piwik no script img

Ausstellung über DDR-VertragsarbeiterFünf Quadratmeter fürs Wohnen

Eine Ausstellung in Berlin-Marzahn dokumentiert das Leben der Vertragsarbeiter in der DDR. Und ihren Kampf um ein Bleiberecht im wiedervereinigten Deutschland.

Hinter einem Vorhang steht ein Bett mit blaukarierter DDR-Armeebettwäsche. Das Bett wurde umgebaut, um darunter Kisten stapeln zu können. Auf dem Sprelakat-Schrank steht eine Pressglasschale mit Obst und einem angedeuteten Hausaltar. Mit Orginalrequisiten aus den 80er-Jahren haben Mitarbeiter des Vereins Reistrommel den typischen Wohnbereich eines DDR-Vertragsarbeiters nachgebaut. Wie es sich darin gelebt haben muss, kann man nun in der Ausstellung "Bruderland ist abgebrannt" in Marzahn sehen.

Die Austellung

"Bruderland ist abgebrannt": Montags und Mittwochs von 16 bis 20 Uhr, Dienstags, Donnerstags und Freitags von 11 bis 15 Uhr. Eintritt: 1 Euro.

Bis 30. Dezember 2008 im Havemanncenter, Wörlitzer Str. 3a. Anschließend tourt die Austellung durch die Bezirke.

Fünf Quadratmeter im Mehrbettzimmer standen den Arbeitskräften aus den sozialistischen Bruderländern Vietnam, Angola, Mosambik oder Kuba laut Vertrag zu. Denn in der DDR herrschte Mangel an vielem - nicht nur an Arbeitskräften, auch an Wohnungen.

Anders als die Gastarbeiter im Westen wurden sie nicht individuell, sondern über zwischenstaatliche Verträge angeworben. Arbeits- und Wohnheimplatz wurden ihnen zugeteilt. 90.000 lebten zur Wende in der DDR - die meisten davon in Sachsen. Aber auch im Ostteil Berlins nähten und bügelten Vietnamesinnen und jobbten Afrikaner auf Schlachthöfen. Sie bauten an der S-Bahn, fertigten Glühlampen im Narva-Werk in Friedrichshain oder schufteten in Elektrokohle in Lichtenberg.

"Sie wurden zur Schichtarbeit unter oft schmutzigen und gefährlichen Bedingungen verpflichtet", sagt die Ausstellungsmacherin Susanne Harmsen. Gekommen sind die Arbeiter aber alle freiwillig. Das war der einzige legale Weg, der Armut in ihren Herkunfstländern zu entkommen.

Nguyen Minh Tu zum Beispiel kam 1988 nach Marzahn und fertigte Radiogeräte. Ihren Mann und die damals vierjährige Tochter musste sie in Vietnam zurücklassen, denn die DDR hatte sehr bewusst keine Familien angeworben. Nach fünf Jahren sollten die Vertragsarbeiter zurückkehren und neue kommen. Eine dauerhafte Integration war ursprünglich nicht erwünscht.

"Als Verkäuferin habe ich in Vietnam zu wenig verdient zum Überleben", gibt sie zu Protokoll. Das Leben in Berlin war für sie anfangs ungewohnt. "Mir fiel zum Beispiel auf, dass niemand einen Hut trug wie bei uns und dass die Leute ganz andere Schuhe hatten." Erst 1996 konnte Tu ihre mittlerweile zwölfjährige Tochter zu sich holen. In den acht Jahren seit ihrer Ausreise hatten sie sich nur ein einziges Mal gesehen. "Wir mussten uns erst mal kennenlernen", sagt Nguyen Minh Tu, die heute ein asiatisches Restaurant betreibt.

Der Bevölkerung in der DDR wurde nicht erklärt, warum die Vertragsarbeiter kamen. Die in der Ausstellung dokumentierten Staatsverträge waren nicht einmal den Betreuern der Vertragsarbeiter bekannt. "Offiziell kamen die Leute zur beruflichen Bildung", erinnert sich Tamara Hentschel von der Reistrommel, die schon in der DDR Vertragsarbeiter betreute. Doch die fand nur in den ersten Jahren tatsächlich statt.

Mit 80 Ausstellungstafeln, Filmen und Mobiliar dokumentiert die Ausstellung nicht nur das Leben in der DDR, sondern auch den Kampf für ein Bleiberecht und den Nachzug von Familienangehörigen in den 90er-Jahren. Susanne Harmsen hat fast ein Jahr lang Dokumente aus Archiven und Bibliotheken zusammengetragen und Interviews geführt. "Am meisten schockiert hat mich der Umgang mit Schwangeren", sagt die Journalistin. "Vietnamesinnen hatten zumindestens die Wahl zwischen Abtreibung und Heimreise. Aber Afrikanerinnen mussten ohne Pardon nach Hause fahren, weil der Katholizismus in ihrem Heimatland die Abtreibung verbot." Als ledige Mütter erwartete sie in Angola oder Mosambik die soziale Ächtung.

Die Wanderausstellung wird im nächsten Jahr in einem Lichtenberger Gymnasium mit vielen vietnamesischen Schülern gezeigt."Die zweite Generation weiß in der Regel nicht, unter welchen Bedingungen ihre Eltern einmal nach Deutschland gekommen sind", sagt Harmsen. Weil die Eltern heute in eigenen Läden rund um die Uhr arbeiten, hätten sie kaum Zeit, ihren Kindern alte Geschichten zu erzählen. Eine Kopie der Ausstellung in Vietnamesisch wird gegenwärtig für Hanoi vorbereitet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!