Diskussion über Roma: Willkommen in Berlin!?
Das Auftauchen der Romagruppe stellt Berlin vor ein Problem: Müssen sich die Behörden um die Familien kümmern? Fünf Berliner erklären, wie man auch in Zukunft mit einreisenden Roma umgehen sollte.
Miman Jasarovski, Roma und Sozialarbeiter in Neukölln:
Der Umgang mit den Roma in Kreuzberg war bisher ignorant. Sie werden als Touristen bezeichnet, aber Roma sind keine Touristen. Die meisten kommen nach Berlin, weil sie in ihrer Heimat von den Behörden und der Politik diskriminiert werden. So wirbt in Tschechien zur Europawahl eine Partei offen mit der "Endlösung der Zigeunerfrage". Eigentlich müsste man den Roma daher als politisch Verfolgten Asyl gewähren.
Diskriminierung ist für Roma auch in Berlin überall spürbar. Ich selbst bin Rom und habe mein ganzes Leben in Deutschland verbracht. Trotzdem gebe ich mich manchmal lieber als Mazedonier aus.
In denke, Berlin sollte eines seiner vielen leer stehenden Häuser als dauerhafte Notunterkunft für Roma zur Verfügung stellen. Es kann doch nicht sein, dass diese Menschen in Parks übernachten müssen. Das Problem bleibt schließlich bestehen: Schon heute kommen täglich neue Familien nach Berlin. Die Berliner Politik sollte ihnen eine faire Chance und Starthilfe geben, während ihres dreimonatigen Aufenthalts eine Wohnung und Arbeit zu finden, damit sie längerfristig eine neue Lebensperspektive erhalten.
Raed Saleh, integrationspolitischer Sprecher der SPD:
Ich bin für eine menschliche Lösung des Problems. Aber eines ist klar: Die Roma-Familien dürfen nicht gegen geltendes Recht verstoßen. Es kann nicht sein, dass sie Häuser besetzen. Wenn es Verdachtsmomente für Schwarzarbeit gibt, sollte man dem nachgehen. Auch die Einrichtung einer Notunterkunft für Roma ist meiner Meinung nach keine Lösung. Man würde einen Präzedenzfall schaffen, der Nachahmereffekt wäre groß. Wichtig ist es, mit Rumänien Gespräche zu führen, denn da liegt die Ursache des Problems. ALL
Petra Rosenberg, Vorsitzende des Berliner Verbands Deutscher Sinti und Roma:
Die Situation der Roma in Kreuzberg wirft ein Schlaglicht auf eine verfehlte Minderheitenpolitik der rumänischen Regierung, die den Exodus der Roma verursacht. Die Mehrheit der in Rumänien beheimateten Roma lebt unter katastrophalen, menschenunwürdigen Bedingungen. Solange sich diese Zustände in ihrem Heimatland nicht ändern, werden sie weiter in anderen EU-Staaten nach besseren Lebensbedingungen suchen. Deshalb sollte von der Bundesregierung und der EU auf Rumänien eingewirkt werden. Kurzfristig braucht es in Berlin für die eingereisten Roma humanitäre Hilfe und mittelfristig in ihrer Heimat die Aussicht auf Verbesserung ihrer Lebensumstände.
Günter Piening, Integrationsbeauftragter des Senats:
Durchreisende Roma sind Teil des Alltags einer Metropole wie Berlin. Die Berliner betrachten diese Gruppen mit einer Mischung aus Langmut, Groll und Interesse. Bei Konflikten wurden stets pragmatische Lösungen gefunden. Dazu gehört, dass auch Ordnungsämter und Polizei mal ein Auge zudrücken. Unser Ziel sind Lösungen unterhalb polizeilicher Interventionen.
Das Problem im Kreuzberger Fall ist die Ideologisierung des Konflikts, die pragmatisches Handeln unmöglich macht. Rechtlich ist die Lage klar: Die Roma sind EU-Bürger, die Freizügigkeit genießen und sich hier selbst versorgen müssen. Für Bezirk und Senat gibt es nur zwei Interventionspunkte: das Kindeswohl und unmittelbare medizinische Notsituationen.
Doch in der Diskussion wird nun eine Grundsatzentscheidung gefordert, nämlich ein Bleiberecht mit Leistungsansprüchen für Roma aus einem anderen EU-Mitgliedstaat. Dies entbehrt jeder rechtlichen Grundlage und wird übrigens nicht mal von Romaverbänden selbst gefordert. Rumänische Roma können keinen Flüchtlingsstatus haben.
Senat und Bezirk haben ihnen kurzfristig Unterkunftsangebote gemacht, damit die Familien zur Ruhe kommen. Dann kann man prüfen, ob im Einzelfall, zum Beispiel durch frühere Arbeit in Deutschland, Ansprüche bestehen.
Jens-Uwe Thomas, Sprecher des Berliner Flüchtlingsrats:
Der Senat hat eine soziale und politische Verantwortung, den Roma zu helfen. Es handelt sich hier um hilfsbedürftige, kinderreiche Gruppen und um eine Minderheit, die in vielen europäischen Ländern diskriminiert wird. Auch in Berlin sitzen Roma immer noch zwischen allen Stühlen und haben keine Lobby.
Die rumänischen Roma sind EU-Bürger und sollten daher die gleichen Rechte auf Sozialleistungen und auf dem Arbeitsmarkt genießen wie andere Europäer auch. Der Senat muss sich darauf einstellen, dass auch sie sich ihre Freizügigkeit nehmen. Er sollte jetzt unbürokratisch auf die Menschen zugehen und sich nicht auf Statusfragen zurückziehen. Die Verantwortlichen müssen grundsätzlich dafür sorgen, dass geeignete Unterkünfte für diese Gruppen zur Verfügung stehen. Das abgeschlagene Flüchtlingsheim in Spandau gehört nicht dazu. Auch Körtings Ausweisungsszenarien sind wenig hilfreich. Langfristig muss Berlin über die Bundesregierung darauf hinwirken, dass die Lebensbedingungen und der Minderheitenschutz von Roma europaweit gewährleistet werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative