Berliner LKA hielt Informationen zurück: Vertrauen zu NSU-Unterstützer
Über Jahre war das Berliner LKA an der NSU dran – über eine „Vertrauensperson“. Der Untersuchungsausschuss wurde erst am Donnerstag informiert.
BERLIN taz | Wenige Personen waren so eng mit dem Terrortrio verbandelt wie Thomas S. Er beschaffte ihm vor dem Untertauchen Sprengstoff. Danach soll er Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe eine Wohnung in Chemnitz organisiert haben. S. war zwischenzeitlich mit Zschäpe liiert.
Seit Januar führt ihn der Generalbundesanwalt als mutmaßlichen Unterstützer des NSU. Dieser Thomas S., heute 44 Jahre alt, war nach taz-Informationen mehr als zehn Jahre lang „Vertrauensperson“ (VP) des Berliner Landeskriminalamtes (LKA), von Ende 2000 bis Anfang 2011. Zwischen 2001 und 2005 soll er auch Informationen zu dem Trio geliefert haben.
Bereits im Jahr 2002 soll er einen Hinweis gegeben haben, der zu einer Kontaktperson und möglicherweise dem Aufenthaltsort des Trio hätte führen können. Was das Berliner LKA damals mit den Informationen machte, ist unklar. Das Land Berlin hat diese brisante Information lange zurückgehalten. Die Bundesanwaltschaft erfuhr erst am 20. März 2012 davon. Nachdem sie keine Gefährdung der laufenden Ermittlungen mehr sah, informierte sie Ende Juli den Ermittlungsbeauftragten des NSU-Ausschusses.
Dieser setzte am Donnerstag die Ausschussmitglieder in Kenntnis. Die Abgeordneten reagierten fassungslos. Der Generalbundesanwalt hält S. vor, dass er im Verdacht steht, dem Trio „(...) seit ihrem Untertauchen Anfang 1998 Fluchthilfe und sonstige logistische Unterstützung leistete, sowie Sprengstoff beschaffte“. Der Beschuldigte habe „zumindest billigt in Kauf“ genommen, „dass er die Gruppe (...) bei ihren kriminellen Vorhaben unterstützt“.
Bis in jüngste Zeit in Kontakt
Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass das enge Verhältnis zwischen S. und dem Trio „bis in jüngster Zeit“ fortbestand. Ob er aber angeklagt werden kann, ist fraglich. Nachgewiesen werden können bislang nur Kontakte bis ins Jahr 1998. Die Sprengstofflieferung, die S. zugegeben hat, und die Wohnungsbeschaffung sind längst verjährt.
Thomas S. war einer der führenden Köpfe des neonazistischen Blood-&-Honour-Netzwerkes in Sachsen, in Chemnitz war er in der Skinhead-Gruppe „88er“ aktiv. Mundlos und Zschäpe hat er Anfang der 1990er Jahre auf einem Konzert der Neonaziband „Oithanasie“ kennen gelernt. Die Drei hätten sich über das „scheiß Gesaufe“ aufgeregt, sagte S. gegenüber Ermittlern des BKA aus. „Wir wollten feiern und Konzerte besuchen, aber die Drei waren eher politisch aktiv“.
In den 1990ern wurde S. mehrfach verurteilt, unter anderem wegen Beihilfe zur versuchten schweren Brandstiftung und gefährlicher Körperverletzung. Deshalb saß er auch im Gefängnis. Dort bekam er Post vom Trio und nach seiner Entlassung kam er mit Zschäpe zusammen. Es sei eher ein „loses Verhältnis“ gewesen, so S. bei seiner Vernehmung. „Ich hätte mir damals gern mehr gewünscht mit Beate.“
Thomas S., organisierte nicht nur Konzerte, sondern war auch an der Produktion von CDs beteiligt. Im Verfahren um die später verbotene Nazi-Band Landser wurde im Jahr 2000 ermittelt, dass S. zusammen mit dem ebenfalls als NSU-Helfer beschuldigten Jan W. den illegalen Vertrieb der CD „Ran an den Feind“ organisierte. 9.000 bis 10.000 Euro soll S. selbst für die Produktion beigesteuert haben. Dass S. damals aussagte – zuerst als Informant gegenüber der Bundesanwaltschaft, dann offen als Zeuge – kam bei seinen Kameraden gar nicht gut an. Auf einem Konzert verteilten sie Kopien seiner Vernehmung, er wurde verprügelt.
Um diese Zeit fing S. an, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Bislang unbeantwortet ist die Frage, wieso er so lange als VP geführt wurde. Thomas S. behauptet, er sei „seit Frühjahr 2001 aus der rechten Szene raus“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann