt es da auch wirtschaftliche Interessen, besonders seitens der Bauindustrie. Aber in erster Linie geht es um die Gesichtswahrung der Landesregierung. Infrastrukturminister Roger Lewentz (SPD) hat nach den Koalitionsverhandlungen mit den Grünen 2011 offen erklärt, dass man mit der Brücke vor allem beweisen wolle, dass es in Rheinland-Pfalz möglich ist, Großprojekte erfolgreich zu Ende zu führen. Da geht es nach der Nürburgring-Pleite nur noch um das Image.
Die Bauarbeiten laufen seit drei Jahren. Die Zufahrten und mehrere Pfeiler wurden bereits errichtet, juristische Möglichkeiten zur Verhinderung des Projekts sind ausgeschöpft. Welchen Sinn gibt es, jetzt noch für den Stopp zu kämpfen?
Das Projekt kann möglicherweise gar nicht beendet werden. Die Pfeiler sollen auf der Eifelseite auf einem Rutschhang errichtet werden und können im wahrsten Sinne des Wortes ins Schwimmen kommen. Alle Geologen – sofern sie nicht auf der Soldliste der Landesregierung stehen – sind sich einig, dass man so nicht bauen kann. Zuletzt hat das Rafig Azzam bestätigt, der auch Gutachter im Verfahren zum Einsturz des Kölner Stadtarchivs ist.
Trotzdem wird weitergebaut, im Januar sollen die Bohrarbeiten am Eifelhang beginnen.
Spätestens bei der Abnahme der Brücke wird Schluss sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine technische Prüfinstanz eine Katastrophe riskiert, nur um der Landesregierung einen Gefallen zu tun. Aber ich halte es für möglich, dass auch vorher schon die Notbremse gezogen wird, schon wegen der vorhersehbaren immensen Kostensteigerungen.
An der Protestbewegung haben sich auch international renommierte Spitzenwinzer aus dem Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) beteiligt. Der gilt ja als sehr gut vernetzt mit höchsten Kreisen aus Politik und Wirtschaft. Warum konnte auf diese Weise kein Einfluss genommen werden?
Na ja, der seinerzeit für die Pläne zuständige Verkehrsminister Hendrik Hering hat sich mal von Katharina Prüm [Weingut J. J. Prüm, d. Red.] auf den Berg schleppen lassen. Ihm wurde erklärt, was die Brücke für Folgen für den Weinbau haben könnte. Doch was erwarten Sie: Der Mann ist Biertrinker aus dem Westerwald. Der weiß überhaupt nicht, was die „Wehlener Sonnenuhr“ für ein Weinmonument ist. Es geht ja um weltweite Aushängeschilder der deutschen Weinwirtschaft, die durch so ein Projekt beschädigt werden. Doch das hat in der Entscheidungsfindung alles keine Rolle gespielt.
Wie verhalten sich eigentlich die offiziellen Institutionen Ihrer Branche wie der Weinbauverband Mosel oder das Deutsche Weininstitut?
Da sind die Ohren auf Durchzug, und von denen ist nichts zu erwarten. Die Verbandsfunktionäre stammen ja meist aus dem unmittelbaren Umfeld der großen Parteien und verbrennen sich ungern die Finger bei heiklen Themen.
Obwohl der Protest gegen die Brücke eine gewisse Dimension erreicht hatte, ist es der Bürgerinitiative nicht gelungen, eine landesweite Bewegung zu initiieren. Ist das Thema jenseits der Mosel irrelevant?
Irrelevant sicherlich nicht, aber es ist uns nicht gelungen, einer Mehrheit klarzumachen, dass die Milliarde Euro, die das Projekt wahrscheinlich letztendlich kosten wird, dauerhaft für wirklich wichtige Investitionen in den Erhalt der Infrastruktur verloren sind. Da fehlt einfach die unmittelbare Betroffenheit. Zudem wurden wir von der hiesigen Presse regelrecht boykottiert. Bei mir saß mal jemand von der New York Times im Wohnzimmer, aber nie einer vom Trierischen Volksfreund.
Eine besondere Rolle bei der Auseinandersetzung spielen die Grünen. Die haben sich viele Jahre und im Landtagswahlkampf 2011 als Gegner des Projektes profiliert und sind dann bei den rot-grünen Koalitionsverhandlungen eingeknickt.
Einige Winzer hatten die Grünen direkt unterstützt. Ich selbst habe schon Jahre zuvor in Ürzig mal einen Wahlkampfauftritt von Renate Künast zu dem Thema moderiert. Damals hat sie uns versichert, die Brücke sei tot, weil sie zwar im Bundesverkehrswegeplan stehe, aber nur unter dem Vorbehalt der privaten Finanzierung. Und ohnehin würde ihre Partei der Sache ein Ende bereiten, wenn es in Rheinland-Pfalz zu Rot-Grün käme. Das haben wir damals auch geglaubt.
Und dann?
Doch dann kamen 2009 die Sondermittel aus dem „Konjunkturpaket II“, und plötzlich war keine Rede mehr davon, dass die Brücke privat finanziert werden muss. Die Regierung nutzte die Gunst der Stunde und begann mit der Bauvorbereitung. So hatte man Fakten geschaffen. Aber noch unmittelbar vor den Koalitionsverhandlungen 2011 haben die Grünen versichert, dass sie alles tun würden, um den Weiterbau der Brücke zu verhindern. Es gab tatsächlich ein kurzes Moratorium bei der Auftragsvergabe, und wir dachten: Das war’s jetzt. Dann kamen die Grünen aus den Verhandlungen raus und erklärten mehr oder weniger lapidar: „Wir haben gekämpft, aber wir haben verloren.“
Hat das nicht große Resignation in der Protestbewegung ausgelöst?
Natürlich. Wir haben uns belogen, betrogen, verraten und verkauft gefühlt. Und das ausgerechnet von den Grünen. Schließlich war die Brücke ja auch ein wichtiges Wahlkampfthema, das dazu beitragen hat, dass die Grünen ihren Stimmenanteil fast verdreifachen konnten. Doch in den Koalitionsverhandlungen hat Kurt Beck wohl sehr früh ein Machtwort gesprochen und erklärt, dass es ohne Hochmoselbrücke keine gemeinsame Regierung geben wird. Da war die Sache gelaufen.
Warum sind Sie dann noch immer Mitglied der Grünen?
Weil das eigentlich meine Partei ist.
Das ist schwer zu verstehen.
Ich verstehe mich als „Strömungsgrüner“ und habe auch mit den ganzen offiziellen Gremien nichts zu tun. Es gibt in der Partei aber immer noch viele Menschen, die für die ursprünglichen grünen Werte eintreten. Wir haben uns leider bei der Auseinandersetzung um die Brücke nicht durchsetzen können, unsere Entscheidungsträger haben sich angesichts der Aussicht auf Posten und Einfluss komplett verbiegen lassen. Solche Grünen braucht kein Mensch. Doch ich habe die Hoffnung auf einen neuen Aufbruch in der Partei noch nicht aufgegeben. Ich weiß, dass viele Mitglieder sehr unzufrieden mit der jetzigen Politik sind.
Wie soll der Widerstand jetzt weitergehen?
Wir werden das Projekt weiter kritisch begleiten und vor allem auf die unbeherrschbaren geologischen Risiken, die Kostenfrage und die Folgen für Tourismus und Weinbau hinweisen. Und in ein paar Jahren werden wir uns hoffentlich nicht mehr über die unsinnige Hochmoselbrücke unterhalten, sondern über den Riesling aus den umliegenden Lagen und im Glas – ob geschwefelt oder ungeschwefelt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Klimakiller Landwirtschaft
Immer weniger Schweine und Rinder in Deutschland