Lücken in der Internetversorgung: Digitale Boheme umgeht Brandenburg
In weiten Teilen des Landes ist noch immer kein schneller DSL-Internetzugang verfügbar. Investoren meiden auch deswegen die wirtschaftlich schwache Region. Die Landesregierung will mit einer Initiative gegensteuern - vielleicht zu spät.
Sie hatte sich extra den trübsten Monat ausgesucht. Wenn sie im November nach Wittenberge fahre, sagte sich die Kölner Unternehmerin Monika Röthig, könne es nur noch besser werden. Röthig brach im Herbst 2006 auf, um in Brandenburg eine Filtertechnologiefirma zu gründen. Mittlerweile sitzt die Firma in Rheinland-Pfalz. Und alles nur wegen DSL. "Ich war blöd und naiv", sagt Monika Röthig heute.
Sie hatte den Antrag auf Fördermittel bereits gestellt, Produktionsräume in einem Technologiezentrum gemietet, war dabei, vier Angestellte zu suchen. "An dem Punkt habe ich gedacht: So, jetzt bestelle ich mal DSL." Ihr Techniker kam verwirrt zurück: DSL, das gebe es hier nicht. "Ich bin überhaupt nicht auf die Idee gekommen, vorher danach zu fragen", sagt Röthig. "Ich bin selbstverständlich davon ausgegangen." Zehn Monate lang versuchte sie, eine Lösung zu finden, um in Wittenberge zu bleiben. Sie sprach mit Bürgermeistern, Staatssekretären, der Familienministerin - eine "Farce", sagt sie. Dabei lag das rettende Kabel nur 500 Meter von dem Technologiezentrum entfernt. "Ein Zustand wie in Entwicklungsländern", kommentiert Röthig trocken.
Das Problem sind tatsächlich die letzten Meter, der Begriff "The Last Mile" ist zum feststehenden Ausdruck geworden. Gerade in den neuen Bundesländern steht er für das, was Fortschritt von Peripherie unterscheidet. Die letzte Meile trennt diejenigen, die angeschlossen sind an die Datenautobahn, von denen, die auf analogen ISDN-Landstraßen durchs Internet schleichen. Die digitale Kluft ist in Brandenburg Realität.
Das hat auch die Landesregierung erkannt. Auf Initiative von Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns (CDU) startete sie im Sommer 2007 die "Breitbandinitiative". Die Landesregierung sei bestrebt, dass in den Kernregionen "bis Ende 2008 die Verfügbarkeit von Breitbandkommunikation sichergestellt" werde, heißt es in einem dazugehörigen Memorandum. Der Rest soll bis 2010 flächendeckend versorgt sein.
Doch ist die flächendeckende Versorgung mit DSL tatsächlich ein Weg, eine weitere Periphersisierung ländlicher Regionen aufzuhalten? Georg Erber vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sagt: "Die im offiziellen Breitbandatlas der Bundesregierung erfassten Angebote von Firmen zur Breitbandversorgung auf Gemeindeebene ist zu ungenau, um die Versorgungslücke im ländlichen Raum angemessen zu erfassen." Dieter Pötschke vom Technologiereferat des Brandenburger Wirtschaftsministeriums erklärt: "Harte Daten gibt es bisher nicht. Aber Studien, die nachweisen, dass ein Viertel der vorhandenen Arbeitsplätze in Deutschland telearbeitsfähig sind."
Hoffen auf Investoren
Seit Mitte der 90er-Jahre baut das Ministerium laut Pötschke angeblich auf diese Erkenntnis. Sie fußt auf einer einfachen Gleichung: Wir leben in einer Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft, die immer stärker auf schnelle Internetverbindungen angewiesen ist. Handwerker, die sich an Ausschreibungen beteiligen wollen, müssen Formulare herunterladen, Architekten und Ingenieure müssen riesige Datenmengen im Netz bewegen, Großunternehmen richten nur Telearbeitsplätze ein, wenn eine stabile DSL-Leitung vorhanden ist. Wo folglich kein Breitband verfügbar ist, da gibt es keine Arbeitsplätze; wo keine Arbeitsplätze sind, ziehen die Menschen weg - und erst recht nicht hin. Der Flächenstaat Brandenburg, wo außerhalb des Berliner Speckgürtels in den letzten Jahren Tausende weggezogen sind, steckt mitten im demographischen Wandel. Und versucht nun endlich, gegenzusteuern.
Das war nicht immer so. In einem Gutachten von 2006, mit dem die Staatskanzlei Strategien gegen den "demographischen Wandel in dünn besiedelten Räumen" eingefordert hatte, taucht weder das Wort DSL noch Breitband auf. "Vor zwei Jahren war kaum einem der lokalen Entscheidungsträger klar, dass schnelles Internet ein Mittel gegen Landflucht sein könnte", sagt auch Sascha Wilms vom Verband der Internetwirtschaft ECO. Er ist Projektleiter der "Breitband-Roadshow", mit der ECO von 2005 bis 2007 durch die Bundesländer tingelte, um vor Ort für die neuesten Technologien und das Potenzial von Breitbandinternet zu werben.
Das sei ja alles schön und gut, bekam er von Anwohnern oft zu hören, aber man habe nun einmal kein Breitband. Zumindest Wilms ist sich sicher: "Kommunen ohne Breitband haben einen echten Wettbewerbsnachteil." Große Datenmengen über ISDN zu bewegen, dauere nun einmal länger - und je länger, desto teurer werde es. Allein Privatkunden zahlten unter Umständen drei Mal so viel wie für eine DSL-Flatrate. Erst der wettbewerbsbedingte Wegzug von kleinen und mittleren Unternehmen habe bei manchem Bürgermeister ein Umdenken bewirkt: "Wenn die Gewerbesteuer einbricht, tut das nun mal mehr weh, als wenn sich einzelne Bürger über fehlenden Breitbandzugang beschweren."
Wo es DSL in Deutschland gibt und wo nicht, zeigt ein Blick auf den Breitbandatlas, den das Bundeswirtschaftsministerium regelmäßig erstellt. "In den anderen Bundesländern sieht man zwischen versorgten grünen Flächen nur vereinzelte weiße Flecken", sagt Matthias Gehrmann von der Industrie- und Handelskammer Potsdam, der auch die Filiale des Netzwerks für Elektronischen Datenverkehr eComm leitet. "Bei uns im Land sind das eher weitestgehend unterversorgte weiße Flächen mit einzelnen grünen Punkten." In Zahlen ausgedrückt: Laut Breitbandatlas ist ein schneller Internet-Zugang für über 97 Prozent der Bundesbürger verfügbar. Doch noch immer sind 900.000 Haushalte von der Datenautobahn abgehängt - vor allem in ländlichen, dünn besiedelten Gebieten.
Brandenburg ganz hinten
Wie der aktuelle "(N)Onliner-Atlas" der Initiative D21 zeigt, tragen Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt das Keller-Duell unter sich aus. Ein Breitbandatlas nur für Brandenburg soll nun eine Übersicht über den Bedarf liefern. Ein kleiner Satz oberhalb der Grafik auf der Website verweist auf die Brandenburger Normalität: "Hinweis: Das Laden der Karte kann bei normalem ISDN und Modemzugang etwas dauern."
Um den Zugang zu schnellem Internet auch in den ländlichen Regionen zu verbessern, wollen Bund und Länder bis 2010 gemeinsam Fördermittel in Höhe von 50 Millionen zur Verfügung stellen. Experten aus der Wirtschaft halten dagegen, dass mehrere Milliarden nötig seien. Länder wie Bayern, wo es auch noch viele weiße Flächen gibt, greifen deshalb selbst in die Tasche. Sie wollen 19 Millionen Euro aus Landesmitteln in die ländliche Internet-Infrastruktur stecken.
Dass Brandenburg heute über weite Strecken DSL-Wüste ist, liegt auch daran, dass - wie in den anderen neuen Bundesländern auch - nach der Wende auf modernste Technologie gesetzt wurde. Nur das Neueste war gut genug. Also wurden die alten Kupferkabel entfernt und stattdessen Glasfaser verlegt. Zwar liegt in Westdeutschland auch Glasfaser. Das Problem in Ostdeutschland ist aber, dass die Glasfasernetze dort nicht rückkanalfähig sind. Und der Rückkanal ist letztlich, was eine analoge Landstraße in einen digitalen Highway verwandelt. Abhilfe würde schaffen, die "Letzte Meile" Kupferkabel zu verlegen - denn das ist rückkanalfähig.
Und hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Schließlich müssten im Flächenland Brandenburg besonders viele Kabelmeter neu verlegt werden, um möglichst viele Haushalte und Gewerbegebiete anschlussfähig zu machen. Diese Investitionen sind dem Monopolisten Telekom schlichtweg zu teuer. Und selbst wenn Breitband als Lockstoff für Investoren und Firmengründer eingesetzt werden würde: Diese brauchen Abnehmer. In einer Region, in der die wenigsten Menschen pro Quadratkilometer in Deutschland wohnen, ist das schwieriger als etwa in Rheinland-Pfalz oder Nordrhein-Westfalen. Wenn die erwartbare Kaufkraft fehlt, fehlen den Investoren die Argumente. Ein klassischer Teufelskreis.
Minister Junghanns setzt auf die Pluralität der Technologien, er erhofft sich so mehr Wettbewerb. Tatsächlich gibt es neben dem herkömmlichen DSL-Zugang auch Funktechnologien wie Wimax, das ähnlich wie W-LAN funktioniert. Während Wimax den einen als Hoffnungsträger gilt, sagen Kritiker allerdings, die Technik sei noch nicht ausgereift und viel zu teuer. Für Unternehmen, die auf Datensicherheit setzen, gilt Wimax wie auch der Breitband-Zugang via Satellit überdies als zu gefährlich. Eine andere Alternative ist, Breitband über Kabel, zusammen mit Fernsehen und Radio, zu beziehen. In der Region steht das Jahr 2008 für die Medienanstalt Berlin-Brandenburg deshalb ganz im Zeichen eines Pilotprojekts, das Rundfunkfrequenzen für Breitband nutzen will.
Doch am Ende steht immer die Frage: Wer soll das bezahlen? Wo es der Markt nicht richtet, muss die Politik die Initiative ergreifen, um mit Fördermitteln Anreize zu schaffen, Breitbandzugänge zu schaffen. So wie in den skandinavischen Ländern, wo die öffentliche Hand Breitband als strategisches Mittel zur Regionalentwicklung und Teilhabe in abseitigen Räumen einsetzt. In Estland zum Beispiel findet man auch in den entlegensten Regionen mit dem eigenen Notebook den Weg ins World Wide Web. Dafür sorgen die 1.100 Hotspots, die etwa 45.000 Quadratkilometer der Landesfläche abdecken. "Wir haben den kostenlosen Zugang zum Netz zu einem Grundrecht der estnischen Bürger erklärt", freut sich Ex-Premier Mart Laar noch heute. "In Büchereien, Schulen und anderen städtischen Einrichtungen gibt es freie Internetzugänge." Tatsächlich sind in Estland drei Viertel aller Bewohner online, bei den 10- bis 24-Jährigen sind es 90 Prozent. Verglichen mit "E-stland", wie manche schreiben, sind viele Regionen Deutschlands Entwicklungsländer.
Der Staats solls richten
In Deutschland, finden Beobachter, schielt man noch immer viel zu stark auf die Telekom. Das Quasi-Monopol des einstigen staatlichen Telekommunikationsunternehmens verhindere Wettbewerb. "Aber wenn es der Markt bis heute nicht geregelt hat, eine flächendeckende Grundversorgung zu gewährleisten", sagt Matthias Gehrmann von der IHK, "dann wird es der Markt auch in diesem Jahr und danach nicht geregelt kriegen."
Deshalb plädiert er für die estnische Variante: Breitband als Teil der "Universaldienstverpflichtung", wie TV und Telefon. "Es sollte Auftrag des Staates sein, eine Grundversorgung für alle sicherzustellen", findet Gehrmann. Es müsste so sein wie mit dem Strom: "Einfach nur einschalten, und es ist da und das überall in der ganzen Republik."
Was aber nun die richtige Strategie für Brandenburg ist, darüber sind sich die Experten nicht einig. Georg Erber vom Deutschen Institut für Wirtschaft findet, die Landesregierung solle nichts übers Knie brechen, kurzzeitige Erfolge könnten sie teuer zu stehen kommen. Er plädiert dafür, lieber noch ein, zwei Jahre zu warten, bis etwa die Wimax-Technologie verlässlicher sei. "Bloß nicht noch länger warten", meint dagegen Christian Anders von der Pro-DSL-Initiative geteilt.de. Er sitzt als "Schmalbandler", wie er es nennt, in Mecklenburg-Vorpommern und weiß, wie es ist, auf ISDN angewiesen zu sein. "Wenn nicht zügig etwas passiert, werden die Gebiete in der Peripherie noch mehr abgehängt." Er kennt viele Selbstständige, die Breitband brauchen, und andere, die sich gegen das Häuschen in der ostdeutschen Provinz entschieden haben, weil kein DSL verfügbar war.
So wie in Blumberg, einer Kleinstadt zwischen Prenzlau und Schwedt. Philipp Schöning wohnt dort, mit seiner Initiative "DSLnachBlumberg.de" kämpft er beharrlich für Breitband. Aber es gibt Hoffnung. "Blumberg wird 2008 DSL-fähig", lautet einer seiner aktuellsten Einträge. Vielleicht finden sich dann auch in Blumberg mutige Unternehmerinnen wie Monika Röthig. Arbeitsplätze könnten entstehen, und die Menschen hätten eine Chance zu bleiben.
Als Röthig nach ihrem Scheitern in Wittenberge ihr Anliegen in Rheinland-Pfalz vortrug, sagt sie, hätte sie innerhalb von zehn Tagen einen Termin im Wirtschaftsministerium gehabt. Unternehmensgründer, die Arbeitsplätze schaffen, sind in Rheinland-Pfalz willkommen.
Der Text ist dem vom Kulturland Brandenburg e.V. herausgegebenen und vor wenigen Wochen erschienenen Buch "Stoffwechsel. Brandenburg und Berlin in Bewegung" entnommen. Verlag Koehler & Amelang, 191 Seiten
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