Lobbyspion im Gesundheitsministerium: Rezept für einen Krimi
Jahrelang war die Apothekerszene bestens über Interna aus dem Gesundheitsministerium informiert. Dann redet eine Frau – und der Staatsanwalt schlägt zu.
BERLIN taz | Seit Jahren hatten sie sich gewundert im Bundesgesundheitsministerium. Denn die Apothekerszene in der Hauptstadt, ihre Lobbyisten und Verbände waren stets informiert über Gesetzesvorhaben, interne Schriftverkehre, vertrauliche Papiere. Detailliert und frühzeitig. „Manchen Vermerk“, erinnert sich ein Beamter, „hatte ich noch nicht dem Ministerbüro vorgelegt, da stand er schon wortgleich in einem pharmazeutischen Fachblatt – inklusive meiner eigenen Rechtschreibfehler.“
Egal ob es um Rabattverträge über Medikamente ging, um die Neuordnung des Arzneimittelmarkts oder die Reform der Betriebsordnung – wann immer in den vergangenen zwei Jahren die Interessen der Pharmazeuten tangiert waren, wussten die Apotheker wie auch der Fachinformationsdienst „Apotheke adhoc“ erstaunlich gut Bescheid.
So gut, dass die ministeriale Leitungsebene zuletzt ihr Vertrauen in die eigenen Mitarbeiter in Zweifel zog: Am Dienstsitz Friedrichstraße 108, 10117 Berlin, das berichten Mitarbeiter, wurde fortan einander misstraut, verdächtigt, beschimpft. Das Datenleck, so der Dauervorwurf, müsse „irgendwo unter uns“ sein. Allein: Es fand sich nicht, trotz aller Bemühungen.
Wie auch, wenn der Mann, der die Daten systematisch ausspähte, in krimineller Absicht sicherte und offenbar gegen Geld weiterverkaufte – die Rede ist von dreistelligen Summen pro Vermerk –, wenn dieser Mann ausgerechnet der oberste Wächter über die elektronische Datenverarbeitung im Hause von Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) war?
Zugang zum E-Mail-Account des Ministers
„Das“, sagt ein Beamter, „hat keiner von uns für möglich gehalten.“ Dass es der Systemadministrator höchstselbst sein könnte, ein IT-Spezialist, höchste Vertraulichkeitsstufe, ein Mann mit Zugang selbst zum E-Mail-Account des Ministers, eingekauft von einer externen Dienstleistungsfirma, wie das so üblich ist in Berliner Ministerien.
Im September 2012 geht ein anonymer Anruf im Ministerium ein. Es ist eine Frau, so jedenfalls wird das jetzt in Berliner Gesundheitskreisen kolportiert, und von dem Mann, den sie an diesem Tag bei einem Beamten Daniel Bahrs verpfeifen wird, hat sie die Nase voll. Es geht, so kann man die Gerüchte zusammenfassen, um eine gescheiterte Liebe, die Verletztheit der Verliererin eines Beziehungsdramas, und jetzt soll er mal sehen, was er davon hat, dass er sie so behandelt hat.
Die Frau erzählt, die Referatsleiter staunen, der Minister reagiert: Staatsanwaltschaft, Landeskriminalamt, Strafanzeige. Ermittlungen wegen des „Verdachts des Ausspähens von Daten und Verstoßes gegen das Bundesdatenschutzgesetz“ heißt das im Juristendeutsch.
Motive? Noch unbekannt, vermutlich Geld, Gier, vielleicht auch nur Wichtigtuerei. Spekulationen, das LKA aber braucht Beweise. Höchste Geheimhaltungsstufe. Und die Ansage: Wir lassen den Mann weiterarbeiten. Dabei beobachten wir ihn heimlich.
Staatsanwaltschaft und LKA haben genug gesehen
Knapp acht Wochen lang geht das so, nur wenige Mitarbeiter des Ministeriums sind eingeweiht. Sie wissen, wer der Verdächtige ist, sie sehen ihn täglich bei der Arbeit. Und schweigen.
Am 20. November haben Staatsanwaltschaft und LKA genug gesehen. Sie sind sich jetzt sicher: Der Spion hat die Daten nicht nur illegal ausgespäht. Er hat sie einem Lobbyisten verkauft, der mit der Apothekerszene bestens vertraut ist. Die Rede ist von Thomas B., das dementiert nicht einmal die Staatsanwaltschaft.
B. war Pressesprecher der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Seit September 2011 geht er eigene Wege: bei der neu gegründeten Neuspree Media mit Sitz in Berlin. Einem Kommunikationsunternehmen, das auf seiner Internetseite so für sich wirbt: „Die langjährige Erfahrung unseres Teams im Gesundheitsmarkt macht uns zu Spezialisten im Healthcare-Bereich. Sie müssen uns nur fragen.“
Unter den Augen der Justiz
Die Neuspree Media hat ihre Büroräume in demselben Gebäude wie die Agentur El Pato. Und die wiederum betreibt unter anderem das Nachrichtenportal Apotheke adhoc, einen Branchendienst für den Apotheken- und Pharmamarkt.
Die Ermittler zählen eins und eins zusammen. Hausdurchsuchung. In den Büros von Neuspree Media. Und von El Pato. Und von dem IT-Mann. Das bestätigt die Staatsanwaltschaft auf Nachfrage. Und dann noch in den Privaträumen des IT-Manns und des Lobbyisten. Die jetzt offiziell beide als Beschuldigte gelten.
PCs, USB-Sticks, Speicherdateien, alles muss in den kommenden Wochen ausgewertet werden. Zu klären ist auch die Frage, wer wann an wen mit welchem Auftrag herangetreten ist.
Thomas B. will sich gegenüber der taz nicht äußern, El Pato ist bis Redaktionsschluss nicht zu erreichen. Der Apothekerverband ABDA weist jeglichen Verdacht des Mitwissertums von sich. Und der Bundesgesundheitsminister erklärt, er sei „stinksauer“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja