: Irrtum einer Ikone
Muss man wie Doris Lessing die verunsicherte Spezies Mann mütterlich unterstützen gegen die Feministinnen? Wohl kaum, denn sie hat an ihren Problemen selbst Schuld
Schlecht ist es bestellt um die brustbehaarte Hälfte der Menschheit. Erst sagen ihr übellaunige Feministinnen den Kampf an. Dann entdecken Postfeministinnen den Einsatz unlauterer Mittel, nämlich das offensive Anwenden weiblicher Attribute, um selbst Publicity und Kohle einzuheimsen. Und schließlich stellen Trendbüros fest: Das neue Jahrhundert gehört den Frauen.
Seit längerem formiert sich der Abwehrdiskurs: Im Internet baut Robert T. Müller ein ganzes Site-Imperium auf, um zu beweisen, dass mehr Frauen gewalttätig sind als Männer. Links führen zu Pappa.com, wo sich Väter im Kampf um ihnen vorenthaltene Sprösslinge verbünden. Jenseits des Jammerns versucht der lad, verlorenes Terrain zurückzugewinnen: In Zeitschriften wie FHM oder Maxim kommt der Kerl wieder zu sich selbst: Bizeps trainieren, Frauen abschleppen und die coolsten Tipps für den Weg nach ganz oben.
Sorgen um die bedrohte Spezies Mann machen sich aber nicht nur intellektuelle Leichtmatrosen wie Dietrich Schwanitz, sondern auch, man glaubt es kaum, Doris Lessing. Ausgerechnet sie, die urfeministische Ikone für das schwache Geschlecht. Die Schriftstellerin, die in ihrem Hauptwerk, „Das goldene Notizbuch“, Anfang der 60er-Jahre mit einer klaustrophobisch wirkenden Szenerie unterdrückter Frauen aufwartete, teilte beim Literaturfest in Edinburgh ordentlich aus gegen die Sisterhood: Die Feministinnen seien zu weit gegangen, Männer nun die neuen stillen Opfer des Geschlechterkampfes, „ständig erniedrigt und beleidigt“. Statt ihre Energie in sinnvolle Dinge wie den Ausbau von Kinderbetreuung zu stecken, würden Feministinnen „faul und hinterhältig auf Männer eindreschen“.
Schuljungen würden mit der Schuld aller von Männern verübten Verbrechen beladen, wenn Lehrerinnen ihnen etwa erzählten, dass die Ursache des Krieges die Gewalttätigkeit der Männer sei. Lessing selbst habe dies erlebt, erzählt sie: „Man konnte kleine Mädchen sehen, fett vor Selbstgefälligkeit und Einbildung, während die kleinen Jungen zusammengekrümmt dasaßen, sich für ihre Existenz entschuldigten und dachten, dies sei nun das vorgegebene Muster ihres Lebens.“ Der Feminismus sei wie eine Religion geworden, die man nicht verraten dürfe. „Es ist endlich Zeit, dass Männer zurückschlagen.“
Muss man Männer also bedauern und mütterlich bestärken, den bösen Feministinnen die Stirn zu bieten? Applaus ist der Autorin sicher: Nutzen die Frauen ihre angebliche Schwäche nicht mittlerweile schamlos aus? Unterhaltszahler, Quotenverlierer und Katalogfrauenbesteller wussten schon immer, dass mit dem Feminismus etwas nicht stimmt. Eine kleine statistische Erhebung würde diese Spekulationen allerdings schnell zurechtrücken: Hätte sich die Quote durchgesetzt, sähen die Führungsetagen in Deutschland anders aus, würden die meisten Väter um ihr Kind kämpfen, gäbe es ein paar allein erziehende Väter mehr, und mit Beratungen, wie man sich Unterhaltszahlungen entziehen kann, verdiente sich mancher Steuerberater noch einen Extraurlaub.
Dennoch ist etwas dran, an der Klage Lessings. In der Tat hat der Feminismus die Männer lediglich mit der historischen Schuld von „mindestens“ 2.000 Jahren Unterdrückung beladen. Ein Konzept von Männlichkeit jenseits der schlichten Negation bot er dagegen nicht. Wie soll eigentlich ein Junge eine vernünftige Identität ausbilden, wenn er für seine Männlichkeit schon mal präventiv verhaftet wird?
Man würde jedoch dem Feminismus zu viel der Ehre antun, wenn man ihn für ein beschädigtes Konzept von Männlichkeit verantwortlich machte, wie Lessing es versucht. Die Zeiten des Dumpf-Feminismus, der den Testosteronüberschuss des Mannes an sich geißelt, sind vorbei. Was Männer mit dieser Hormonlage anfangen, ist die spannende Frage. Und da sind durchaus Schäden zu besichtigen. Nur existierten die, lange bevor Feministinnen anfingen, sie sichtbar zu machen. Nicht am Feminismus krankt der Mann, sondern an seiner verkorksten Identität.
Psychologen, die mit gewalttätigen Männern arbeiten, berichten, dass es dann Schläge setzt, wenn der Mann das Gefühl hat, die Kontrolle zu verlieren. Es ist der Mann, dessen Ich in unsicheren Zeiten die Auflösung droht, wenn es nicht eindeutige Konturen von außen erhält. Ohne Rollenvorbild in der Kindheit ist ein starkes Ich schwer zu erwerben. Die Flucht in die Kontrollmännlichkeit, die Megamännlichkeit, so versuchte etwa die amerikanische Publizistin Susan Faludi nachzuweisen, entsteht aus der Auflösung des Typus väterlicher Mann, der Verantwortung für seine Familie trägt. Faludi befragte Arbeiter und Angestellte, die beim „Downsizing“ der US-Wirtschaft in den 70er- und 80er-Jahren entlassen wurden und plötzlich der Ansicht waren, dass Frauen ihnen die Arbeitsplätze wegnähmen. Oder Mitglieder von Jungengangs, die mit Frauen nur zu einem Zweck ins Bett gehen: um ihre ganginterne Punktzahl zu erhöhen. Was sie jenseits frauenfeindlicher Sprüche hörte, waren Klagen über Männer: Die Interviewpartner waren von ihren Vätern tief enttäuschte Söhne, die kein Konzept für ihr Männerbild finden und in den Kontrollmodus fliehen.
Faludis Berichte erinnern an David Finchers Film „Fight Club“: Der Protagonist Tyler Durden stopft das Loch in seiner Persönlickeit mit selbst gegründeten Schlägerclubs – für Frauen kein Zutritt – und schließlich mit einer eigenen Armee, die eine Stadt in Trümmer legt. Durden selbst erklärt im Film seine Aggressionen mit der Angst vor der übermächtigen Mutter. Zudem korrespondierten die Aggressionen mit einer inneren Leere, was die eigene Geschlechtsidentität angeht: Kein Vater, nirgends. Es ist nicht das Konzept einer neuen Weiblichkeit, das nicht funktioniert, sondern das einer pervertierten Männlichkeit. Die wiederum sieht Faludi verstärkt durch die „ornamentale“ Kultur einer Konsumgesellschaft, in der es wichtiger ist, einen Namen zu haben, als das Richtige zu tun: Der Gangster, der im Gefängnis seine Memoiren schreibt, bekommt die Bestätigung, die er sucht, allemal schneller als jemand, der Verantwortung in einem Bürojob übernimmt.
Solch eine Kultur der äußeren Bestätigung schrieb man früher Frauen zu: „Es sind dieselben Züge, die man seit langem mit weiblicher Eitelkeit in Verbindung bringt. Es sind trivialisierende und entwürdigende Züge, die ihnen eine frauenfeindliche Gesellschaft angedichtet hat. Es ist kein Wunder, dass Männer so leiden. Sie verlieren nicht nur die Gesellschaft, für die sie einmal wichtig waren, sie gewinnen genau die Welt, die Frauen vor kurzem als entwürdigend und entmenschlichend abgeschüttelt haben.“ Und die Frauen? Sie machen es, so weit hat Lessing Recht, nicht besser, wenn sie, wie die beschriebene Lehrerin, bei der Anklage stehen bleiben und das schwache Selbstbild der Jungs weiter untergraben. Nur: mit „Zurückschlagen“, wie Lessing es fordert, kam Tyler Durden auch nicht weiter.
HEIDE OESTREICH
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