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BildungEin Moslem erklärt die Schoah

Ufuk Topkara macht Führungen im Jüdischen Museum - auf Türkisch. Seine Ansprechpartner sind vor allem für muslimische Kreuzberger Schüler.

Die verschränkten Arme und kalten Blicke der Jugendlichen wird Ufuk Topkara nie vergessen. Dass sich die Schulklasse aus Krezberg am völlig falschen Ort fühlte, war nicht zu übersehen. "Bist du Jude?", fragte ihn feindselig ein Junge, türkischstämmig wie der Rest der Klasse. Topkara stutzte kurz. Dann forderte er die Siebtklässler auf sich hinzusetzen und erzählte ausführlich von seinem Leben - auf Türkisch.

 

Er berichtete, wie er drei Jahre lang die Koranschule besuchte. Wie er sich jeden Tag drei Stunden lang mit dem Islam auseinandersetzte: Während seine Mitschüler auf dem Gymnasium draußen Fußball spielten, las Topkara den Koran. Sure für Sure auf Arabisch. Er erzählte von seiner Zeit als Imam in der Sehitlik Moschee in Schöneberg, von seinen Besuchen in Mekka und von seinem achtjährigen Bruder, mit dem er täglich eine Seite der heiligen Schrift liest.

 

Es funktionierte: Die Schüler, die sich zuerst teilweise sogar geweigert hatten, das Museum überhaupt zu betreten, waren beeindruckt. Denn was der heute 27-Jährige über sich preisgab, passte nicht in ihr Weltbild. Sie nannten ihn "Abi", was so viel bedeutet wie großer Bruder. Die ablehnende Haltung der Jungs wich echtem Interesse, und hinter den Kopftüchern der Mädchen blitzte plötzlich Neugier hervor. Die Führung durch das Jüdische Museum, die eigentlich auf 60 Minuten angesetzt war, dauerte am Ende mehr als zwei Stunden. Denn die Schüler waren fasziniert von den Gemeinsamkeiten zwischen ihrer eigenen Religion, dem Islam, und dem Judentum.

 

Seit knapp drei Jahren macht Topkara die Führungen im Libeskindbau in Kreuzberg. Dass schon seine erste Tour auf Türkisch eine solche Mutprobe werden würde, hätte er nicht gedacht. "Das war ein Sprung ins kalte Wasser", sagt der Geschichtsstudent über diesen Tag. Gelassen steht er im Foyer des Jüdischen Museums am Info-Counter, der ein bisschen so aussieht wie ein riesiger iPod. Er hat gleichmäßig zurückgekämmtes Haar und ein waches Gesicht. Mit seiner dunkel gerahmten Brille und dem Dreitagebart könnte man ihn für einen smarten Webdesigner halten. Er trägt die Kluft eines Guides: Ganz in schwarz, um den Hals ein rotes Tuch. Für diesen Tag stehen drei Führungen an - eine mehr als üblich. Sein Rekord sind vier.

 

1971 kamen Topkaras Elten aus der Schwarzmeerstadt Trabzon, tief in der anatolischen Provinz, nach Berlin. Früh vermittelten sie ihm, dass er beide Sprachen - Deutsch und Türkisch - anständig lernen sollte. Die eiserne Regel im Elternhaus, dass die Sprösslinge ihre Sprachen nicht vermischen sollen, hat ihn geprägt. So spricht er in langen und überlegten Sätzen, einen Akzent hört man nicht heraus.

 

Das Jüdische Museum liegt in dem türkisch und arabisch geprägten Kiez rund um das Hallesche Tor. "Es gehörte von Anfang an zu unseren Zielen, die deutsch-türkische Bevölkerung in Kreuzberg für unser Museum zu interessieren", sagt Eva Södermann, die Sprecherin des 2001 eröffneten Museums. Man bildete eigens eine Arbeitsgruppe, um die türkischsprachigen Berliner in die Ausstellungen zu locken. Doch der Erfolg blieb aus. Weder die Einladungen in türkischer Sprache, die in den Briefkästen der Anwohner landeten, noch die Anzeige im türkischsprachigen Lokalblatt Merhaba stießen auf merkliche Resonanz.

 

Und erst ein Zufall brachte Topkara und das Jüdische Museum zusammen. Im Sommer 2005 hielt Eva Söderman einen Vortrag an der Humboldt-Universität. In der Fragerunde stellte sich heraus, dass weder in türkischer noch in arabischer Sprache Führungen angeboten würden. Topkara überlegte nicht lange. Die neue Aufgabe hatte einen besonderen Reiz, zumal er sich in seinem Studium mit der NS-Zeit beschäftigte und schon viele Gruppen durch seine Moschee geführt hat. Er bewarb sich - und wurde genommen. Das Museum beschäftigt heute vier türkischsprechende Führer, ein arabischsprechender wird noch gesucht.

