: Mainstream im Pazifik
Globalisierungskino als Konsensprinzip, das geradewegs in die Beliebigkeit führt: Danny Boyles Film „The Beach“ ignoriert die Details und verschenkt die Stärken von Alex Garlands Romanvorlage ■ Von Detlef Kuhlbrodt
1. Thailand
Im Zwischenraum zwischen Schule und Beruf fahren junge Leute gern als Rucksacktouristen nach Asien. Thailand ist im Allgemeinen die erste Station, denn die Thais sind sehr freundlich und ihr Land orientiert sich am Westen, jedenfalls so weit, dass der Kulturschock auch für Asienunerfahrene noch im Bereich des relativ einfach zu Konsumierenden bleibt. Junge Rucksacktouristen landen zunächst in der Khaosan Road in Bangkok, wo all die anderen Rucksacktouristen und die billigen Rucksacktouristen-Guesthouses auch sind, was einige von ihnen schnell nervig finden.
Mit Pauschal- oder gar Sextouristen wollen sie nichts zu tun haben; stattdessen sind sie auf der Suche nach unberührten Paradiesen und interessieren sich nicht so sehr fürs kulturelle Erbe der Thais. Vor allem interessieren sie sich selten für das gegenwärtige moderne Thailand. Die jungen Traveller suchen nach dem, was man nicht kaufen kann. Deshalb sparen sie, um Zeit zu gewinnen, feilschen engagiert mit Taxifahrern, wenn sie fünf statt, wie sie dachten, vier Mark zu bezahlen haben, verachten Pauschaltouristen, lassen sich nicht übers Ohr hauen und wissen, wo alles am billigsten ist.
Während die Durchschnittstouristen – allein über 300.000 aus Deutschland im Jahr – zwei Wochen im Land bleiben, ziehen Traveller mindestens zwei Monate durch die Gegend. Während sie auf zauberhaften Inseln ihren heimischen kulturellen Angewohnheiten nachgehen – kiffen & Techno tanzen im Mondschein und auch mal nackt baden –, beschweren sich die jungen Rucksacktouristen aus dem Westen gern darüber, dass Thailand mittlerweile zu westlich geworden sei.
Manche versuchen sich mit ihren thailändischen Gastgebern wenigstens symbolisch zu verbrüdern, lernen ein paar Worte und blicken dann verächtlich auf die anderen Westler als farangs herab, die zwei Worte weniger gelernt haben. Oder sie meiden die Begegnungen mit Einheimischen und sehnen sich nach einsamen Paradiesinseln.
So ungefähr schien es mir mit den jungen – durchaus oft sympathischen – Rucksacktouristen aus dem Westen zu sein, als ich vor einem Jahr in Thailand war; zur gleichen Zeit, als Leonardo DiCaprio dort „The Beach“ drehte. Damals demonstrierten einige thailändische Umweltschutzgruppen gegen das Filmprojekt, für das die Natur auf einer naturgeschützten Insel verändert werden musste, damit sie noch natürlicher aussah. Leonardo DiCaprio sagte, er liebe Thailand und seine Bewohner, und lächelte hübsch. Natürlich lieben auch thailändische Teenager Leonardo DiCaprio. In einem Leserbrief in der in Bangkok erscheinenden Zeitung The Nation empörte sich ein Kanadier darüber, dass der thailändische Premier Chuan Leekpai die Einladung DiCaprios ausschlug, sich mit ihm zu treffen und über diese Dinge zu diskutieren, und schloss mit dem Satz: „This is the difference in developed nations and developing nations. Had this been another country, he would certainly already be having dinner and a meeting with the premier/president.“
2. Das Buch
1996 gelang dem damals 26-jährigen Londoner Schriftsteller Alex Garland ein schöner Erfolg: Sein Romandebüt „The Beach“ wurde ein Weltbestseller und in viele Sprachen übersetzt. Der fast fünfhundertseitige Roman schildert auf anschauliche und spannende Weise die Erlebnisse von Richard, einem jungen englischen Traveller, dem schon am ersten Tag in Bangkok Außergewöhnliches widerfährt. Nachts in einem Guesthouse kifft er mit Daffy Duck, einem ziemlich durchgedrehten Typen, der sich wenig später die Pulsadern aufschneidet und ihm die handgezeichnete Karte einer Insel hinterlässt, auf der eine international und multireligiös besetzte Hippiegesellschaft ihr Utopia lebt. Mit einem französischen Pärchen bricht Richard auf zu der Insel, deren utopische Gesellschaft später unter anderem an ähnlichen Dingen zu Grunde geht wie schon die in „Lord of the Flies“. Garlands Roman, in dem Thais nur als schwer bewaffnete und äußerst gefährliche Wächter einer Marihuanaplantage vorkommen, ist nicht nur äußerst spannend, sondern vor allem auch in Details sehr schön beobachtet.
Wenn er über die praktischen Dinge des Zusammenlebens auf der Insel schreibt, die Arbeitseinteilung zum Beispiel, wenn er die Eifersüchteleien und Rangkämpfe innerhalb der Gruppe ausführlich schildert, wenn er von der ja tatsächlich verbreiteten Sehnsucht nicht nach einer anderen Welt, sondern nach einem „Paralleluniversum“ berichtet (in das der schüchterne Held auch mit seinem Gameboy immer wieder eintaucht), ist das Buch am besten.
Die wirkliche Fremde interessiert die Helden nicht; sie suchen eher nach dem vorindustriellen Matriarchat der Hippies, den ozeanischen Gefühlen, die manche Drogen erzeugen, wenn’s gut läuft, und finden schließlich nur die Allgemeinplätze einer dunklen, bösen Welt in sich selbst, wenn sie, kurzzeitig irrsinnig geworden und total stoned, gegen Ende des Buchs wie wild auf vier Leichen einstechen.
3. Weltkino
Globalisierungskino ist ein weltweites Konsensprinzip über drei, vier existenzielle Grundgefühle der Menschen mit dementsprechender, alle Bilder zukleisternder Tonspur gefälligen Technos (Moby, Chemical Brothers usw.). Danny Boyle, der sich in „Trainspotting“ schon etwas, nur etwas, zu weit von England entfernt hatte, hat vielleicht versucht, mit „The Beach“ Weltkino zu machen, nur ist er auf halbem Weg stehen geblieben. Indem er auf essenzielle Details der Romanvorlage verzichtet, Helden ohne Not verallgemeinert, umformt oder wegstreicht, die sozialen Organisationsformen der Hippies nur noch am Rande thematisiert, den Westhelden ein wenig Schuld wegnimmt, die er den Thais dann aufbürden kann, indem er den schüchtern in sich versponnenen Helden des Romans seinen Sex ausleben lässt und ihn so vereinfacht, landet er schließlich im Beliebigen. Die wirklichen Dinge, denen die meisten Westler auf ihren ersten Tagen in Thailand begegnen – Durchfall zum Beispiel und die Komplikationen, die damit zu tun haben, dass man in allen Billigabsteigen kein Toilettenpapier verwenden darf –, interessieren ihn eh nicht, und wie es die Leute schaffen, nach sechs Jahren auf einer Insel immer noch so proper und stets frisch rasiert herumzulaufen, erklär mir mal einer.
Besonders unerträglich ist die Tonspur, mit der Boyle seinen Film zugekleistert hat. Vor ein paar Jahren wäre es noch schön gewesen – Moby, Chemical Brothers usw. –, inzwischen klingt es nur noch wie eine Simulation x-ter Ordnung für den Welt-Mainstream. Es wabert halt so gefällig daher; mal im Hintergrund, mal sich laut nach vorne drängend, wenn Aufregendes ansteht. Man schließt die Augen und alles wird gleichgültig: „Acid-House“, „Trainspotting“, „Magnolia“, „Matrix“ – eine Soße.
„The Beach“ wird kein Blockbuster werden. Der Weltstar Leonardo DiCaprio erstickt im luftleeren Raum zwischen dem Versuch einer Charakterdarstellung und dem, was er am besten kann – immer und überall gut aussehen. Wenn er gut spielt, sieht er eben so aus wie Leute aus einem bestimmten Milieu, das man kennt. Trotzdem hat DiCaprio – der schöne Hahn im goldenen Käfig, der bei seinem Berlinale-Kurzbesuch nichts zu Haider sagen wollte, und wenn er gefragt worden wäre, hätte er wohl gesagt, er hätte auch schon mal ein bisschen inhaliert – einige schöne Szenen. Nicht nur die sehr romantische Unterwasserumarmung mit Virginie Ledoyen, von der alle schwärmen; am besten spielt er, als ihn ein körperlich weit überlegener Hippie an den Eiern packt und sagt, er solle die Finger von seiner Freundin lassen.
„The Beach“. Regie: Danny Boyle. Mit Leonardo DiCaprio, Virginie Ledoyen, Robert Carlyle. USA 1999, 119 Min.
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