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taz-Serie "Wohnen im Welterbe" (Teil 1)Raus aus dem Mief der Hinterhöfe

Das Land will sechs Siedlungen aus den 1920er-Jahren unter den Schutz der Unesco stellen - darunter die Hufeisensiedlung in Britz. Helga Schönfeldt lebt dort seit 1928.

Auf den blumenbeladenen Balkonen stehen junge Ehepaare. Lächelnd blicken sie in die Kamera, stolz stützen sie sich an der Brüstung ab. Rechts unten ist Helga Schönfeldts Mutter zu sehen, eine junge, fröhliche Frau. "Hier zu wohnen, das war einfach etwas Besonderes damals", erinnert sich die Rentnerin, während sie in ihrer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung in der Hufeisensiedlung durchs Fotoalbum blättert. Ihre Eltern waren Pioniere, die ersten Mieter in dem Britzer Vorzeigeviertel des sozialen Wohnungsbaus.

Die vom Vater geschossene Aufnahme ist inzwischen mehr als 80 Jahre alt, die Eltern von Helga Schönfeldt sind längst gestorben. Sie ist geblieben: Die rüstige Frau ist einer der letzten Zeitzeugen aus der Anfangszeit der einzigartigen Siedlung, die auf Wunsch Berlins künftig unter den besonderen Schutz der Unesco gestellt und als Welterbe anerkannt werden soll.

Das zwischen 1925 und 1933 entstandene Hufeisen und die umliegenden Einfamilienhaus-Siedlungen seien gemeinsam mit fünf anderen Quartieren aus den 1920er-Jahren weltweit anerkannte Musterbeispiele für eine Wohnform, die erstmals soziale Belange in den Mittelpunkt rückte, begründen die Berliner Denkmalschützer ihren Antrag an die Unesco. Das Erbe Bruno Tauts, der die meisten dieser Siedlungen gebaut hat, soll endlich gewürdigt werden.

Taut setzte eine Mindestgröße für die Arbeiterwohnungen an, die Räume sollten hell sein und gelüftet werden können - weg vom Mief und dem Schmutz der Hinterhöfe. Der eiszeitliche See und die begrünte Fläche, die das Hufeisen umschließt, dienten der Naherholung. Zudem lagen Nutzgärten direkt am Haus. "Mein Vater wollte die Wohnung erst gar nicht", erzählt Schönfeldt. "Er empfand einen Garten als Last und hätte aus finanziellen Gründen lieber eine kleinere Wohnung in der Nebenstraße gehabt." Eine Fläche hinter dem Haus bedeutete anders als heute nicht Erholung, sondern Arbeit: Auf der Fotografie mit den Mietern sind sauber gezogene Pflanzreihen zu erkennen.

Allein dem Volksschullehrer blieb keine Wahl. Die Wohnungen waren begehrt, und er als Beamter musste froh sein, überhaupt in das für Arbeiter gedachte Hufeisen zu dürfen. Für das Ehepaar war es die erste gemeinsame Wohnung. Die Mutter, die nach der Heirat ihren Beruf als Bankkaufffrau aufgeben musste, versorgte zu Hause den Garten und hielt die zweieinhalb Zimmer samt Küche in Schuss, in denen ihre Tochter noch heute eigenständig lebt.

"Die Siedlung zählt zu den am besten bewahrten", erklärt Christine Wolf vom Landesdenkmalamt, warum das Hufeisen in den Welterbe-Antrag aufgenommen wurde - und andere, ebenso wegweisende Ensembles wie "Onkel Tom" in Zehlendorf nicht. Genauso wie in den anderen Siedlungen des Antrags sei in Britz Authentizität gewahrt. Für einen Erfolg des Antrags kann das ausschlaggebend sein. "Auf der Unesco-Liste ist der soziale Wohnungsbau derzeit nicht unterrepräsentiert, sondern schlicht nicht existent", sagt Wolf. Berlin war damals das Zentrum der Architekten- und Reformbewegung; hier wurden Maßstäbe gesetzt, die bis heute gelten. Den Berliner Wissenschaftlern scheint es deshalb logisch, hier ein Zeichen zu setzen. Von Protesten aus Frankfurt oder aus Holland habe sie bislang nichts gehört, sagt Wolf. "Wir sehen die Welterbe-Initiative vielmehr als Ermutigung und Ergänzung ähnlicher Bestrebungen, etwa zur Eintragung des Oeuvres von Le Corbusier in die Welterbeliste."

