Volksentscheid "Pro Reli" gescheitert: In Berlin ist der Teufel los
Die Initiative "Pro Reli" scheitert beim Volksentscheid nicht nur am Quorum. 51,3 Prozent der Wähler stimmen gar gegen das Wahlpflichtfach Religion. Das klare Ergebnis überrascht Fans wie Kritiker.
Die Auszählung der Stimmen zeigt: Der Westen der Stadt stimmte überwiegend für "Pro Reli", der Osten dagegen. Die meiste Unterstützung bekam die Initiative in Spandau (69,2 Prozent dafür), in Reinickendorf (69,1) und Steglitz-Zehlendorf (66,2). In Lichtenberg waren es nur 21,3 Prozent, in Marzahn-Hellersdorf 22,7, in Friedrichshain-Kreuzberg 27,1 und in Pankow 28,9 Prozent.
Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Beteiligung, die berlinweit bei 28,9 Prozent lag. In Steglitz-Zehlendorf gingen 40,6 Prozent an die Urne, in Reinickendorf 33,2 Prozent - in Marzahn-Hellersdorf 21,6, in Lichtenberg 23,2 Prozent.
Es war wie eine Kreuzigung für "Pro Reli": Die Initiative für das Wahlpflichtfach Religion an Berliner Schulen ist am Sonntag gleich doppelt gescheitert. Sie hat beim Volksentscheid nicht nur das Quorum von 611.000 Ja-Stimmen deutlich verfehlt. 51 Prozent der Wähler votierten gar gegen die von den Kirchen getragene Initiative. Vor allem im Ostteil Berlin plädierte eine große Mehrheit für den gemeinsamen Werteunterricht. Die Religionsanhänger fanden nur in den Westbezirken Mehrheiten. Damit bleibt Ethik wie bisher Pflichtfach für alle Schüler der Klassen 7 bis 10. Religion können sie freiwillig dazu wählen.
Bei der Wahlparty der Initiative "Pro Reli" löste das Ergebnis gegen 19.30 Uhr Entsetzen aus. Sogar die Kinder, die auf einer Empore in der katholischen Akademie an der Hannoverschen Straße noch lustige "Pro-Reli"-Reime skandiert hatten, waren still. Bei seiner Ankunft eine Stunde zuvor war Christoph Lehmann, Chef der Initiative, von den 250 Gästen noch mit frenetischen Applaus empfangen worden. Doch er schon da hatte er verbale Brücken zum später unvermeidlichen Eingeständnis der Niederlage gebaut. "Wir haben die Stadt ein ganzes Stück bewegt. Wir alle haben erlebt, dass Berlin über Gott und die Welt gesprochen hat - eine Stadt, die immer als Hauptstadt der Atheisten bezeichnet worden war", sagte Lehmann.
Erst um 20.15 Uhr gestanden Lehmann, der evangelische Bischof Wolfgang Huber und der katholische Kardinal Georg Sterzinsky die Niederlage ein. "Wir werden dranbleiben und weiter darüber diskutieren", ergänzte Lehmann. "Ich bin natürlich enttäuscht", sagte am gleichen Ort der Berliner CDU-Chef Frank Henkel: "Ich muss zur Kenntnis nehmen, dass die Tricksereien des Regierenden Bürgermeisters Früchte getragen haben." Huber hingegen sah auch Schwächen in den eigenen Reihen: "Für den evangelischen Bereich habe ich immer gesagt, dass wir keine Zustimmungsquote von 98,3 Prozent bekommen werden". Motivierend für die niedergeschlagen wirkende Menge im Saal wirkte, als Sterzinsky in deren Richtung fragte: "Sie werden sich doch nicht zurückziehen?" Ihm schallte ein lautes "Nein" entgegen.
Solche Aufputscher waren im Neuköllner Café Rix weder nötig noch möglich. Zwar fehlten Bühne und Mikros bei der Feier des Bündnisses "Pro Ethik", dennoch flossen gar Freudentränen als gegen 19.30 Uhr das Ergebnis über den einzigen kleinen Fernseher bekannt gegeben wurde.
"Damit hätte ich nicht gerechnet", sagte etwa die Vorsitzende der Linksfraktion, Carola Bluhm, als klar wurde, dass einen Mehrheit gegen "Reli" gestimmt hatte. Es sei gut, dass es nun bei dem bisherigen Model bleibe. "So eine intolerante Kampagne musste in einer toleranten Stadt wie Berlin schief gehen", schimpfte Bluhm auf "Pro Reli". Erleichtert zeigt sich hier auch der DGB-Chef Michael Sommer: "Ich war teilweise richtig sauer, wenn ich die Plakate gesehen habe. Das war nicht sachgerecht. Es ging nicht um die Freiheit."
Özcan Mutlu, bildungspolitischer Sprecher der Grünen, begrüßte zwar den Ausgang. Aber "viele Menschen haben in dieser Stadt offenbar das Bedürfnis nach mehr religionskundlichem Unterricht", gab Mutlu am Rande der Feier zu bedenken. Es wäre gut, wenn der Ethik-Unterricht dem in Zukunft Rechnung tragen würde.
Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sprach von einem "eindeutigen Votum". Trotz der heftigen Auseinandersetzungen stehe der Senat jedoch zur Förderung des freiwilligen Religionsunterrichts. Die Landesregierung sei nach wie vor an einer "konstruktiven Zusammenarbeit mit den Kirchen interessiert".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?