village voice: Neues von Hanayo und Barbara Morgenstern
Die Ökonomie der Liebe
Es könnte keine entgegengesetztere Produktionsgeschichte geben. Um an ihrem zweitem Album „Fjorden“ zu arbeiten, suchte Barbara Morgenstern die Einsamkeit einer Datscha bei Eberswalde. Wie in einem Märchen hat sie dort die Zauberformeln ihrer wunderbaren Alchemie aus Orgelurklängen und computergesteuerten Beats gefunden: auf Spaziergängen und beim Betrachten von Sonnenuntergängen.
Urbaner und durch den Rausch der Stunden vor dem Sonnenaufgang geprägt, ist dagegen „Gift“, das erste Album der in Berlin lebenden japanischen Multikünstlerin Hanayo. Die ausgebildete Geisha gastierte nicht nur bei der „Tötet Helmut Kohl“-Aktion von Schlingensief bei der documenta X, sondern arbeitet gern auch mit der unabhängigen Elektroszene Deutschlands zusammen. Ihre unermüdliche Reiselust führte sie so zum Beispiel nach Köln, wo sie mit Justus Köhnke und Kai Althoff unter der hypnotischen Wirkung monotoner Drums „Subtle Tease“ improvisierte, oder auch zu Rocko Schamoni nach Hamburg, der Hanayos Stück „Aua“ in seiner Küche remixte.
Dementsprechend unterschiedlich klingen die Endprodukte. „Fjorden“ vermittelt eine ruhige, kontemplative Atmosphäre, „Gift“ dagegen hört sich wie ein Potpourri an, das zwischen feinem minimalen Techno, digitalem Hardcore und extremem Krach oszilliert. Vor diesem kaleidoskopischen Hintergrund singt Hanayo dann mit ihrer paradigmatisch mädchenhaften Stimme auf Japanisch, Englisch und sogar auf Französisch. Obwohl es mitunter sehr möchtegernpostmodern nach Arbeiten des Mille-Plateaux-Labels klingt, ist „Gift“ auch authentisch. So soll Hanayo für die Aufnahme von „Candyhank“, eine von Patric Catani (DHR) komponierte und total abgefahrene Coverversion von Serge Gainsbourgs Meisterstück „Les sucettes“, auf die Kunst der Bondage zurückgegriffen haben. „Then Patric softly pushed the microphone in her mouth ...“ Wobei der französische Originaltext tatsächlich von einem Mädchen erzählt, das sich für einige Pennys (!) Lutscher kauft, diese gern auf der Zunge zergehen lässt und anschließend sogar hinunterschluckt.
Auch bei Barbara Morgenstern wird die organische Ökonomie der Liebe besungen. „Du schmilzt mit mir (...) Ich schmilz mit dir“ lautet der Refrain des dramatischen und die Seele rührenden Liebesstücks „Wir auf der Flucht“. Produziert wurde es, wie übrigens fünf andere Stücke von „Fjorden“, von dem „Toningenieur-mäßig begnadeten“ (O-Ton Morgenstern) Stefan Betke von Pole.
Sicher ist, dass Hanayo „I can give u the star“ singt und damit aus jedem Zuhörer einen von den Drei Heiligen Königen macht. Wer aber am liebsten zu Hause vor dem Adventskranz sitzt, sollte sich von einem guten Freund „Fjorden“ schenken lassen. Es gibt zur Zeit keinen besseren und glücklicher machenden Wohnzimmergroove.
YVES ROSSET
Barbara Morgenstern: „Fjorden“ (Monika/Efa); Hanayo: „Gift“ (Geist Records); Hanayo tritt am Do (!),14.12., ab 22 Uhr im Maria bei der Audio Chocolate Night auf
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