Berichterstattung über Schumacher: Ihr wollt es doch auch
Corinna Schumacher bittet die Journalisten um Zurückhaltung. Doch niemand fühlt sich angesprochen. Sie bedienen das Interesse ihres Publikums.
Noch nie haben es einem so viele Medien so leicht gemacht, sie zu kritisieren. Da richtet Corinna Schumacher, die Ehefrau des schwer verunglückten Michael, am Dienstag einen Appell an die Journalisten: „Verlassen Sie die Klinik.“ Und was liest man davon am nächsten Tag in der gedruckten Bild? Nichts. Wäre ja auch zu peinlich gewesen, standen tags zuvor noch drei AutorInnen unter der Ortsmarke „Aus Grenoble berichten“.
Vor dem Krankenhaus harrten bis vor Kurzem Scharen von Journalisten aus, diverse Übertragungswagen standen an den Straßenrändern, Liveschalten zu allen Zeiten in alle Länder. Selbst Kollegen, die vor Ort waren, hätten zu dieser Zeit in diesem Krankenhaus nicht Patient sein wollen.
Am Mittwoch war es wieder so. Diesmal standen die Ü-Wagen nicht in Grenoble, sondern vor dem Justizpalast im eine Autostunde entfernten Albertville. Der Staatsanwalt und fünf Polizisten gaben Auskunft zum Stand der Ermittlungen.
Der Erkenntnisgewinn war trotz knapp 10 Minuten Ausführungen des Staatsanwalts und 25 Fragestellern gering. Acht Meter abseits der eigentlichen Piste ist Schumacher auf einen Stein gestürzt. Zu schnell war er wohl nicht, die Pistenmarkierungen sollen auch in Ordnung gewesen sein.
Dabeisein ist alles
Dennoch berichten so viele. Es geht häufig nicht um neue Nachrichten, sondern darum, den Zuschauern zu vermitteln: „Wir sind da, wenn etwas passiert. Bei uns verpasst ihr nichts.“ Auch wenn das natürlich Quatsch ist, eben weil nichts passiert. Dafür gibt es von vielen Seiten Dresche.
Doch was ist die Alternative? Sollten Medien nicht über Schumachers Unfall berichten? Eindeutig: Nein.
Der Sturz und seine Folgen sind interessant – jede Theorie, die in den vergangenen hundert Jahren über das Wesen der Nachricht aufgestellt wurde, kann da gerne zum Abgleich herangezogen werden. Man kommt nicht umhin, anzuerkennen, dass der Skiunfall des prominenten Rennfahrers, den nicht wenige schätzen, ein berichtenswertes Ereignis ist.
Überdies scheint Schumachers Unfall auf großes Interesse beim Publikum zu stoßen. Es mag zwar perfide klingen, aber in Zeiten, in denen wir sekündlich Quoten und Klicks nachvollziehen können, ist ein uninteressantes Thema schneller weg von den Bildschirmen als es das womöglich verdient hätte.
Augen zu beim Zeigefinger
Hoher Nachrichtenwert trifft also auf hohes Interesse. Wie anmaßend wäre es in einem solchen Moment, wenn die Medienvertreter sich nun hinstellten und den Lehrer des Volkes spielten: Das hat euch nicht zu interessieren.
Das eigentlich Schlimme ist, dass sich durch den Appell von Corinna Schumacher keines der in den letzten Tagen mit Dauerberichterstattung auffälligen Medien angesprochen fühlt. Es wird über ihren Brief berichtet, der Zeigefinger wird aber geflissentlich übersehen. Gespielt wird neutrale Berichterstattung.
Die Medien sollten sich dieser Diskussion stellen. Es sprechen gute Argumente gegen die anhaltende Dauerberichterstattung. Doch es sprechen ebenso gute für die Berichte über Schumachers Unfall. Zumindest so lange sie nicht übertrieben effekthaschend, erlogen oder unter moralisch nicht vertretbaren Umständen zutage gefördert wurden.
„Ich stehe dazu, dass wir vor Ort sind“, schrieb „Tagesschau“-Chef Kai Gniffke am 2. Januar, nachdem seine Sendung dafür kritisiert wurde, Schumacher an erster Stelle zu melden. „Denn es ist nicht verwerflich, über das Schicksal von Schumacher zu berichten – es kommt auf das Wie an.“ Das gilt auch eine Woche später noch.
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