 

Im Aufenthaltsraum holt Topkara aus einem Schrank einen schwarzen, leicht ramponierten Koffer hervor. Auf den ersten Blick sieht er aus wie eine antiquierte Schreibmaschine, doch darin enthalten sind Demonstrationsobjekte: Ein Tallit, ein jüdisches Gebetstuch, und ein Tasbih, eine muslimische Gebetskette. "Ist das im Islam nicht auch so?" heißt die Führung, die Topkara gemeinsam mit zwei Kollegen aus der Bildungsabteilung entworfen hat.

 

Im Foyer wartet die Klasse 8a der Hermann-Hesse-Schule aus Kreuzberg. Als er sich sich der Gruppe vorstellt, tuscheln zwei Mädchen ungläubig auf Türkisch: "Ist der Türke?" Er nimmt es lächelnd zur Kenntnis. Er erkundigt sich nach den Namen der Schüler und wippt dabei auf seinen Fußballen hin und her. Als hätte er es nicht anders erwartet, sind die Namen fast ausnahmslos türkisch. Scherzhalber bietet er ihnen an, er könne die Führung auf Türkisch halten. Sofort hallt es kollektiven Einspruch: Da würde ja Robin nichts verstehen. Damit ist das Eis gebrochen, und die Gruppe zieht los, hinab in den Keller des Zickzackbaus.

 

Wie bei einem Nachrichtenticker sind an den Wänden der sogenannten Exil-Achse die Namen von Städten aufgelistet, in die deutsche Juden vorm Naziregime flohen. Topkara prüft das geografische Wissen der Jugendlichen. Dass Schanghai in China und New York in den Vereinigten Staaten liegt, wissen sie aus dem Effeff. Und Haifa? "Heute in Israel," sagt ein Junge. Ob sich dahinter ein politischer Kommentar befand, weiß Topkara nicht. Und er hakt auch nicht nach. "Es hat keinen Sinn, auf die Situation im Nahen Osten einzugehen," sagt er fast lakonisch. Das Thema sei viel zu komplex, um es in einer Führung mit einer 8. Klasse zu diskutieren.

 

Zum Thema Holocaust fällt den Jugendlichen der türkische Rapper Ceza (deutsch: Strafe) ein, der ein Lied mit dem Namen "Holocaust" veröffentlicht haben soll. Da muss Topkara zugeben: Das hat er nicht gewusst. Nachdenklich streicht er sich mit den Fingerspitzen über die Wange. Er überlegt. Dann erzählt er den Schülern eindrücklich von den entsetzlichen Verbrechen der Deutschen in den Vernichtungslagern. An türkischen Sprechgesang denkt da keiner mehr. Besonders die Mädchen schauen schockiert drein. "Gerne mache ich das nicht," gesteht Topkara nach der Führung, "aber ich wollte ihnen den Ernst der Sache verdeutlichen."

 

Seine Freunde reagierten überrascht, als Topkara seine Arbeit im Museum antrat. "Ich war mit Gesichtern voller Fragezeichen konfrontiert," erinnert er sich. Geärgert hat ihn, dass er bei manchen auf offene Ablehnung und Antisemitismus stieß. Der Grund für die Vorbehalte war stets der Nahostkonflikt. Inzwischen hat er den meisten seiner Freunde das Museum in privaten Führungen gezeigt.

 

Bei Führungen wie der mit der 8. Klasse sei es eine Gradwanderung zwischen einem kumpelhaften und einem Lehrer-Schüler-Verhältnis, sagt Topkara. Beides zu vereinen sei schwierig, aber möglich. Gerade pubertierende Jungs suchen manchmal die Konfrontation mit ihm. Gefälligkeit ist aber nicht sein Ding. Einmal musste er einen Unruhestifter sogar vor die Wahl stellen: Entweder er benimmt sich oder er ist draußen. Wie man sich als Guide in brenzligen Situationen verhält, muss man selbst entscheiden - einen Kurs bietet das Museum nicht an. Einzig einen Lehrgang über Argumente gegen antisemitisches Ideengut müsse man besuchen, erzählt Topkara.

 

Das Thema Islam ist für die Schüler sichereres Terrain. Der 14-jährige Fatih, der seinen Namen in Glitzerbuchstaben als Armband trägt, schaut über Topkaras Schulter in eine Ausgabe des Korans. Vorsichtig beginnt der Schüler zu lesen, es ist die Geschichte von Adam und Eva. Topkara nickt anerkennend, dann liest er selbst: Die scharfen Kehllaute des Arabischen klingen ungewohnt, und der melodische Gesang der Suren hat eine geradezu magnetische Wirkung. Ganz still hat sich um die Kreuzberger Gruppe eine Traube neugieriger Museumsbesucher gebildet.

 

Fatih hat die Führung gut gefallen. Die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Weltreligionen hat er gesehen, aber er gibt zu bedenken: "Es muss auch Unterschiede geben." Juliane Kahl, Klassenlehrerin der 8a, unterhält sich nach der Führung eine Weile mit dem Guide, es werden Kontakte ausgetauscht. "Ich war nicht überrascht, dass Ufuk Topkara als Moslem hier arbeitet," sagt die Pädagogin, "aber ich finde es sehr schön."

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