Jugendkulturhaus droht Abwicklung: Mitte im Nutzungskonflikt
Das Weinmeisterhaus ist ein Jugendkulturzentrum in der touristischen Mitte Berlins. Jetzt soll das Angebot weichen. Nutzer und Mitarbeiter protestieren.
Der Titel klingt nach dem Trainingsplan eines Fitnessstudios. "Straffen und stärken" hat das Bezirksamt Mitte seinen Eckwertebeschluss überschrieben, mit dem es die Jugendeinrichtungen auf Vordermann bringen will - und vor allem die Finanzen. 42 Millionen Euro muss der Bezirk einsparen. Allein im Alt-Bezirk Mitte stehen fünf von sieben Jugendkultureinrichtungen vor der Schließung. Am Donnerstag muss sich der Jugendausschuss der Bezirksverordnetenversammlung mit dem Plan befassen - und mit dem Protest gegen die Umstrukturierungspläne.
Der kommt vor allem aus dem Umfeld des Weinmeisterhaus. Seit 1990 lockt das frühere Schülerfreizeitzentrum Mitte jede Woche bis zu 360 Kinder und junge Erwachsene in die zwei Dutzend Kurse und offenen Werkstätten. "Ausprobieren ist unser Konzept", erklärt die Leiterin Sybilla Fabian, "wir geben Raum und Zeit, die eigenen Interessen zu finden. Viele ehemalige Besucher bieten heute sogar eigene Kurse an."
Julius Wolf ist seit seiner Kindheit mit dem Haus verbunden. Nun bringt der heute 29-Jährige seinen Sohn hierher. "Das Weinmeisterhaus ist ein Grundnahrungsmittel", sagt er. Josephine Peters hat hier ihre Leidenschaft fürs Zeichnen entdeckt. "Hier können wir uns kreativ austoben", sagt die 19-jährige Schülerin. Sie hat sich jetzt an der Kunsthochschule beworben. "Ohne das Weinmeisterhaus hätte ich mich das nie getraut."
Das Haus ist das einzige erhaltene Gebäude des sich ursprünglich bis zur Steinstraße erstreckenden Sophiengymnasiums. Hoch ragt der sanierte Backsteinbau mit der mit Fresken verzierten Fassade über die ansonsten fast unbebaute Weinmeisterstraße, nur einen Katzensprung entfernt vom Hackeschen Markt. Eine schöne Immobilie.
Die könnte man auch anders nutzen, meint das Bezirksamt. Die dortigen Angebote für die Jugendlichen sollen deshalb nicht gestrichen, sondern nur verlegt werden - in Schulgebäude. Die seien durch den Rückgang der Zahl an Schülern teilweise nur noch zu zwei Dritteln ausgelastete, erklärt Rainer Maria Fritsch (Linke), der als Stadtrat für Jugend und Finanzen zuständig ist. "In der Willy-Brandt-Oberschule in Wedding könnte man eine ganze Etage freiräumen", sagt Fritsch. Die Gesamtschule unterrichtet knapp 400 Schüler. Die leer stehenden Räume werden nur sporadisch für Projektarbeiten genutzt. Dort könnten die Jugendeinrichtungen mit sozialen Diensten zusammengeführt werden. Das entspreche moderner Schulpädagogik, sagt der Stadtrat.
Sybilla Fabian widerspricht: "Das Schülerfreizeitzentrum wurde absichtlich außerhalb der Schule eröffnet." Es biete eine Alternative zur alltäglichen Umgebung. Wenn ein Kind zum Beispiel nicht gern zur Schule geht, weil es Ärger mit seinen Mitschülern hat, wird es kaum Lust haben, nach Schulschluss an den Ort des Geschehens zurückzukehren. Dort bleiben die Kinder in ihren Klicken, und der Klassenclown bleibt der Klassenclown.
Es sei absurd zu behaupten, dass sämtliche Kurse und Werkstätten wie gewohnt weiterlaufen würden, sagen die Mitarbeiter des Weinmeisterhauses. "Dann müssen wir in Nischen ausweichen", befürchtet Fabian.
Die Schließung des Weinmeisterhauses wäre auch ein weiterer Schritt der Mitte-Mutation zum Disneyland. "Wo wird unseren Kindern nun ein außerschulisches, bezahlbares Programm dieser Qualität geboten?", fragen aufgebrachte Eltern wie Magdalena Romanowicz in Protestbriefen an Stadtrat Fritsch. Die Maßnahme sei nicht nur kinderfeindlich, sondern auch kurzsichtig: "Wir sind der Bezirk! Nicht die zahllosen, einander gleichenden, ferninvestierten Schaufenster."
Das Programm "Straffen und Stärken" soll die sogenannten Leuchttürme, handlich kompakte Zusammenschlüsse von Schulen, Sozial- und Freizeiteinrichtungen, unterstützen. Doch was zu straff ist, wird unflexibel. "Wir brauchen keine einsamen Leuchttürme", sagt Dieter Haase, Vorstandsmitglied der GEW Berlin. "Wir brauchen ein flächendeckendes Netz von Freizeiteinrichtungen für Kinder und Jugendliche in den Kiezen und Brennpunkten und vor allem Bezirkspolitiker mit Rückgrat."
Fritsch zumindest ist nachdenklich geworden: "In meinen 30 Politikerjahren habe ich noch nie so viele Protestbriefe bekommen". Es werde nun verstärkt nach Alternativen zur Schließung gesucht. "Ich bin kein beratungsresistenter Politiker", sagt der Bezirksstadtrat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!