Regionalismus in Europa – Vojvodina: Nur scheinbar autonom
Die Vojvodina war einst eigenständig. Egal ob Ungar oder Serbe, viele dort wünschen den alten Status zurück. Selbst das Abitur feiert man nach Ethnien getrennt.
SUBOTICA taz | Bist du für Polygamie oder Monogamie, fragt ein Mann aus der Vojvodina einen anderen. Für die Polygamie natürlich, antwortet der. So würde die eine Frau immer glauben, er sei bei der jeweils anderen, und er könne in aller Ruhe in der Scheune auf dem Stroh ausschlafen.
Der Witz aus dem ehemaligen Jugoslawien soll von der Gutmütigkeit und Trägheit der Menschen in der Vojvodina zeugen, egal ob es sich um Serben, Ungarn, Deutsche, Slowaken, Kroaten, Rumänen oder Ruthenen handelt. Der gedehnte serbische Dialekt, den sie sprechen, ist unverkennbar und im Einklang mit der Tiefebene, die sich dort, wo sich vor Millionen Jahren das Pannonische Meer erstreckte, scheinbar endlos ausdehnt. Weit und breit kein einziger Hügel, wenn man durch die fruchtbaren Ackerfelder des Banats, der Batschka und des Srem fährt: Die monotone Landschaft wirkt sich auf das Gemüt der Menschen aus.
Zum Stereotyp des Landes der reichen Bauern gehören auch ausgiebige, fettige, kalorienreiche Mahlzeiten, die in Liedern verewigt sind: Ganslsuppe, Gänsebraten und gestopfte Gänseleber, Schweinernes in jeder Form, möglichst von der Mangalitza-Sorte, Grammelpogatschen, Nudeln mit Mohn, Zwetschkenknödel, dazu selbstverständlich Schnaps (Aprikose, Birne, Quitte oder Maulbeere) und Wein, zum Beispiel ein Banater Riesling. Darauf folgt ein Mittagsschläfchen. Auch dieses Stereotyp erweist sich als wahr: In der Stadt Subotica an der Grenze zu Ungarn lässt sich an einem Werktag zwischen 15 und 17 Uhr kaum ein Gesprächspartner finden.
Die Serie: Das Streben nach Unabhängigkeit nimmt zu in Europa. Die taz geht in den nächsten Wochen jeden Montag dem aufkeimenden Regionalismus nach und blickt außer nach Südtirol und Serbien nach Schottland, Wallonien, Katalonien und Bayern.
Die Vojvodina: Die reichste Provinz Serbiens gehörte früher zum Königreich Österreich-Ungarn und besaß bereits ab dem Revolutionsjahr 1848 eine von Wien anerkannte Autonomie. 1918, nach Ende des Ersten Weltkriegs, beschloss die Nationalversammlung der Vojvodina, sich Serbien anzuschließen. Als autonome Provinz im sozialistischen Jugoslawien wurde der Autonomiestatus durch eine Verfassungsänderung Titos sogar erweitert. 1989 hob der serbische Präsident Slobodan Milosevic die Autonomie der Vojvodina auf. Erst im Jahr 2002 erhielt die Vojvodina einen Teil ihrer alten Kompetenzen zurück. Die Serben stellen mit rund 65 Prozent die Mehrheit der Bevölkerung in der ethnisch gemischten Provinz.
Die sezessionistische Architektur in Subotica mit dem großen Markt, auf dem das Stadthaus dominiert, hat das typische Flair einer kaiserlich-königlichen Provinzstadt. Seit Januar ist Subotica Mitglied der Städteorganisation Reseau Art Nouveau Network, wie auch Wien, Budapest oder Barcelona. Schon auf den ersten Blick ist der historische und kulturelle Unterschied zu Zentral- oder Südserbien sichtbar. Dass man fast „da drüben“, fast in „Österreich/ Ungarn“ ist, merkt man noch im kleinsten Dorf der Vojvodina, in dem typischerweise das ummauerte Haus durch einen Graben von der schnurgeraden Straße getrennt wird.
„Die Stadt entgleitet“
Kaum eine andere Stadt in Serbien ist so multiethnisch geprägt wie Subotica. Etwa 35 Prozent Ungarn, 26 Prozent Serben und etwa 10 Prozent Bunjewatzen leben dort heute, der Rest der 100.000-Einwohner-Stadt verteilt sich auf viele weitere Volksgruppen. Die turbulente Geschichte Suboticas ist typisch für die Vojvodina: Infolge des blutigen Zerfalls des sozialistischen Jugoslawien hob der damalige Präsident Serbiens, Slobodan Milosevic, 1989 die Autonomie der Provinz auf.
