: Krieger und Schnüffler
Die grüne Europaabgeordnete Ilka Schröder stellt Strafanzeige gegen das Überwachungssystem „Echelon“. Die amerikanische „National Security Agency“ plant Angriffskriege im Internet
von NIKLAUS HABLÜTZEL
Fast hätte es die eletronische Spionage in diesem Sommer geschafft, zu einem Hauptthema der europäischen und auch der deutschen Politik zu werden. Aber eben nur fast. Echelon, das weltumspannende, elektronische Spionagenetz des Pentagon und seiner High-Tech-Abteilung National Security Agency (NSA), gleicht einem Gespenst, das wie ein dunkler Schatten hinter dem Glanz der schönen neuen Internetwirtschaft lauert, mal in der Diskussion unter Experten auftaucht, dann wieder verschwindet. Wenn aber wahr ist, was die Journalisten Nicky Hager und Duncan Campell in den letzten Jahren an die Öffentlichkeit gebracht haben, dann ist nichts und niemand mehr vor diesem System mehr sicher, und das je weniger, je mehr die Kommunikation in Computernetzen zum Alltag wird. Der inzwischen zwei Jahre alte Bericht von Hager und Campells Report im Auftrag der EU sind unter anderem nachzulesen beim Onlinemagazin Telepolis (www.heise.de/tp/deutsch/special/ech/6748/1.html). Keine E-Mail, keine Geschäftsverbindung, keine Surftour und kein Medienkonsum über die künftigen Breitbandnetze könnte danach den Spähern der NSA entgehen – wenn sie sich denn dafür interessieren.
Die Existenz dieses auf mehrere Horchstationen in den USA, Kanada, Australien und auch in Bad Aibling, Deutschland, gestützten Spionagenetzes wird nicht mehr bestritten. Im Frühjahr gab auch die deutsche Bundesregierung in der Antwort auf eine kleine Anfrage der FDP zu, dass sie davon informiert sei. Worum es sich aber im Einzelnen handle, sei der zuständigen Abteilung nicht bekannt. Eine sich daran anschließende, kurze Debatte im Bundestag konnte diese Frage auch nicht weiter aufklären. Etwas energischer meldete sich das Europaparlament zu Wort. Die Grünen forderten Ende März eine Untersuchungskommission. Die dafür notwendige Zahl von Unterstützungsunerschriften hatten sie gesammelt, das Parlament lehnte den Antrag aber dennoch ab. Damit war Echelon war wieder in den Dunstkreis der Gerüchte zurückgefallen.
Diesen Montag hat die grüne Europaabgeordnete Ilka Schröder noch einmal einen Versuch unternommen, dem Thema die Aufmerksamkeit zu verschaffen, die ihr nötig erscheint. Sie hat bei der Staatsanwaltschaft in Berlin (ihrem Wohnsitz) eine Strafanzeige eingereicht – „gegen unbekannte Tatverdächtige insbesondere in den USA und Großbritannien“. Auch die Bundesregierung sei „gegebenenfalls“ wegen der „in Frage kommenden Delikte“ haftbar zu machen, meint die Europaabgeordnete.
Der Text der Anzeige ist unter www.ilka.org abrufbar. Er zählt ein gutes Duzend Paragrafen auf, unter anderem sei möglicherweise durch das System Echelon auch „das Patent-, Gebrauchsmuster- und Halbleiterschutzgesetz“ verletzt. Schwerer wiegen indessen die möglichen Verstöße gegen die Paragraphen 201 und 202 des Strafgesetzbuches, welche die „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“ und das „Ausspähen von Daten“ unter Strafe stellen.
Aus gutem Grund möchte die Abgeordnete unter „Daten“ auch gesichert und verschlüsselt versandte E-Mails verstanden wissen. Immerhin rühmt sich die NSA auf ihrer Website (www.nsa.gov), der größte Arbeitgeber für Mathematiker Amerikas und führend auf dem Gebiet der Kryptografie zu sein.
Über einen Erfolg ihrer Anzeige macht sich freilich Ilka Schröder keine großen Illusionen. Um den öffentlichen Druck auf die Ermittlungsbehörden zu erhöhen, fordert sie im Forum von Telepolis dazu auf, weitere Anzeigen dieser Art zu stellen.
Aber auch in den USA ist die NSA in die Kritik geraten. Bürgerrechtsorganisationen argwöhnen ohnehin seit langem Übergriffe auf die Privatsphäre amerikanischer Bürger. Inzwischen mehren sich aber auch Vorwürfe, dass die kostpielige Organisation trotz ihres mysteriösen Horchnetzes zu wenig greifbare Erfolge vorweisen könne.
Amerikas Interessen
Am selben Tag, an dem Ilka Schröder in Berlin ihre Strafanzeige stellte, lud der Chef der NSA, General Michael von Hayden, in Baltimore zur Pressekonferenz. Er nahm die Krtik an seiner Organisation zum Anlass, die wahre Größe der Aufgabe zu erläutern, vor der die elektronische Spionage heute stehe. Das bloße Abhören elektronischer Post aller Art reicht danach längst nicht aus. Die allgemeine Aufgabe des Pentagon, nämlich die USA zu „Land, zur See und in der Luft“ zu verteidigen, stelle sich sinngemäß heute auch für den virtuellen Raum der Computernetze.
Die NSA, so der General weiter, betrachte den Cyberspace deshalb schon jetzt als Schlachtfeld, für das seine Ingenieure geeignete Waffen entwickeln wollen. Allerdings – und ein gewisses Bedauern war in seinen Worten nicht zu überhören – verbiete es die Rechtslage heute noch, elektronische Angriffsstrategien zu entwickeln – die NSA war seinerzeit lediglich als Organisation zur Abwehr sowjetischer Spionagetechniken gegründet worden. Ungeachtet dieses historischen Umstandes habe aber die NSA schon immer weiter in die Zukunft gedacht, versicherte der General. Pläne für elektronische Angriffstechniken seien deshalb in Arbeit.
Eher unfreiwillig gab General Hayden damit auch zu, dass der Verdacht, die NSA habe während des Krieges im Kosovo auch versucht, den Datenverkehr in Serbien zu sabotieren, so unbegründet nicht ist, wie bisher von offizieller Seite immer behauptet wurde. In der Tat, wurde auf der Pressekonferenz auf Fragen von Journalisten eingeräumt, habe man auch serbische Computernetze kontrolliert. Von einem elektronischen Angriff könne man aber nicht sprechen, denn: „Wir blieben weit unter den technischen Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen.“
Kritiker des Echelon-Systems hofften bisher vergeblich auf Unterstützung der Industrie. Ilka Schröders Anzeige führt auch einige Tatbestände der Industriespionage an, die nach deutschem Recht zum Teil sogar dann strafbar sind, wenn die Tat im Ausland begangen wurde. Falls die Ermittler diesen Hinweisen nachgehen wollen, haben sie allerdings nur mit Spott zu rechnen. Die NSA bestreitet nicht im Geringsten, auch Computernetze privater Industrieunternehmen auszuforschen. Der Vorwurf der Industriespionage sei aber absurd, schrieb ein ehemaliger Mitarbeiter der CIA im Wall Street Journal: Es lohne sich nämlich ganz einfach nicht, den Europäern ihre rückständige Technologie zu stehlen. niklaus@taz.de
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