: Nicht nur Ziegenmist stinkt
Die Firma Petri-Feinkost plant Europas größte Ziegenfarm auf einer vormaligen niedersächischen Landesdomäne. Beim Verkauf sei getrickst worden, sagen Kritiker, die zudem Tierquälerei befürchten.
Ein Käsefabrikant, der mitten im Naturschutzgebiet Massentierhaltung betreiben will, renitente Bürger, die dagegen Sturm laufen, und Politiker, die dem Privatkapital aus Kumpanei freie Bahn verschaffen. Dieses Gemisch von olfaktorischen Zumutungen und Verschwörungstheorien verheert seit Wochen ein Weseridyll im Landkreis Holzminden.
Tatort ist die ehemalige Landesdomäne Heidbrink in der Samtgemeinde Polle. Den Buhmann gibt die Firma Petri-Feinkost, die das 250 Hektar umfassende Areal im Februar für 3,4 Millionen Euro erworben hat. Der Frischkäseproduzent plant dort Europas größte Ziegenfarm mit 7.500 Tieren.
Der Widerstand gegen das Projekt, initiiert von Anrainern, hat mittlerweile weite Kreise gezogen. Tierschützer, Landtagsabgeordnete, eine Bürgerinitiative und die Albert-Schweizer Stiftung fürchten nicht nur Tierquälerei, Gülle und Gestank. Sie vermuten, beim Verkauf sei einiges nicht mit rechten Dingen zugegangen.
Die Petri-Feinkost GmbH & Co. KG wurde 1962 von Claus und Waltraud Petri in Rischenau/Weserbergland gegründet. Produktpalette: Brotaufstriche aus Kuh- und Schafsmilch
1970 zog man ins benachbarte Glesse und begann mit der Frischkäseproduktion.
Seit 1998 wird auch Ziegenfrischkäse hergestellt, die dazu verwendete Milch importierte man aus Belgien und Holland.
Marktführer ist Petri-Feinkost heute im Segment "Frischkäse-Theke"; der Jahresumsatz beträgt rund 100 Millionen Euro.
Für die Lebensmittelindustrie entwickelt die zum Konzern gehörende Wesa Feinkost GmbH & Co. KG Produkte auf Milchbasis. (mq)
Von der Firma Petri ist dazu nur dies zu hören: Die Milchziegenfarm soll den Bedarf der Marke "Crementell" sichern, zehn Arbeitsplätze schaffen und ökologisch auf dem neusten Stand sein. Als wissenschaftlichen Flankenschutz hat man einen Stallgeruchsexperten und die Tierärztliche Hochschule Hannover angeheuert.
Für politische Rückendeckung, behauptet die Bürgerinitiative, sorge eine sechsstellige Summe, die Petri jedes Jahr dem Landkreis spendet. Zudem seien Seniorchef Claus Petri und Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) quasi Nachbarn und befreundet. Hans-Heinrich Ehlen (CDU), den Landwirtschaftsminister und Apologeten der Massentierhaltung, hätte die Firma eh im Sack. "Alles Unsinn", versicherte Sander. "Ich kenne Petri natürlich. Aber befreundet sind wir nicht." Geschenkt. Doch die Begleitumstände der Landnahme geben zu denken.
Am 8. Dezember 2006 beschloss der Landtag den Verkauf der Domäne. Begründung: Sanierung des Landeshaushalts. Antragsteller war das Landwirtschaftsministerium. Den Zuschlag bekam Petri ohne öffentliche Ausschreibung, weil, sagt Ehlens Haus, erst ab einem Kaufwert von fünf Millionen Euro ausgeschrieben werden müsse.
Fakt ist aber, dass schon ein Jahr vor der Landtagsentscheidung ein politischer Sondierungstrupp über das Gelände pirschte. Darunter Ehlen und Sander. Danach offenbarte Sander im Täglichen Anzeiger Holzminden, dass er mit Petri seit Ende 2005 Gespräche führe.
Auch das Landtagswahlprogramm der Holzmindener CDU, den Vorsitz führt Innenminister Uwe Schünemann, pries die Ziegenfarm vor dem Verkaufsbeschluss. Die Grünen forderten Aufklärung, warum der Kreistag und die betroffene Gemeinde nicht informiert wurden. Antwort des Landratsbüros: Man halte "eine Unterrichtung der Öffentlichkeit" für "nicht sachdienlich". Das klingt glaubhaft. Denn die Domäne Heidbrink liegt mitten in einem Naturschutzgebiet. Auf dem Areal stehen einige denkmalgeschützte Gebäude, mitten hindurch führt der touristisch bedeutende und mit erklecklichen Landesmitteln bezuschusste Weserradweg.
Eine weitere Merkwürdigkeit ist das einjährige Rücktrittsrecht, das Petri vom Land zugesichert wurde. Er kann den Kauf annullieren, wenn diverse Bedingungen nicht erfüllt werden. Etwa der Bau einer Wasserleitung, die das Abwasser der Ziegenfarm zur Kläranlage Holzminden leitet. Kostenpunkt: 2,3 Millionen Euro. Oder die Aufhebung des Denkmalschutzes. Beides ist inzwischen erfolgt. Über die Aufhebung des Landschaftsschutzes und eine Baugenehmigung entscheidet der Landkreis im Oktober.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei