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Zeugen JehovasBremen will die Insel-Lösung

Ein Gesetzentwurf des Bremer Senats zur Anerkennung der Zeugen Jehovas sorgt für Unmut bei Grünen, CDU und SPD. In anderen Nordländern firmiert die Religionsgemeinschaft längst als Körperschaft.

Wachturm, Massentaufen und Verfolgung: Die Zeugen Jehovas sollen nach dem Willen der Bremer Grünen, CDU und SPD nicht als Körperschaft anerkannt werden. Bild: dpa

Massentaufen in der HSH Nordbank Arena, das lässt sich in Hamburg ab dem 9. Juli beobachten. Dort werden die Zeugen Jehovas (ZJ) einen internationalen Kongress feiern. Mit ähnlichen Events haben sie in Bremen auch schon Mieteinnahmen für die Stadthalle generiert. Fraglich ist, ob sie das noch mal machen werden. Die Bremer Grünen-Fraktion will die Anerkennung der Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts stoppen. Und bekommt Zuspruch von CDU und SPD.

Anerkennungs-Verfahren laufen momentan in allen Ländern, wenn sie nicht schon beendet sind: So firmieren die ZJ in Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein schon seit Mai als Körperschaft. Dort können sie wie die großen Kirchen Kirchensteuern durch den Staat einziehen lassen und erhalten fiskalische Begünstigungen.

Auslöser des Booms war ein 15 Jahre dauernder Rechtsstreit der ZJ mit Berlin, der bis zum Bundesverfassungsgericht ging. Dort unterlag Berlin, das den ZJ deshalb 2006 als erstes Bundesland Körperschaftsstatus verleihen musste. Daraufhin beantragte ihn die Religionsgemeinschaft, die nach eigenen Angaben bundesweit 200.000 Mitglieder zählt, auch in den anderen Ländern.

Der Zeugen-Jehovas-Konflikt

Der Streit um die Anerkennung der Zeugen Jehovas (ZJ) als Körperschaft ging zwischen 1990 und 2006 von Berlin aus durch sämtliche juristischen Instanzen.

Wendepunkt war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Dezember 2000. Es schreibt fest, dass eine Religionsgemeinschaft mit Körperschafts-Ambition "rechtstreu sein" muss, die Forderung nach einer "Loyalität zum Staat" jedoch mit "verfassungsrechtlichen Grundwerten nicht vereinbar" sei ( 2 BvR 1500/97).

Erhoben hatte diese Forderung das Bundesverwaltungsgericht, dessen Urteil (BVerwG 7 C 11.96) die Verfassungsrichter deshalb aufhoben. Vom Bundes- wurde die ZJ-Klage wieder ans Berliner Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen, das sie 2006 abschließend - und wie schon 1995 - erfolgreich beschied. (OVG 2 B 12.01).

Es stützte sich dabei auch auf die Berichte der bis 1998 tagenden Sekten-Enquête-Kommission des Bundestags (BT-Drs. 13/8170 und 13/10950).

In Bremen, wo der Senat einen entsprechenden Gesetzesentwurf bereits vorgelegt hatte, streben die Grünen nun eine Insel-Lösung an. Einen "erheblichen Vorgang" nennt ihr Fraktionsvorsitzender Matthias Güldner die Anerkennung. Sie bewirke eine "hervorgehobene Stellung", die bisher der Jüdischen Gemeinde und den großen Kirchen vorbehalten sei. Bedenken schüren bei Güldner Berichte von deren Sektenbeauftragten und ehemaligen ZJ-Mitgliedern über ein "strenges Regime fast wie bei Psycho-Sekten". Auch schränke die Ablehnung von Bluttransfusionen die medizinische Versorgung von Mitgliedern ein.

Deshalb wollen die Grünen die Anerkennung juristisch prüfen lassen. "Die Frage ist, ob die Urteile zu Berlin auch zwingend auf Bremisches Recht zutreffen", sagt Güldner. Zudem sei der Gesetzesentwurf des Senats "kein Selbstgänger". Neben der rechtlichen Prüfung wollen die Grünen das weitere Vorgehen mit den Amtskirchen beraten.

Damit vollziehen die Grünen den Schulterschluss mit der CDU-Fraktion. "Wir tun uns schwer", sagt deren kirchenpolitische Sprecherin Elisabeth Motschmann. "Man würde den ZJ die gleichen Rechte wie der katholischen und evangelischen Kirche einräumen". Sie befürchtet die Einschränkung der persönlichen Freiheit der Mitglieder, etwa durch das Nicht-Feiern von Festen wie Weihnachten. Motschmann hegt zudem "Zweifel an der Toleranzfähigkeit der ZJ gegenüber anderen Religionen" und an ihrer "Staatsloyalität" - die ZJ lehnen die Teilnahme an Wahlen, Militär- und am Zivildienst ab. "Das ist dem Einzelnen zwar freigestellt", sagt sie, "offen ist aber, ob er bei seiner Entscheidung nicht unter Druck steht."

Die SPD-Fraktion sei "offen für eine erneute rechtliche Prüfung", sagt ihr Geschäftsführer Frank Pietrzok. Allerdings sei man wenig optimistisch: "Die Aufwertung der ZJ wird schwer zu verhindern sein."

Gajus Glockentin, Sprecher der deutschen ZJ-Zentrale in Selters, sieht das ähnlich. Er verweist auf den Rechtsstreit mit Berlin. Als Zeuge werde immerhin niemand geboren. "Die Entscheidung über die eigene Religionszugehörigkeit", sagt er in Anspielung auf die amtskirchliche Praxis der Kindstaufe an, "sollte man einem mündigen Bürger getrost überlassen". Rund 2.000 Mitglieder zählen die ZJ in Bremen. "Die Bedenken, die dort ohne Gründe über Jahre geäußert werden", so Glockentin, "sind die Zeugen Jehovas leid".

Für Güldner bedeutet die Prüfung indes keine Einschränkung der ZJ: "Sie können ihren Glauben ungehindert praktizieren", sagt er. "Die Frage ist, ob man sie gegenüber anderen Religionsgemeinschaften privilegiert."

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9 Kommentare

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  • M
    MUGJ

    Zeugen Jehovas und die Wahlen

    Selbst namhaften Wissenschaftlern ist klar, daß von Jehovas Zeugen keine Gefahr für den Staat ausgeht, da sie absolut gewaltfrei leben möchten und gemäß der Bibel nicht lernen zu hassen, sondern im Gegenteil ihren Mitmenschen Gutes tun möchten. Deshalb sind Politikwissenschaftler auch nicht beunruhigt, wenn Jehovas Zeugen nicht wählen gehen. Sie haben die Situation in Deutschland sehr genau analysiert und unterscheiden folgende Gruppen von Nichtwählern in Deutschland: (www.mopo.de Auszug aus: Artikel vom 15.02.2008)

    Dauer-Nichtwähler: Sie machen nur etwa vier bis fünf Prozent der Nichtwähler aus. Sie verweigern die Wahl grundsätzlich - etwa aus religiösen Gründen (Beispiel Zeugen Jehovas)

    Nichtwähler aus ideologischen Gründen: weil sie die parlamentarische Demokratie als Ganzes ablehnen.

    Bekennende Nichtwähler: Sie wollen mit ihrer Wahlent-haltung politischen Protest artikulieren. Dem System stehen sie kritisch gegenüber.

    Konjunkturelle Nichtwähler: Sie bilden die größte Gruppe (vor allem im Osten).

    Sie entscheiden von Fall zu Fall neu, ob sie mitstimmen, je nachdem, welche Bedeutung die Wahl für sie hat. Sie sind mit dem System zufrieden, verfügen über keine enge Parteibindung.

    Aktive Nichtwähler: Sie haben ähnliche Motive wie die bekennenden Nichtwähler.

    Sie gehen zur Wahl, machen ihren Stimmzettel aber bewusst ungültig

    - ein Zeichen ihres Protestes.

    Soweit das Zitat. Anhand dieser Angaben ist es sicher jeder vernünftig denkenden Person möglich, sich objektiv eine eigene Meinung zu dieser (manchmal zu emotional geführten) Debatte zu bilden.

    Zeugen Jehovas und die Gesellschaft. Darüber kann man etwas erfahren, wenn man bereit ist den Endbericht der Enquete-Kommission zum Thema „Sogenannte Sekten und Psychogruppen“ vom 9.6.1998 zu lesen. Hier hat sich die Bundesregierung Deutschland die Mühe gemacht, etwas genauer hinzuschauen um zu einer sachlichen Betrachtungsweise beizutragen. Mitgearbeitet in der Kommission haben Vertreter aller namhaften Parteien (CDU/CSU; SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen, PDS). Für Politker dieses Landes sollte er deshalb Pflichtlektüre sein. Dieser sachlich-ausgewogene Bericht enthält Aussagen, für Personen, die daran interessiert sind eine objektive Meinung über Jehovas Zeugen zu vertreten.

    /

  • SL
    Stefan Lankenau

    Nach meinem Wissen gibt es auch in anderen Religionen den Religionsausschluss. Was den Vorwurf des Psychodrucks auf Gemeindemitglieder angeht, so möchte ich an dieser Stelle alle auffordern, die so etwas behaupten, sich die Zusammenkünfte von ZJ erst einmal anzuschauen, bevor man etwas auf hörensagen gibt. Ich denke eher das die großen Kirchen Angst um ihre Monopolstellung haben, den anders wie sie, werden ZJ auch nach ihrer Anerkennung keine Kirchensteuern erheben.

  • S
    S.L.

    Ich möchte darauf verweisen, das auch in anderen Religionen der Religionsausschluß praktiziert wird.

    Ich denke das die Kirche eher Angst um ihre Monopolstellung hat, weil ZJ auch nach ihrer Anerkennung keine Steuern erheben werden. Genauso wie in anderen Ländern wo sie diese Anerkennung schon seid vielen Jahren haben und es deswegen keine Schwierigkeiten gibt.

  • JW
    Jan Wigger

    Na und? Die kath. Kirche sagt, dass Frauen zu blöd (oder was auch immer) sind um Bischöfin werden zu können und Homosexuelle an der Zersetzung der Gesellschaft schuld sind. Sie beten für die Juden, damit sie endlich ein Einsehen haben und christlich werden.

    Warum ist die denn dann "privilegiert" gegenüber anderen Religionen, die nicht so einen Mist propagieren?

    Der Staat sollte gar keinen Religionen die derzeitigen Privilegien gewähren.

  • MM
    Michaela Müller

    Zitat Anfang:

    "Einen "erheblichen Vorgang" nennt ihr Fraktionsvorsitzender Matthias Güldner die Anerkennung. Sie bewirke eine "hervorgehobene Stellung", die bisher der Jüdischen Gemeinde und den großen Kirchen vorbehalten sei."

    "Wir tun uns schwer", sagt die kirchenpolitische Sprecherin der CDU Fraktion Elisabeth Motschmann. "Man würde den ZJ die gleichen Rechte wie der katholischen und evangelischen Kirche einräumen". Sie befürchtet die Einschränkung der persönlichen Freiheit der Mitglieder, etwa durch das Nicht-Feiern von Festen wie Weihnachten."

    Zitat Ende

     

    Na dann könnte man ja auch gleich noch der jüdischen Gemeinde die hervorgehobene Stellung entziehen, und Moslems haben dann wohl auch eher geringe Chancen.

    Merken diese Politiker eigentlich was für einen Mist sie da loslassen.

    Zur Erinnerung weder Juden, noch Moslems feiern Weihnachten!

    Armes Deutschland mit solchen "Politikern" in Führungspositionen.

  • BI
    Bertram in Mainz

    Es ist das Dilemma aller toleranten Systeme, dass die Toleranz von den Intoleranten ausgenutzt wird. Wer schon mit den Zeugen Jehovas diskutiert hat, der weiß, wie verbohrt und unbelehrbar diese sind. Wir haben das Problem überall. Plötzlich steht der Tolerante als der Intolerante da, weil irgendwo auch mal die Toleranz Grenzen hat.

     

    Keinesfalls dürfen Fanatiker irgendwie von unserem toleranten System profitieren. Soll eine verbohrte Religion gar Einzug in die Schulen halten? Kreationismus gleichwertig mit Biologie und wissenschaftlicher Erdgeschichte? Diese Fanatiker zwingen den Anderen ihre Regeln auf. Dann geht es nicht mehr um Argumente, sondern um einen politischen Machtkampf. Das Problem: Wer eine Religion zulässt, muss auch andere zulassen. Ich sehe die Lösung nur in einer konsequenten Trennung von Religion und Staat.

     

    In den Schulen soll es Religionskunde geben als Teil der Gesellschaftskunde. Dort wird dann bewusst nicht eine bestimmte Religion favorisiert. Lernen über verschiedene Religionen schafft hoffentlich eine gewisse Distanz. Keine Religion kann eine einfache Wahrheit ertragen: Eure Meinung ist nur eine von vielen anderen. Und keine davon ist belegt.

  • V
    vic

    Am liebsten hätte ich gar keine Religion in Deutschland. Aber wenn eine, dann alle.

  • A
    Atheist

    Es ist wirklich schlimm, dass diese Sekte schon anerkannt worden ist. Ich hoffe sehr, dass Bremen bei der ablehnenden Haltung bleibt. Religion sollte eine vollständige Privatangelegenheit sein. Im Grunde sollte keiner religiösen Gruppierung aufgrund ihrer religiösen Betätigung irgendein besonderer Status zuteil werden. Wenn sich Gruppierungen mit karitativen Inhalten beschäftigt, dann kann das Vereinsrecht angewendet werden.

    Marx hatte recht als er sagte: Religion ist Opium für das Volk!

  • W
    W.K.

    Es verwundert nicht, dass die sonst so toleranten und Weltanschauungen gegenüber offenen Grünen sich zieren, den ZJ Privilegien zu gewähren. Es ist keine Übertreibung, von einer Psychosekte zu sprechen. Öffentlich reden die ZJ-Vertreter immer so gerne von Freiwilligkeit; kein ZJ werde zu irgend etwas gezwungen. Aber: Wenn Du über Nacht nicht mehr mit Deinen Freunden, -ja nicht mal mehr mit Deiner eigenen Familie - reden darfst, Du also verbannt wirst; wenn Dir mit ewiger Vernichtung gedroht wird, wenn Du Dich an gewisse Regeln nicht hältst - kann man dann noch von Freiwilligkeit reden? Derlei drakonische Konsequenzen drohen Mitgliedern der ZJ übrigens schon bei kleinsten "Vergehen": z.B. Rauchen, das freiwillige Nehmen von Bluttransfusionen oder auch sich öffentlich kritisch gegenüber den Lehren der Wachturmgesellschaft zu äußern.