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Die Charta der Multirechte

MAI: Hinter verschlossenen Türen erarbeiten die Industrieländer ein Abkommen über die totale Freigabe von Auslandsinvestitionen. Widerstand verzögert das Vorhaben  ■ Von Nicola Liebert

Globalisierung total verspricht das Multilaterale Investitionsabkommen (MAI), das seit zweieinhalb Jahren hinter verschlossenen Türen verhandelt wird. Alle Multis sollen demnach künftig in der ganzen Welt praktisch unbegrenzte Freiheit genießen – ohne Angst vor Enteignung oder übermäßiger Besteuerung, ohne allzu lästige Umweltschutz- oder Sozialauflagen und ohne Schranken bei der Abfuhr der Gewinne.

Durch das MAI sollen ausländische Konzerne Gleichbehandlung gegenüber inländischen garantiert bekommen und von keinem Sektor ausgeschlossen werden – wie etwa der Erschließung von Rohstoffen, den Medien oder bei der Privatisierung von Staatsbetrieben. Sie sollen keinerlei Auflagen mehr unterliegen, etwa daß sie einheimische Unternehmen mit ins Boot nehmen oder vorwiegend lokale Vorprodukte benutzen müssen – so entwicklungspolitisch sinnvoll diese auch sein mögen.

Der Entwurf des Abkommens „liest sich wie der Wunschzettel der Großkonzerne an den Weihnachtsmann“, kommentiert der Geschäftsführer der entwicklungspolitischen Organisation WEED, Peter Wahl. Lange hat es gedauert, bis eine Debatte über die Gefahren des MAI in Gang kam. So hatten nichtstaatliche Gruppen bislang gar keinen offiziellen Zugang zu den Dokumenten. Es sei doch ganz „legitim, den normalen Bürger nicht zu fragen, unter welchen Rahmenbedingungen ein Unternehmen im Ausland investieren kann“, rechtfertigte das Bundeswirtschaftsministerium diese Geheimhaltungspolitik, als Gewerkschafter im vergangenen Sommer den Entwurf des Abkommens, übrigens erfolglos, anforderten.

Doch inzwischen bläst der Industrie der Wind ins Gesicht. Nicht nur die Gewerkschaften und andere nichtstaatliche Gruppen haben sich quergestellt. Regierungsbeamte stecken den MAI-Entwurf inzwischen schon mal den Opponenten des Abkommens zu. Auch die Industrieländer haben sich gründlich entzweit. Viele Regierungen, namentlich in den USA und der EU, möchten zwar für ihre Unternehmen gerne den bestmöglichen Zugang zu jedem Markt der Welt sichern. Aber immer nur bei den anderen.

So beharrt die EU darauf, als eigener Wirtschaftsblock weiterhin europäische Unternehmen gegenüber Investoren aus anderen Staaten bevorzugen zu dürfen, insbesondere im Finanz- und Versicherungsgewerbe und in der Luftfahrt. Speziell Frankreich, unterstützt von Kanada, will eine generelle Ausnahme für „kulturelle Angelegenheiten“, vor allem um die eigenen Filmproduzenten vor denen aus Hollywood zu schützen.

US-Bundesstaaten und Kommunen hingegen dürfen wohl ihre Investitionsbeschränkungen gegen Auswärtige beibehalten. Diese Streitpunkte scheinen den Verhandlungsparteien so gewichtig, daß nun wahrscheinlich das MAI doch nicht wie geplant im April auf dem OECD-Ministertreffen verabschiedet werden kann.

Darüber geraten die Knackpunkte des MAI leicht in den Hintergrund. Den derzeitigen Entwurf vom Oktober 1997 bezeichnet der Direktor des kanadischen Polaris- Instituts, Tony Clarke, als „Charta der Rechte und Freiheiten der transnationalen Konzerne“. Denn nur um die Rechte der Multis geht es – die Rechte von Regierungen oder gar Bürgern kommen nicht vor. Auch von Pflichten der Konzerne, etwa in Bezug auf Arbeits-, Verbraucher- und Umweltschutz, ist nicht die Rede.

Der Entwurf geht so weit, den Konzernen Klagerecht vor einem Schiedsgericht gegen Regierungen einzuräumen. So könnten sie nach MAI-Regeln gegen zu hohe Besteuerung auf Schadenersatz klagen mit der Begründung, daß diese einer schleichenden Enteignung gleichkäme. Umgekehrt haben Staaten aber keine Möglichkeit, das Schiedsgericht gegen unbotsame Investoren anzurufen.

