: Die Zukunft der Westsahara bleibt weiterhin ungewiss
■ Die UNO hat das Referendum über die Unabhängigkeit der früheren spanischen Kolonie, die heute von Marokko besetzt ist, nach Einsprüchen aus Rabat um ein Jahr verschoben
Madrid (taz) – Die über 150.000 sahrauischen Flüchtlinge in Westalgerien reden seit Monaten von nichts anderem als von der Rückkehr in ihre seit 1975 von Marokko besetzten Heimat. Jetzt musste sie Kofi Annan erneut enttäuschen. Das für den 31. Juli 2000 vorgesehene Referendum über die Unabhängigkeit der ehemaligen spanischen Kolonie Westsahara müsse „mindestens auf das Jahr 2002 verschoben werden“, so der UN-Generalsekretär am Dienstag Abend in New York.
„Die Möglichkeit, eine Volksabstimmung innerhalb eines vernünftigen Zeitraumes abzuhalten, rückt in immer weitere Ferne“, lautet die pessimistische Schlussfolgerung Annans in seinem Bericht an den UN-Sicherheitsrat. Seit 1992 versucht die UN-Mission für die Westsahara (Minurso), den Streit zwischen dem Königreich Marokko, das den afrikanischen Landstrich gegenüber den Kanarischen Inseln für sich beansprucht, und der Befreiungsbewegung Polisario, die für die Unabhängigkeit der Westsahara eintritt, zu schlichten. Zwar halten sich beide Seiten bis heute an einen 1991 geschlossenen Waffenstillstand, doch die Volksabstimmung über die Unabhängigkeit scheiterte immer wieder an der Frage der Wahlberechtigten. Auch dieses Mal muss der Urnengang wegen „Probleme bei der Wählerzulassung“ verschoben werden.
Bis zum Februar diesen Jahres hatte die UN-Mission 190.000 Menschen registriert. 84.251 davon wurden Anfang des Jahres als Wähler zugelassen. Gut die Hälfte lebt in den von Marokko besetzten Gebieten, der andere Teil in den Polisario-Flüchtlingslagern im algerischen Tindouf und in Mauretanien. Marokko akzeptiert diese Zahlen nicht und hat 79.000 Widersprüche eingelegt. Dies sei die Zahl der Sahrauis, die nicht berücksichtigt worden seien. Für die Polisario handelt es sich um Marokkaner, da ihre Familien in der letzten kolonialen Volkszählung von 1974 nicht aufgeführt sind. Die Minurso sieht dies genauso. Dennoch wird sie jetzt Akte für Akte überprüfen müssen. Umstritten ist auch die Registrierung von 65.000 Mitgliedern dreier Wüstenstämme. Während die Minurso davon ausgeht, dass höchstens 4.000 dieser Menschen lange genug in der Westsahara leben, um wählen zu dürfen, behauptet Rabat, sie alle seien Sahrauis, die einst vor den Spaniern nach Marokko geflohen seien. Der Vorsitzende der Polisario, Mohammed Abdelaziz, mahnte die UNO zu Eile und warf Mohammed VI. vor, die gleiche Verzögerungstaktik anzuwenden wie sein verstorbener Vater Hassan II. Bereits vor zwei Monaten hatte die Polisario gedroht, den bewaffneten Kampf wieder aufzunehmen, „falls Marokko den Juli 2.000 als Datum für das Referendum nicht akzeptiert“.
Reiner Wandler
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