Was am Hitzlsperger-Lob nervt: Ach so, danke!
Heterosexuelle preisen Homosexuelle gerne für ihren Mut. Auch den Ex-Fußballspieler Thomas Hitzlsperger. Doch wem gilt ein solches Lob eigentlich?
Die Nachricht schlug ein. Thomas Hitzlsperger, ehemaliger Fußballnationalspieler, ist schwul. Das verriet er im großen Interview mit der Zeit. Der stellvertretende Chefredakteur der Hamburger Zeitung, Bernd Ulrich, schrieb auch einen Kommentar dazu: Der Skandal sei, dass Fußballprofis viel Mut brauchen, um offen über ihre Homosexualität zu sprechen. Dass jedes Outing Mut braucht, drauf geschissen. Dass Hitzlsperger sehr viel mutiger war, als wenn er nichts gesagt hätte, auch klar.
Interessanter ist: Alle Medien schlachten die Nachricht aus. Meldung, Kommentar, Interview, Berichte über schwule Politiker. Die Inszenierungen, die Reaktionen haben etwas Verstörendes. Zeit-Vize Ulrich schreibt: „Das eigentliche Problem liegt ja nicht bei ihm, es besteht vielmehr darin, dass es so lange Zeit und so viel Mut brauchte, um sich zu etwas zu bekennen, das so selbstverständlich und normal sein sollte wie der Einwurf.“
Das ist sicher gut gemeint. Und doch irritiert dieses „normal“. Wenn es ein normal gibt, muss es automatisch ein anormal geben. Aber was ist das Anormale, wenn es die Liebe unter Männern nicht ist? Einerseits soll Homosexualität so „normal“ wie möglich dargestellt werden, andererseits ist sie das aber de facto nicht. Sonst wäre das Medienecho nicht so groß.
Schön, dass Hitzlsperger so viel Zuspruch erfährt, und dennoch sind die Lobhudeleien zumindest ambivalent. „4 Monate zu spät“, schrieb Daniel Wesener von den Berliner Grünen auf Twitter. In der Tat macht es nun einmal einen Unterschied, ob ein Spieler während einer aktiven Laufbahn sagt, er sei schwul – denn dann geht es eben um Geld und ein mögliches Ende der Karriere. Oder ob er das hinterher macht, wenn er den Betrieb nicht mehr stört.
Fußballer des Jahres 2014?
Andere wollen Thomas Hitzlsperger gar zum Fußballer des Jahres 2014 küren – als ob seine Homosexualität eine sportliche Leistung wäre, die prämiert werden müsste. Ein Held sei Hitzlsperger natürlich auch. Ein Vorbild. Aber warum? Was sagt er denn jungen Homo-, Bisexuellen, und Trans* in den deutschen Dörfern und Mittelstädten? Ein Coming-out ist nur sinnvoll, wenn ihr nichts zu riskieren habt?
Der Deutsche Fußball-Bund eilte per Pressemitteilung herbei: „Ich stehe zu unserem Wort, dass er von uns jede erdenkliche Unterstützung bekommt“, sagt DFB-Präsident Wolfgang Niersbach. Unterstützung. Wie genau soll die aussehen? Und warum bietet der DFB jetzt Hilfe an, wo sie Hitzlsperger nicht mehr braucht?
Mit dem Interview scheinen sich die Hoffnungen einer ganzen Nation zu verbinden. Der professionelle Männerfußball, eine klar heterosexuelle Domäne, könne sich endlich öffnen, der erste Nationalspieler sagen: „Ich liebe einen Mann.“
Lob statt Taten
Stattdessen sagt Arne Friedrich, ebenfalls Ex-Bundesliga-Profi, ebenfalls in der Zeit: „Ich bin heterosexuell. Aber wenn ich homosexuell wäre, wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, es öffentlich auszusprechen.“ Ach so. Danke. Dass die Gesellschaft noch nicht so weit ist, wie sie sich gerne zu geben bereit ist, zeigt schon die Reaktion von Angela Merkel.
Die Bundeskanzlerin gratuliert Hitzlsperger, als ob er Geburtstag hätte. Hat sich an ihrer ablehnenden Haltung zum Adoptionsrecht für Homosexuelle plötzlich etwas geändert? Hat es nicht. Merkel hätte tatsächlich die Macht, etwas zu bewirken, sie tut es aber nicht. Stattdessen lobt sie.
Und wenn Heterosexuelle Homosexuelle für ihren Mut loben, dann stellt sich die Frage, wem diese Bekundung eigentlich gilt. Und wem sie hilft. Am Ende wohl eher dem Lobenden selbst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen