piwik no script img

WahlergebnisKlage gegen Pseudo-Mehrheit

Grüne und SSW rufen das schleswig-holsteinische Landesverfassungsgericht an, um eine "verfassungswidrige" Regierungsbildung von CDU und FDP zu verhindern.

Kein zufriedenstellendes Ergebnis erzielt: Monika Heinold, Grünen-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl, bei der Stimmabgabe. Bild: dpa

Die Regierungsbildung in Schleswig-Holstein könnte doch noch spannend werden. Grüne und SSW haben am Montag angekündigt, dass sie das Landesverfassungsgericht anrufen werden. Sie wollen verhindern, dass das Land mit einer "verfassungswidrigen Mehrheit", so der SSW, regiert wird.

Auf Grundlage des Wahlgesetzes haben CDU und FDP derzeit gemeinsam eine Mehrheit von drei Sitzen. Diese beruht aber nicht auf einer Mehrheit der Stimmen, sondern auf elf Überhangmandaten der CDU, die laut Gesetz nicht vollständig ausgeglichen werden dürfen. Grüne und SSW sehen darin einen Verstoß gegen die Landesverfassung von Schleswig-Holstein. Dort heißt es in Artikel 10, dass das Wahlgesetz "für den Fall des Entstehens von Überhangmandaten Ausgleichsmandate vorsehen muss". Bei einem vollständigen Ausgleich der Überhangmandate hätten CDU und FDP keine Mehrheit im Landtag. Sie bräuchten dann einen weiteren Regierungspartner - zum Beispiel die Grünen oder den SSW.

Trotz der recht klaren Verfassungslage kommt die Anrufung des Verfassungsgerichts zwei Wochen nach den Wahlen überraschend. Die Grünen wollten zunächst die Oppositionsrolle annehmen, ermunterten aber die Bürger, eine Wahlprüfung einzuleiten - die allerdings Monate gedauert hätte. Der SSW hatte zunächst darauf gesetzt, das Wahlrecht nur für kommende Wahlgänge der Verfassung anzupassen.

Normenkontrolle

Ein eigenes Verfassungsgericht hat das Land Schleswig-Holstein erst seit dem vergangenen Jahr.

Das Gericht hat seinen Sitz in Schleswig und besteht aus sieben Juristen, die vom Landtag gewählt wurden. Präsident ist derzeit Bernhard Flor, der auch das Landgericht Itzehoe leitet.

Im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle kann das Verfasungsgericht jedes Landesgesetz an der Landesverfassung messen. Tätig wird es allerdings nur auf Antrag.

Um eine solche Normenkontrolle auszulösen, müssen sich mindestens zwei Fraktionen des Kieler Landtags zusammentun.

Die Wende brachte wohl ein Interview mit dem Wahlrechtler Martin Morlok, das vorige Woche in der taz erschien: Morlok schlug vor, nicht auf den Ausgang der langwierigen Wahlprüfung zu warten, sondern das Wahlgesetz direkt beim Landesverfassungsgericht zur Prüfung zu stellen. "Warum sollen die Bürger vier Jahre lang von einer Mehrheit regiert werden, die durch ein verfassungswidriges Wahlgesetz zustande kam", fragte der Düsseldorfer Rechtsprofessor. "Je schneller geklagt wird, desto höher ist die Chance, dass schon die Sitzverteilung für die aktuelle Landtagswahl richtig durchgeführt wird."

Dies führte zunächst bei den Grünen zum Umdenken. Der Fraktionsvorsitzende Robert Habeck schrieb gestern die anderen Fraktionen an, um mitzuteilen, dass die Grünen bereit sind, eine Normenkontrolle zu beantragen. Laut Gesetz müssen einen derartigen Antrag aber mindestens zwei Fraktionen gemeinsam stellen. Wenige Stunden später kam die Antwort der SSW-Fraktionsvorsitzenden Anke Spoorendonk: Man werde sich beteiligen, weil die CDU eine Änderung des Wahlgesetzes nicht verlässlich zusagen wollte.

Auch die Linkspartei kündigte gestern eine Verfassungsklage an. Sie kann sich allerdings dem Antrag von Grünen und SSW noch nicht anschließen, da ihre Fraktion erst ab Zusammentritt des neuen Landtags rechtlich handeln kann.

Grüne und SSW werden die Klage voraussichtlich mit einem Eil-Antrag verbinden, damit bis zur Entscheidung in Schleswig keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden. Das Verfassungsgericht könnte zum Beispiel verfügen, dass die für Freitag geplante Sitzung des Landeswahlausschusses verschoben wird und die Sitzverteilung im Landtag zunächst nicht amtlich festgestellt wird. Damit bliebe der alte Landtag und die alte Landesregierung kommissarisch im Amt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

5 Kommentare

 / 
  • P
    peter

    Die Aussage einer "recht klaren Verfassungslage" ist nicht nachvollziehbar.

     

    Eine rechtlich sehr diffenzierte Analyse von Martin Fehndrich, der schon die Bundeswahlrecht-Klausel für Überhangsmandate zu Fall brachte, zeigt gerade, dass diese Frage rechtlich umstritten ist.

    (siehe http://www.wahlrecht.de/news/2009/16.htm)

    Sonst würde die Klage ja auch keinen Sinn machen.

     

    Die Landeswahlleiterin, die das Wahlgesetz interpretierte, ist übrigens organisatorisch und weisungsmäßig dem CDU-Innenministerium zugeordnet.

     

    Ein Schelm, wer dabei an Abhängigkeiten denkt!

     

    Gruß Peter

  • IL
    Ihr Luther

    Also ich verstehe gar nicht wieso die Grünen jetzt klagen wollen. Sollen sie doch mit in die Koalition eintreten. Da lassen sich doch bestimmt jede Menge grüne Inhalte umsetzen. Genfoodanbau großflächig (schleswig-Holstein ist schließlich riesig und dünn besiedelt), ein neuer Großflughafen in der Nähe von Hamburg, zwei neue Atomkraftwerke und vieleicht ein neues Atommüllendlager, da Asse ja jetzt absäuft. Schafft ja auch neue 600 und 1000 Euro Jobs. Da kann man ja leicht mit der FDP auf einen Nenner kommen. Nicht zu vergessen die Wiederaufbereitungsanlage. Mußte man ja leider damals aufgeben, weil in Bayern gelegen und Schleswig-Holstein leider von der SPD regiert wurde.

  • S
    schlegel

    Der SSW hat bei der letzten Wahl mal gerade 3,6% bekommen und sitzt nur aufgrund einer Sonderregelung im Landtag. Dass diese Gestalten jetzt wieder glauben mitregieren zu müssen (diesmal über den Klagweg), ist schon mehr als dreist

  • FG
    Frank Grebenhain

    Also, Ihr lieben grünen wir haben ja alle gesehen wie das im Saarland mit Euch gelaufen ist!

     

    Ich hoffe nicht das ihr noch über Umwege auf den schwarz/gelben Zug aufspringen könnt.

    Sorry, denn nur darum geht es Euch doch!

     

    Dann doch lieber so schlecht wie es ohnehin schon ausschaut!

    Nie wieder grün!

  • V
    vic

    Die Bundestagswahl war ohnehin ungültig. Deutschland befindet sich im Krieg (korrekt-Verteidigungsfall).

    Alle anfallenden Wahlen fallen aus und werden nach Ende desselben nachgeholt. So steht es im GG geschrieben.

    Nein, den genauen Artikel und Paragraphen weiß ich nicht mehr.