Gewaltiger Grünenzwist in Berlin: Junge Grüne rügen Fraktionschefs
Parteinachwuchs kritisiert die wortstarke Distanzierung der Fraktionsspitze von Brandanschlägen und "Squat Tempelhof". Das sei Populismus und eine Rolle rückwärts.
Die beiden Fraktionsvorsitzenden der Grünen sind wegen ihrer Positionierung zu linken Politaktivisten parteiintern auf heftige Kritik gestoßen. Die Art und Weise, wie sich Volker Ratzmann und Franziska Eichstädt-Bohlig zur sogenannten Actionweek und zur Initiative "Squat Tempelhof" positioniert hatten, habe "sehr irritiert", heißt es in einem Brief von Nachwuchsgrünen an den Fraktionsvorstand.
Bei einer von der CDU beantragten Parlamentsdebatte über "roten Terror" hatte Ratzmann am vergangenen Donnerstag Menschen, die Brandanschläge auf Pkw verübten, als "selbsternannte Wächterräte" eingestuft. Auch nicht zündelnde Aktivisten, die alles ablehnen würden, was ihnen fremd sei, hatte Ratzmann als "Kiez-Taliban" bezeichnet.
Diese Wortwahl sei "eine Form des Populismus, die wir getrost unseren politischen Gegnern überlassen sollten", heißt es nun in dem Brief an die Fraktionsspitze. Er ist von 17 meist jungen Grünen unterzeichnet, darunter zwei Vorstandmitglieder der Grünen Jugend Berlin und das einstige Mitglied des Bundesparteirates, Julia Seeliger.
Schon die "Rolle rückwärts" bei "Squat Tempelhof" sei ein politischer Fehler gewesen, kritisieren die jungen Grünen. Ratzmanns Co-Vorsitzende Eichstädt-Bohlig hatte sich nach anfänglicher Unterstützung einen Tag vor der Flughafenbesetzung von der Aktion distanziert.
"Im von der konservativen Presse initiierten Wettrennen um das härteste Durchgreifen haben wir nichts verloren", heißt es weiter. Dringend geredet werde müsse stattdessen über "fragwürdige Polizeieinsätze, die versuchen, friedlichen Protest zu kriminalisieren". Die hatte Ratzmann mit keinem Wort erwähnt.
"Die jungen Leute haben Recht", sagte der Kreuzberger Abgeordnete Dirk Behrendt. "Die Verurteilung der Anschläge durch Ratzmann ist zwar richtig", ergänzte sein Fraktionskollege Benedikt Lux. Die Wortwahl aber sei unpassend gewesen.
Die beiden Vorsitzenden wiesen die Kritik zurück. Der Fehler habe nicht bei ihr und der "Rolle rückwärts" gelegen, sondern bei "Squat Tempelhof", sagte Eichstädt-Bohlig der taz. Die Initiative hätte sich deutlicher von Gewalt distanzieren müssen. Ratzmann räumte zwar ein, dass die von ihm verwendeten Begriffe sehr drastisch waren. Die Wortwahl sei auch ein bisschen der Debatte der vorangegangenen Tage geschuldet. Zurücknehmen mag er nichts davon. In der Fraktionssitzung am Dienstag sah er sich in seiner Haltung bestätigt: Einige Abgeordnete hätten Kritik geäußert, aber die große Mehrheit habe sich in seiner Rede wiedergefunden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“