Gedenkkultur: Täter und Opfer auf einem Stein
SS-Männer und Nazi-Opfer gleichberechtigt auf demselben Mahnmal: Ein Gedenkstein im Wohnort von Ministerpräsident Christian Wulff sorgt weltweit für Empörung.
Ikea, Kind-Hörgeräte, Wohnsitz von Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) - das war es, was man bisher mit Großburgwedel verband. Jetzt steht der Vorort von Hannover weltweit am Pranger. Am Volkstrauertag soll ein Mahnmal enthüllt werden, das Nazi-Opfer und SS-Männer gleichberechtigt nebeneinander stellt. Jüdische Medien und Verbände protestieren weltweit gegen die "Verunglimpfung" ihrer Toten, die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten sieht das Ansehen Deutschlands gefährdet, und Antifa-Gruppen drohen zur Einweihung mit Randale.
Wer in der 7.500-Seelen Gemeinde herumfragt, wie es zu diesem Schlamassel kommen konnte, wird auf eine Tafel verwiesen, die nach Meinung der meisten Beteiligten die politische Correctness des Mahnmals sicherstellt. Dort heißt es: "Unseren Gefallenen der beiden Weltkriege, den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft 1933 bis 1945, von Flucht und Vertreibung".
Dass man sich erst nach monatelangen Querelen auf den Text einigen konnte, erzählt man nicht so gern. Ebenso wenig, wie das Mahnmal zustande kam. Daran wollen sich nämlich die wenigsten erinnern.
ist der Wohnort von Ministerpräsident Christian Wulff (CDU)
Lage: nordöstlich von Hannover
Einwohner: 9.500
Bedeutung: Verwaltungssitz des Mittelzentrums Burgwedel (Ortsteile), Mitglied im Verein "Niedersächsische Spargelstraße e.V."
Politik: die CDU regiert mit absoluter Mehrheit, bei den Kommunalwahlen 2006 heimste sie 53 Prozent der Stimmen ein.
Aktivitäten: ein Bridge-Treff, ein Schützenverein, die "Soldatenkameradschaft Burgdorf 1878", zwei Golf-Clubs, diverse Reitvereinigungen, ein Krankenhaus, ein Schulzentrum mit Gymnasium, Realschule, Hauptschule und Sonderschule, ein Freibad
Besonderheiten: Sitz der "General Wöhler Stiftung", die aus dem Erbe des 1948 in Nürnberg verurteilten Kriegsverbrechers Otto Wöhler errichtet wurde. Vorstandsmitglied ist der CDU-Ortsbürgermeister Otto Bahlo.
Auch nicht Hendrik Hoppenstedt, Verwaltungschef der übergeordneten Gemeinde Burgwedel. Der 36-Jährige wurde eben erst zum Chef des CDU-Kreisverbandes Hannover-Land gewählt und gilt als schwarzer Shootingstar. Nun kratzt die Affäre an seinem Sieger-Image. Hoppenstedt umschreibt die Gedenkstätte als "Bürgeranliegen, das an mich herangetragen wurde", spricht von demokratischen Beschlusslagen und davon, wie sehr ihn der Vorwurf, man ehre SS-Männer, "persönlich getroffen hat". Schließlich habe man nur das Beste gewollt.
Das Beste, sagt Sozialdemokrat Rudolf Gutte, hieß 2007 allerdings noch nicht "Mahn"-, sondern "Ehrenmal", und zwar ausschließlich für die im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten. Das gab es in sechs Burgwedeler Ortsteilen, aber eben nicht in Großburgwedel. Ein unhaltbarer Zustand, nach Guttes Version vor allem für die "Soldatenkameradschaft Burgwedel". Von ihr sei der Großburgwedeler CDU-Ortsbürgermeister Otto Bahlo aktiviert worden, der die Sache ins Rollen gebracht habe.
Bahlo nennt Guttes Darstellung "falsche Anschuldigungen". Dass er gern in Kameradschaftskreisen verkehrt, ist allerdings stadtbekannt. Gutte verweist auf die Protokolle diverser Arbeitsgruppensitzungen, da sei alles nachzulesen. Die Familie des 71-Jährigen war im Widerstand, eine Großmutter wurde von den Nazis ermordet, weshalb für ihn fest stand: Wenn ein Mahnmal errichtet wird, dann nur für alle Opfer der Tyrannei. Eine Ansicht, der sich letztlich der Ortsrat anschloss, wenn auch nur auf Druck von Hoppenstedt. Der will davon nichts mehr wissen. Verständlicherweise. "Das blöde Gesamtbild" seiner Gemeinde hat schon genug Brauntöne.
Hoppenstedt kann dafür wenig. Er war es, der immerhin dafür sorgte, dass die Angelegenheit öffentlich diskutiert wurde. Er band die Geschichts-AG des örtliche Gymnasium ein, die, gestützt von einer Historikerin, den Hintergrund recherchieren sollte. Und er wies den Ortsrat nochmals in die Schranken, als der sich weigerte, 27 Säuglinge polnischer Zwangsarbeiterinnen auf dem Mahnmal zu verewigen, die in einem Großburgwedeler Heim verhungert waren.
Darüber hinaus ermittelten die Schüler 180 Menschen, die, so die Kriterien, im Ort geboren und hier während des Nazizeit ermordet wurden: darunter Euthanasie-Opfer, die in der Pestalozzi-Stiftung starben, drei jüdische Mitbürger und drei Sinti. So weit war alles auf einem guten Weg, und die Stadt beauftragte den Bildhauer Peter Lechelt, eine Stele zu entwerfen.
Bis sich herausstellte, dass unter den 142 Soldaten fünf SS-Männer und ein Scherge des Gestapo-Sicherheitsdienstes waren. Gutte und Genossen bestanden darauf zu überprüfen, ob die SS-Männer Verbrechen begangen hatten. Als der Ortsrat nach langem Gezänk einwilligte, kündigte die Soldatenkameradschaft ihre Teilnahme am Volkstrauertag auf, wegen "Verletzung der Werte des Soldatentums". Die "(Schützen)gräben" müssten endlich "überwunden werden", mahnte die Lokalzeitung Nord-HAZ. Vergeblich.
Denn mittlerweile protestierten weltweit jüdische Medien und Organisationen wie die Simon-Wiesenthal-Stiftung oder die Deutsch Israelische Gesellschaft. Auch die Stellungnahme der jüdischen Gemeinden Niedersachsens ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. SS-Männer auf demselben Mahnmal wie jüdische Opfer, das sei "nicht vertretbar", sagte der Vorsitzende Michael Fürst. Er bat darum, die Juden nicht zu nennen.
Die Stadt kam dieser Forderung zähneknirschend nach, doch die Sache wurde dadurch nicht besser. Mittlerweile haben die Recherchen des Niedersächsischen Instituts für Historische Regionalforschung ergeben, dass vermutlich mindestens zwei der SS-Männer in Kriegsverbrechen verwickelt waren. Der Ortsrat beschloss daraufhin, die Namen aller SS-Männer unkenntlich zu machen. Im Rathaus fürchtet man dennoch einen heißen Volkstrauertag. Im Internet kursiert ein mit "Lindener Butjer" gezeichneter Aufruf: "Deutsche Täter sind keine Opfer! Nieder mit dem Denkmal für Nazis! Kommt am 15. 11. 09 zum Großburgwedeler Friedhof!"
Um den Gottesanger patrouilliert der Staatsschutz. Vom Großburgwedeler Bürger Christian Wulff war zu der Affäre bisher kein Wort zu hören.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption