Verbot: Flashmob bedroht Denkmal
Die Braunschweiger Flashmob-Aktivisten geben nicht auf. Nachdem die Stadt ein öffentliches Picknick auf dem Schlossplatz verhindert hat, wollen sie das berühmte Löwendenkmal aufsuchen - als angemeldete Demonstration.
Die Situation in Braunschweig wird langsam unübersichtlich. Einerseits ist der Picknick-und -Grill-Flashmob abgesagt, der am heutigen Samstag vor der Schlossfassade geplant war. Initiator Dirk Schadt hat den Aufruf im Internetportal StudiVZ jedoch nicht gelöscht: "Bei dieser Flashmob-Aktion werden sich um 16 Uhr KEINE Picknicker auf dem Schlossplatz treffen", heißt es jetzt. "Ich habe das genau so gemeint, wie es da steht", erklärt Dirk Schadt, der als Barkeeper, Musiker und Autor tätig ist. In dem Nicht-Aufruf stecke keine Ironie. Die Gruppe bei StudiVZ gibt es allerdings immer noch, sie hat bereits mehr als 900 Mitglieder.
Schadt hatte den Flashmob auf Druck des Braunschweiger Ordnungsamtes widerrufen. Dieses hatte damit gedroht, ihn für die Kosten, die der Stadt durch die Aktion entstünden, in Regress zu nehmen. Die Veranstaltung hätte genehmigt werden müssen, erklärte das Ordnungsamt. Da Schadt die Aktion nicht angemeldet habe, sei sie nicht untersagt worden- hätte er sie angemeldet, wäre dies unweigerlich geschehen. Für den Schlossplatz würden besondere Regeln gelten - erlaubt seien nur Veranstaltungen, die der "stadtgeschichtlichen und städtebaulichen Nutzung des Platzes" gerecht würden.
Dabei hatte es das öffentliche Picknick der Internet-Community vor zwei Jahren schon einmal dem auf Schlossplatz gegeben. Damals hatte die Stadt nichts davon mitbekommen und war darum auch nicht eingeschritten. In diesem Jahr kamen am 1. April rund 400 Menschen auf dem Schlossplatz zusammen, um dort um Punkt 18 Uhr in ihren Bewegungen einzufrieren. Nach fünf Minuten war die Aktion "World Freeze Day" vorbei.
Als Geburt des Flashmobs gilt eine Aktion des Journalisten Bill Wasik im Juni 2003: Mehr als hundert Menschen folgten seinem Aufruf, sich in einem Kaufhaus zu versammeln, um einen "Liebesteppich" zu kaufen. Drei Jahre später erklärte Wasik, er habe damit zeigen wollen, dass die Leute etwas Sinnloses mitmachen, weil sie immer auf der Suche nach dem nächsten großen Ding seien.
Bereits im Januar 2001 gab es auf den Philippinen eine über Internet und SMS organisierte Demonstration. Die Bürger gingen gemeinsam auf die Straße, um gegen den korrupten Präsidenten zu protestieren.
Seine Hochzeit hatte der Flashmob im Sommer 2003, aber auch danach gab es immer wieder Zusammenkünfte, bei denen sich Menschen eine Kissenschlacht lieferten, gemeinsam unzählige Hamburger orderten oder einfach nur eine Banane aßen.
Das Phänomen Flashmob habe in den letzten Jahren eine Ausdifferenzierung erfahren, sagt Maria Angerer, Soziologin beim Trendbüro in Hamburg. Über die neuen Medien würden in Sekundenschnelle auch konsumethische Aktionen organisiert - etwa ein massenhafter Einkauf in einem bestimmten Laden, der dafür eine Gegenleistung verspricht.
Berliner UmweltaktivistInnen etwa riefen dieses Jahr dazu auf, an einem bestimmten Samstag um 16 Uhr im Kreuzberger Spätkauf "Multikulti" einzukaufen. Der Ladenbesitzer hatte sich bereit erklärt, 35 Prozent des Umsatzes bei dieser Aktion für den energieeffizienten Umbau seines Geschäfts aufzuwenden.
Die Politik reagiere manchmal etwas hilflos auf diese neue Realität, sagt die Soziologin Angerer. Sie sieht darin "eine wichtige Chance für die Weiterentwicklung der Demokratie". TIM MEYER
Doch seit einem Flashmob im Juni auf Sylt sind die deutschen Ordnungsämter alarmiert. Ein junger Mann hatte in einer Internet-Community zu einer Strandparty in Westerland aufgerufen, weil er Job und Freundin verloren hatte. 5.000 Menschen kamen, feierten und hinterließen ihren Müll. Das Ordnungsamt der Insel will dem Initiator 20.000 Euro für den Einsatz in Rechnung stellen. Der junge Mann hat bereits mitgeteilt, er sehe "gute Chancen", vor Gericht zu gewinnen, schließlich sei er kein Veranstalter und könne darum auch nicht haftbar gemacht werden.
Auch Dirk Schadt in Braunschweig ist mit der Politik des Ordnungsamtes nicht einverstanden. Für den 22. August meldete er eine "Sitzdemonstration mit gemeinsamen Essen für Meinungs- und Versammlungsfreiheit und gegen das Flashmob-Verbot in Braunschweig" an - auf dem Schlossplatz. "Diese Versammlung genehmigen wir", erklärte der Erste Stadtrat Carsten Lehmann. Ob er dann auch selbst vor Ort sein werde, um mit den Menschen zu diskutieren, wisse er freilich noch nicht.
Doch auch der Flashmob am heutigen Samstag ist noch nicht vom Tisch. Die Piratenpartei hat bereits öffentlich dazu aufgerufen, nicht zum Picknick zu kommen. Sie fordere "all unsere Unterstützer und Sympathisanten explizit auf, sich auf keinen Fall an besagtem Tag auf dem Schlossplatz einzufinden, Essen und Trinken mitzubringen, Spaß zu haben und dazu vielleicht noch Freunde einzuladen."
Dazu kommt, das ein Ratsherr der alternativen Braunschweiger BIPS-Fraktion für diesen Samstag eine Demonstration auf dem Schlossplatz angemeldet hat, Motto: "Flashmobverbot in Braunschweig". Auch diese Demonstration genehmigte die Stadt - "auch wenn der eigentliche Gegenstand der Demonstration nur eingebildet ist", so Erster Stadtrat Carsten Lehmann. Dirk Schadt kündigte an, am heutigen Samstag ebenfalls auf dem Schlossplatz zu erscheinen, jedoch weder Essen noch eine Decke, sondern nur eine Kamera mitzubringen.
Inzwischen hat Schadt seine ursprünglich für den 22. August angemeldete Demonstration auf den heutigen Samstag vorverlegt - Ort der Picknick-Demonstration soll allerdings nicht der Schloss-, sondern der Burgplatz sein, für den ebenfalls eine Ausnahmeregelung gilt. Im Unterschied zum Schloss, dass nur eine wiederaufgebaute Fassade um ein ECE-Einkaufscenter ist, stehen auf dem Burgplatz immerhin Baudenkmäler wie die Statue des berühmten Braunschweiger Löwen. Genau am Fuß dieses Denkmals will Schadt picknickend demonstrieren, mit von ihm geschätzten acht bis zehn Mitstreitern.
Dies, so Stadtrat Carsten Lehmann, gehe nicht. "Herr Schadt" sei offensichtlich entgangen, dass auf dem Platz seit einigen Tagen die Open-Air-Bühne für das Staatstheater aufgebaut werde, das dort die Oper "Madame Butterfly" gibt. Der verbleibende "kleine Teil des Burgplatzes" müsse frei bleiben, schon wegen der 900 Gäste, die am Samstag zur Eröffnung der großen Kaiser-Otto-Ausstellung erwartet würden. Schadt solle doch auch auf dem Schlossplatz demonstrieren.
Schadt erkennt hinter den Schwierigkeiten mit der Stadt Braunschweig ein System. Bürgermeister Gert Hoffmann sei ein ehemaliges NPD-Mitglied. "Hier wird vieles kontrolliert, was in anderen Städten nicht kontrolliert wird", sagt er. Der öffentliche Raum werde zunehmend eingeschränkt. Wo es früher das Festival "Umsonst und draußen" gegeben habe, stehe jetzt die VW-Halle. Und in dem ehemaligen Schlosspark sei eben das Schloss-Einkaufszentrum gebaut worden.
Die NPD Niedersachsen hat ihrem ehemaligen Mitglied Hoffmann zu seiner Politik gratuliert: "Was passiert, wenn die NPD regiert? Wer das Gefühl erleben will, geht einfach mal nach Braunschweig. Dort führt Kamerad Hoffmann das Zepter und sorgt für Ordnung und Sauberkeit." Seit zwei Jahren steht der Text auf der Homepage der Partei. Offenbar sah die bisher keinen Grund, ihn herunter zu nehmen.
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