Die Hufeisensiedlung wurde im Zweiten Weltkrieg wenig beschädigt. Sie gehörte zum Westteil Berlins. Helga Schönfeldt feierte ihre Hochzeit in der elterlichen Wohnung. Für drei Jahre zog sie mit ihrem Mann in ein nahe gelegenes Viertel; als er starb, kam sie zurück in den Lowise-Reuter-Ring. Das von Taut als Schlafraum vorgesehene Zimmer nutzt Schönfeldt als solches - es geht nach Norden, das Fenster ist höher gelegt, das Bett steht in einer Nische und lässt das Zimmer dadurch größer erscheinen. Von Küche und Wohnzimmer gehen Türen zum bepflanzten, sonnigen Balkon ab; um in den Garten zu gelangen, muss Helga Schönfeldt durch den Keller. Bequemer wäre es für die ältere Frau, könnte sie eine Treppe oder Leiter vom Balkon in den Garten bauen. Doch der Denkmalschutz verbietet dies. "Das war schon immer so", sagt sie achselzuckend. "Ich habe mich mit den Vorschriften arrangiert." Innen kann sich die Mieterin einrichten, wie sie will. "Wir hoffen, dass die Vorschriften nicht noch strenger werden, falls das Hufeisen Welterbe wird", sagt sie.

Denkmalschützerin Wolf wehrt ab. "Die Auflagen bleiben, wie sie sind." Auch in Welterbe-Siedlungen werde das bestehende Berliner Denkmalschutzgesetz angewendet. Ändern soll sich ihrer Meinung nach einzig die Wahrnehmung der Siedlungen. Berlin nutzt das touristische Potenzial bisher kaum. Zufällig verirrt sich keiner in einen der Außenbezirke, gezielte Werbung fehlt. Zwar kann sich der Besucher in der Internet-Rubrik "Berliner Sehenswürdigkeiten" bis zur Großsiedlung Britz durchklicken. Auf den Hauptseiten der Tourismus Marketing GmbH fehlt ein Hinweis auf die Bauten des sozialen Wohnungsbewegung jedoch.

Wolf ist sich gleichwohl sicher, dass die Tourismusbehörden für ein Welterbe-Denkmal werben würden, und sieht eher Nachholbedarf vor Ort: "Es fehlt natürlich eine gewisse touristische Infrastruktur. Besucher würden vielleicht gerne mal eine Pause in einem benachbarten Bistro oder Café machen oder auch einen Abstecher zu Sehenswürdigkeiten in der näheren Umgebung, wenn sie darüber durch Flyer oder Infotafeln informiert würden." Einen Ansturm von Besuchern fürchtet sie nicht. "Da wird nichts platt getreten."

Ins Hufeisen kommen bisher vereinzelte Busse mit japanischen Touristengruppen und regelmäßig Studenten, um sich im Hufeisen umzusehen, hat Helga Schönfeldt beobachtet. "Das war schon immer so." Nachdem die Nationalsozialisten Taut das Arbeiten in Deutschland unmöglich gemacht hatten, lebte der Architekt eine Weile in Japan.

Die Ruhe im Viertel stören die Besucher kaum. Noch immer ist es in Britz gutbürgerlich und grün. Damit auch der besondere Geist erhalten bleibt, hat sich unlängst ein Verein gegründet. Ihm geht es um den Zusammenhalt im Viertel in Zeiten, in denen ältere Mieter sterben und junge Menschen nachziehen. Gerade Familien interessieren sich für die Reihenhäuser, die die Gehag verkauft.

Hinter der Genossenschaft steht inzwischen ein Großinvestor, was den letzten Pionieren Unbehagen verursacht. "Wir sagen einfach weiter Gehag", sagt Schönfeldt. Den Verein begrüßt sie, Halt findet sie in der Kirchengemeinde, und bleiben will sie, solange ihre Gesundheit es zulässt. Auch wenn der Geist der Gründer-Ära schwächer geworden ist - für Helga Schönfeldt bleibt das Wohnen im Hufeisen etwas Besonderes.

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