„Früher haben hier alle nationalen Gemeinschaften gleichermaßen Verantwortung für die Stadt übernommen“, sagt Bosko Krstic, Chefredakteur der Literaturzeitschrift Rukovet, die in Subotica erscheint. Doch weil selbst nach der demokratischen Wende im Jahr 2000 die Vojvodina ihren Autonomiestatus bis heute nicht wirklich zurückerhalten habe, hätten sich die Volksgruppen in sich selbst zurückgezogen. „Jetzt befassen sich die einzelnen Nationalitäten mit ihren eigenen existenziellen und kulturellen Problemen. Die Stadt entgleitet dabei irgendwie.“ Und das gilt für ganz Vojvodina, bekräftigt Krstic.
Im Gegensatz zu früher bewegten sich die jungen Menschen heute innerhalb der eigenen Volksgruppe: Serben gehen in serbische, Ungarn in ungarische Lokale, selbst das Abitur feiert man getrennt. Früher sprachen alle beide Sprachen, heute sei das nicht mehr der Fall.
In Subotica, wie in ganz Vojvodina, kommt es immer wieder zu ethnisch motivierten Krawallen unter den Jugendlichen, so dass der Parlamentspräsident der Vojvodina, Istvan Pasztor, von einer „Lynchstimmung“ sprach und an die Regierung in Belgrad appellierte, etwas gegen die rechts-extremistische Szene zu unternehmen.
Die „Joghurt-Revolution“
Sie ist in diesem multikulturellen Zentrum besonders stark, die serbischen neofaschistischen Organisationen wollen die Teilautonomie der Vojvodina ganz abschaffen. Als Gegenreaktion erscheinen in der Provinzhauptstadt Novi Sad immer wieder Plakate, auf denen steht: „Vojvodina Republik“.
„Wenn die Vojvodina ihren früheren Autonomiestatus zurückerhält und sich von der Bevormundung Belgrads lösen könnte“, glaubt Krstic, „würden die verschiedenen Ethnien wieder gemeinsam mehr Verantwortung für die Provinz übernehmen. Und das könnte dazu beitragen, dass die Existenzangst einzelner Volksgruppen geringer wird und sie sich wieder einander zuwenden.“
Nach der Verfassungsreform 1974 bekam die Vojvodina wie auch der Kosovo den Status einer autonomen Provinz innerhalb der jugoslawischen sozialistischen Föderation. Ihre kulturellen und historischen Besonderheiten wurden anerkannt, Novi Sad entwickelte sich in ein richtiges Verwaltungszentrum mit großen Befugnissen. 1989 hob Milosevic die Autonomie der Vojvodina und des Kosovo auf, Serbien wurde zentralisiert.
„Joghurt-Revolution“ nennt man in Subotica den „Volksaufstand“ gegen die damaligen Autonomiebehörden, weil die aus Belgrad dirigierten „erwachten“ serbischen Volksmassen die Regierungsgebäude der Vojvodina belagerten und mit Joghurt beschmissen. Die von Belgrad kontrollierten Sicherheitskräfte mischten sich nicht ein, die Funktionäre der autonomen Provinz traten „unter dem Druck des Volkes“ zurück und wurden durch Milosevic’ Gefolgsleute ersetzt.
„Das war kein ethnischer Konflikt, sondern eine Auseinandersetzung zwischen alteingesessenen Autonomiebefürwortern und den von Belgrad gesteuerten Ankömmlingen um die Kontrolle der Ressourcen der Vojvodina“, sagt dazu Atila Sam, Professor im Ruhestand, der in Subotica lebt. Der ehemalige Vizepremier der Vojvodina, zuständig für Wissenschaft und Kultur, erklärt, dass die Autonomiebestrebung in der Vojvodina – im Gegensatz zum Kosovo – nie auch nur das leiseste Anzeichen einer Sezession beinhaltete und dass sie, im Gegensatz zu anderen europäischen Regionen wie Südtirol oder Katalonien, auch nicht ethnisch motiviert sei. In der Autonomiebewegung sind gleichermaßen Serben und Ungarn aktiv.
Dieses „Glücksgefühl“
Die serbischen „Ankömmlinge“ aus armen Gegenden, die das fruchtbare Land der Vojvodina vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg massenhaft besiedelten und in die verlassen Häuser der geflüchteten, vertriebenen oder umgebrachten Donauschwaben einzogen, betrachteten – und betrachten – die Einheimischen als einen „anderen Menschenschlag“ und als die eigentlichen Unruhestifter in der Region.
Die Wurzeln der Zugezogenen liegen im kargen Süden Serbiens, im Kosovo oder dem wilden Elend Bosniens, sie brachten ihre kriegerischen Heldensagen mit in die fruchtbare Tiefebene. „Weit weg von zu Hause“, fühlten sie sich besonders von Belgrad angezogen, erzählt man sich in den „alteingesessenen“ Familien der Vojvodina. Die „Neuen“ würden das „Glücksgefühl“ nicht verstehen, dass die richtige Autonomie mit sich bringen würde: die Möglichkeit, selbst über sein Leben, das eigene Territorium zu bestimmen –damit ihnen niemand in der fernen Hauptstadt den lokalen Polizisten oder Schuldirektor verordnen kann.
Nach dem Ende des Milosevic-Regimes und der demokratischen Wende ging es mit dem Autonomiestatus der Vojvodina auf und ab – die Eigenständigkeit von 1974 erreichte die Vojvodina jedoch nicht mehr. 2012 erklärte das serbische Verfassungsgericht rund 20 Verordnungen, die den Provinzbehörden mehr Befugnisse gewährleisteten, für verfassungswidrig. Selbst die Vertretung der Vojvodina in Brüssel wurde abgeschafft. Die Autonomiebefürworter schrien empört auf, die serbisch-nationalistischen Organisationen in der Vojvodina jubelten.
Die Hand auf den Pfründen
„Das alles hat mit Ideologie gar nichts zu tun“, sagt Jozsef Miskolczi, ehemaliger Abgeordneter im Provinzparlament und einer der Gründer des Bundes der Ungarn der Vojvodina (SVM), der heute wichtigsten ungarischen Partei. Es gehe einfach um die Kontrolle der Ressourcen, in welchem Maße Belgrad oder Novi Sad über das Geld der Vojvodina, den reichsten Teil Serbiens, verfügten und wie und wo sie es einsetzten. Im Augenblick verhandelt zum Beispiel die Regierung in Belgrad über den Verkauf oder die Verpachtung riesiger Ländereien in der Vojvodina an die Vereinigten Arabischen Emirate, ohne die Verwaltung in Novi Sad auch nur dazu zu befragen. Ähnlich verhielt es sich mit der Privatisierung staatlicher Unternehmen. „Es gibt wohl nichts Schöneres, als die Hand in die Tasche des anderen zu stecken“, kommentiert Miskolczi höhnisch.
Die Mehrheit der Bürger in der Vojvodina sind Serben (65 Prozent), gefolgt von Ungarn mit etwa 14 Prozent und Slowaken mit 3 Prozent, der Rest teilt sich auf mehr als ein Dutzend Nationalitäten auf. Auch wegen der großen Überzahl der Serben war in der Vojvodina nie von einer Abspaltung von Serbien die Rede, wie das im Kosovo geschehen ist, wo die Albaner die absolute Mehrheit stellen. Zwar gibt es einzelne nationalistisch-ungarische Organisationen wie die „64 Komitate“ („64 Vármegye“), die eine Sezession anstreben, doch sie sind schwach und haben nur wenige Anhänger. Dennoch ist allein die Tatsache, dass es sie überhaupt gibt, Munition für serbische Zentralisten, die nach der Loslösung des Kosovo, „dem nationalen Trauma der Serben“, in den Autonomiebestrebungen der Vojvodina die Sezession wittern.
Eine Sichtweise, die auch nach der demokratischen Wende in Belgrad gültig blieb. Dort glaubte man, dass sich alle Serben um einen „starken nationalen Staat“ versammeln sollten, erklärt der bekannte Publizist Mita Boarov aus Novi Sad. Man reagierte „allergisch auf die Institution der bürgerlichen Autonomie innerhalb des serbischen Staates“. Dieser Zentralismus habe letztlich die serbischen Interessen im Kosovo beschädigt, die Nachbarn Serbiens abgestoßen und den nationalen Minderheiten Angst eingejagt, meint Boarov. Die historische Vojvodina habe im heutigen Serbien ihre politische Subjektivität verloren.
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