Auch in einer anderen Hinsicht ist das MAI äußerst weitgehend gefaßt. Schützenswerte Investitionen sind demnach nämlich nicht nur Produktionsstätten, sondern auch reine Aktienbeteiligungen, die bekanntlich oft genug nur spekulativen Zwecken dienen. Noch wird verhandelt, ob nicht vielleicht eine Ausnahmeregelung in das Abkommen aufgenommen werden soll: Der Abfluß der mobilen Finanzanlagen müßte rechtzeitig gebremst werden, um zu verhindern, daß ein Land in Zahlungsbilanzschwierigkeiten gerät.

Letztlich beschneidet das MAI, wenn es in seiner gegenwärtigen Form verabschiedet wird, die Souveränität des Nationalstaats. Die Umweltorganisation Friends of the Earth USA hat einige Beispiele zusammengetragen: Taiwan dürfte nach Unterzeichnung und Ratifikation des MAI seine derzeitige Regelung nicht aufrechterhalten, die ausländische Investitionen in besonders umweltbelastende Industrien verbietet. Honduras könnte nicht länger landwirtschaftliche Investitionen in Regionen untersagen, in denen eine Agrarreform durchgeführt wurde. Kolumbien müßte sich von seinem Verbot von Investitionen in Lagerung oder Weiterverarbeitung von Gift- und Atommüll verabschieden. Selbst wenn einzelne Länder noch einzelne Ausnahmen im Abkommen durchsetzen können, so müssen sie diese doch nach den Regeln des Abkommens im Laufe der Zeit abbauen.

Nun könnte man annehmen, daß Entwicklungsländer, die ja nicht OECD-Mitglieder und daher auch nicht an der Formulierung des MAI beteiligt sind, dieses auch nicht unterzeichnen müssen. Die globale Realität ist jedoch eine andere. Da die meisten Länder auf ausländische Investoren und deren Geld angewiesen sind, werden sie sich nicht gegen die Unterzeichnung sträuben können.

Aus demselben Grund verfängt auch der Hinweis der MAI-Befürworter nicht, daß das Abkommen ja auch jedem Land das Recht beläßt, Gesetze etwa zum Schutz der Umwelt oder der Bauern zu verabschieden – sofern sie nur für in- und ausländische Konzerne gleichermaßen gelten. Wegen der großen internationalen Standortkonkurrenz trauen sich nämlich viele Länder gar nicht mehr, Gesetze mit hohen Standards zu formulieren. sonst geht das Kapital einfach ein anderes Land.

Doch hier scheint die Opposition gegen das MAI Bewegung in die Sache gebracht zu haben. So soll ein Paragraph in das Vertragswerk aufgenommen werden, wonach Umwelt-, Arbeits- und Gesundheitsstandards nicht gesenkt werden dürfen. In der Präambel dürfte als eine Art Signal das Gebot nachhaltigen Wirtschaftens festgeschrieben werden. Noch nicht entschieden ist, ob die international gültigen Standards der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) als bindende Verpflichtung in MAI integriert werden. Dies wären das Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit sowie von Diskriminierung, außerdem das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren, und Tariffreiheit. Insbesondere die USA haben sich bei der letzten Verhandlungsrunde vor zwei Wochen für Umweltschutz und Arbeiterrechte stark gemacht, zum Beispiel für die Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen bei bestimmten Vorhaben.

Die jetzt verhandelten sozialen und ökologischen Einsprengsel in das MAI mögen sehr schwach erscheinen. Dennoch sind sie bereits geeignet, die Industrie gewaltig in Rage zu bringen. Der stellvertretende Chef der niederländischen Chemiefirma Akzo Nobel, Herman van Karnebeck, der der Beratungsgruppe der Industrie für die OECD vorsteht, protestierte über die „verstörenden Anzeichen“, daß nicht alles nach Wunsch der Industrie läuft. „Was, beginnen wir uns zu fragen, hat uns das MAI dann noch zu bieten?“

Die Angst der Industrie hat wohl weniger mit den aktuellen ökologischen und sozialen Verbesserungsvorschlägen zu tun, denn diese sind tatsächlich bescheiden. Die Sorge bezieht sich auf das Potential, das ein solches umfassendes multilaterales Abkommen in sich trägt: die Chance, erstmals international einheitliche Umwelt- und Sozialstandards verbindlich zu machen.

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