Wider dem Robenzwang: Freiheit nach 283 Jahren
Die Rechtsanwaltskammer lockert die seit 1726 geltenden Vorschriften für die Kleidung vor Gericht - nach jahrzehntelanger Kritik linker Anwälte.
Eine lange Auseinandersetzung geht ihrem Ende entgegen: Rechtsanwälte in Berlin müssen vor Gericht bald offenbar keine Robe mehr tragen. Viele linke Anwälte hatten den Robenzwang als künstliche Entfremdung von ihren Mandanten und als eines der Symbole des Obrigkeitsstaates kritisiert. Am Mittwochabend hat die Rechtsanwaltskammer Berlin die Kleiderordnung gelockert, erfuhr die taz aus dem Kreis des Vorstands. Offiziell will die Kammer sich allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt zu den Ergebnissen der Vorstandssitzung äußern.
König Wilhelm I. von Preußen hatte 1726 befohlen, dass "die Advocati wollene schwarze Mäntel, welche bis unter das Knie gehen, unserer Verordnung gemäß zu tragen haben". Seither etablierte sich die Robe als allgemein akzeptierte Berufskleidung für Richter, Anwälte und Staatsanwälte. Erst vor rund vierzig Jahren kam die Wende. Die Anhänger der 68er-Bewegung wollten nicht nur den Muff unter den Talaren der Unis loswerden, sondern sich auch gleich noch der verstaubten Robe entledigen.
Die Robenpflicht beschäftigte die Gerichte hoch bis zum Bundesverfassungsgericht. Immer wieder klagten Anwälte gegen das, was sie als Eingriff in ihre Berufsfreiheit empfanden. So zum Beispiel ein Anwalt, der im Jahr 1969 am Landgericht Freiburg ohne Robe aufgetreten war. Das Gericht hatte ihn daraufhin abgelehnt - in zivil dürfe er nur zuschauen, aber keine Erklärungen für seine Mandanten abgeben.
Das höchste deutsche Gericht bestätigte im Jahr 1970 die Entscheidung. "Es besteht ein erhebliches Interesse der Allgemeinheit daran, dass Gerichtsverhandlungen in guter Ordnung und angemessener Form durchgeführt werden können", schrieben die Verfassungsrichter zur Begründung. Durch die Kleidung würden die Anwälte "aus dem Kreis der übrigen Teilnehmer an der Verhandlung herausgehoben; ihre Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege wird sichtbar gemacht".
Die Robe also als Kennzeichen einer juristischen Kaste, die gemeinsam dem Recht verpflichtet ist und vor Gericht auf Augenhöhe verhandelt? Viele Anwälte sehen das anders. "Ich stehe nicht aufseiten des Staatsanwalts, sondern auf der Seite meines Mandanten", meint etwa Anwalt Johannes Eisenberg, der nicht nur die taz öfters vor Gericht vertritt, sondern auch als Strafverteidiger arbeitet.
Auch nach Ansicht von Peter Zuriel, dem Vorsitzenden der Vereinigung Berliner Strafverteidiger, kann die Robe einschüchternd für Mandanten sein, die sich "dem Justizapparat ausgesetzt" sehen. Wenn dann auch noch der eigene Anwalt eine Robe trage, könne ein Mandant sich "alleingelassen" fühlen.
Die staatliche Robenpflicht hatte die Justizverwaltung unter Senatorin Gisela von der Aue (SPD) bereits am 23. März aufgehoben. Blieb noch die Berufsordnung der Rechtsanwälte, in der es heißt: "Der Rechtsanwalt trägt vor Gericht als Berufstracht die Robe, soweit dies üblich ist." Die Kammer hielt zunächst am Robenzwang fest. Bei Verstoß drohte somit ein Bußgeld. Nachdem es intern an der Entscheidung viel Kritik gab, hat der Vorstand nach taz-Informationen beschlossen, dass der Robenzwang zunächst befristet aufgehoben wird. Offiziell teilte die Kammer mit, sie werde sich erst später dazu äußern, um "die sachgerechte Durchführung schwebender Verfahren" gegen bereits robenlos aufgetretene Anwälte nicht zu gefährden.
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