Türkiyemspor: Entscheidung fällt nicht auf dem Platz
Der Kreuzberger Fußballverein bleibt Regionalligist, obwohl er sportlich abgestiegen war. Einen Grund für die schwache Saison sieht der Club in mangelnder politische Unterstützung - etwa bei der Platzsuche
Der Fußballverein Türkiyemspor Berlin verbreitete die frohe Kunde umgehend: "Unser Verein verbleibt in der Regionalliga. Damit ist das erste Mal in der Deutschen Fußballgeschichte ein Verein mit Migrationshintergrund länger als eine Saison in der Regionalliga." Die Funktionäre des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) hatten am vergangenen Freitag den erst vor einer Woche besiegelten Abstieg von Türkiyemspor rückgängig gemacht. Möglich wurde dies, weil der eine Liga höher spielende, finanzschwache Club Kickers Emden sich freiwillig zwei Klassen tiefer einstufen ließ. Der DFB musste daraufhin klären, welcher Club aus den drei Regionalligastaffeln davon profitieren sollte. Eine Rechtsregelung für einen solchen Fall war zuvor nicht festgelegt worden.
Das Schicksal von Türkiyemspor hing also wieder einmal von einer Entscheidung außerhalb des Platzes ab. Es war das charakteristische Ende einer Saison, in der Türkiyemspor mehr als Politikum denn als Sportverein wahrgenommen wurde. Auch der bemerkenswerte Schlussspurt (5 Siege in 6 Spielen) änderte nichts daran. So wendete noch am Donnerstag auch Türkiyemspor-Präsident Celal Bingöl das knappe sportliche Scheitern ins Politische: "Sollten wir absteigen, können Sie allen Berliner Politikern meinen Dank ausrichten. Sie haben maßgeblich zu unserem Abstieg beigetragen."
Bingöl verwies darauf, dass das Team während der Saison für seine Trainingseinheiten durch ganz Berlin vagabundieren musste, weil Türkiyemspor auch nach 30 Jahren in der Stadt über keine eigenen Plätze verfügt. Berlins Integrationsbeauftragter Günter Piening räumt zwar ein, dass die politischen Verantwortungsträger einiges versäumt haben, andererseits glaubt er aber, dass Türkiyemspors Saison aus einem anderen Grund unter keinem guten Stern stand: "Der Verein hat versucht, innerhalb eines Jahres alle Probleme auf einmal zu lösen."
Das liegt wiederum daran, dass Türkiyemspor seinen Aufstieg in die Regionalliga, in die halbprofessionelle Fußballsphäre, als historische Chance erachtet hat. Der Club wollte sein Gewicht als nun drittbestes Team Berlins in die Waagschale werfen, um die öffentliche Unterstützung zu bekommen, die bislang nur Vereinen wie Hertha und Union vorbehalten war. Denn man möchte nicht mehr nur für seine integrations- und gesellschaftspolitische Arbeit belobigt und mit Preisen ausgezeichnet werden, sondern auch ein sportliches Erfolgsmodell von Integration werden.
Und ganz erfolglos war man in dieser Hinsicht nicht: Anfang April unterbreitete Innensenator Ehrhart Körting (SPD) dem Verein das Angebot, am Jahnsportpark für 6 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket II Trainings- und Spielmöglichkeiten für die Leistungsteams bereitzustellen. Für die Zeit bis dahin hat der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg eine feste Trainingsstätte in Lichtenberg organisiert, die jedoch wegen der fehlenden Flutlichtanlage nur eingeschränkt nutzbar ist.
Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) stellte zudem im April den Antrag, für die immer größer werdende Jugendabteilung des Vereins zwei Plätze am Gleisdreieck bauen zu lassen. Ein Investitionsvolumen von 5,5 Millionen Euro, ebenfalls aus dem Konjunkturpaket II, war vorgesehen. Mittlerweile hat der Bezirk allerdings den Rückzug angetreten. Laut Schulz hat eine Prüfung ergeben, dass das Projekt bezüglich seiner Flächenplanung nicht realisierbar gewesen wäre. Hinzu kommt der vehemente Widerstand der dort angesiedelten Kleingärtner.
Türkiyemspor-Präsident Bingöl sieht dadurch allerdings wieder einmal bestätigt, dass sein Verein von der Politik an der Nase herumgeführt werde. Den Vorwurf der Ungleichbehandlung von Türkiyemspor weist Schulz aber vehement zurück: "Der Bezirk hat bislang alles in seiner Macht Stehende für den Verein getan."
Das Leistungssegment von Türkiyemspor zu unterstützen, betrachtet Schulz sowieso nicht als eine bezirkspolitische Aufgabe. Im Senat wiederum glaubt man, mit der Zusage zum Jahnsportpark seine Schuldigkeit getan zu haben. Zum sportlichen Erfolgsmodell von Integration kann der Migrantenverein jedoch wohl nur werden, wenn man Breite und Spitze zusammendenkt. "Wenn ich meine Jugend verliere, habe ich alles verloren", sagt Bingöl. Der Club könnte so womöglich eines Tages am strikten Zuständigkeitsdenken und der Trägheit der Behörden scheitern.
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