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Brennende AutosDie Hundert ist voll

Mehr als hundert Brandanschläge auf Autos gab es in diesem Jahr. Und dann sind da auch noch die Luftablasser. Was haben Linke bloß gegen Autos?

Als im November 2005 in Paris die Vorstädte brannten, machten sich auch in Berlin einige Aktivisten ans Werk. In der Nacht auf den 9. November gingen in Pankow und Wedding sechs Autos in Flammen auf. Bereits in der Nacht zuvor waren fünf Autos angezündet worden. Die Täter wurden nicht ermittelt. Ihre Motive freilich ließen sich ahnen: "französische Verhältnisse" auch in die deutsche Hauptstadt tragen. Was lag da näher, als auf das Symbol des "Aufstands" in der Banlieue zurückzugreifen - brennende Autos.

Zwei Jahre später braucht es keine Unruhen in Frankreich mehr. Statt französischer herrschen an der Spree "Berliner Verhältnisse". In der Nacht zum Dienstag wurde laut Polizei der hundertste Brandanschlag auf Autos verübt. Dabei wurde auch ein unbeteiligtes Fahrzeug in Mitleidenschaft gezogen. Insgesamt wurden in diesem Jahr 112 Fahrzeuge zerstört. Im Großen und Ganzen, so attestierte die Polizei den Brandstiftern, habe es sich bei den ausgebrannten Wracks um "höherwertige Fahrzeuge" gehandelt.

Das klingt fast, als hätte die "militante gruppe" Gehör gefunden. Schon im Juni hatte die "mg", gegen die die Bundesanwaltschaft seit geraumer Zeit mit allen Mitteln zu Felde zieht, den Aufruf einer "Autonomen Gruppe Berlin" zum "langgezogenen Volxsport-Wettbewerb zum G-8-Gipfel" als "entpolitisierte Karikatur einer militanten Kampagne" kritisiert. Der Grund: Bei den Autos, die vor und nach dem Treffen in Heiligendamm abgefackelt wurden, habe es sich weniger um "Nobelkarossen" als vielmehr um Klein- und Mittelklassewagen gehandelt. Solche Aktionen aber, sorgte sich die "militante gruppe", diskreditierten linke Militanz.

Die Kritik der "mg" ist gleich in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. Zum einen deutet sie darauf hin, dass es innerhalb der linksradikalen Szene unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, welche Autos angezündet werden dürfen und welche nicht - wo also die "Grenze" zwischen Arm und Reich verläuft.

Zum andern zeigt sie den Versuch, ein Stück militanter Geschichte in die Gegenwart zu retten - den gezielten Angriff auf ein Objekt als Symbol für die ungebrochene Macht des Kapitalismus. Hinter den Brandanschlägen steckt damit eine "Politik der Abschreckung", die weniger auf den Fahrzeughalter und dessen Mobilitätsverhalten zielt als vielmehr auf die "Verhältnisse" insgesamt. Tatsächlich will die "mg", wie ihre Schriften zeigen, die Systemfrage stellen statt am prekären Alltag Einzelner anzusetzen. Dieses altbackene Konzept linksradikaler Militanz hat die Bundesanwaltschaft dankbar aufgegriffen - obwohl ihre Unterstellung, diese Anschläge würden "durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen", nicht einmal den Bundesgerichtshof zu überzeugen scheint.

Ganz anders agiert die "Ökoguerilla", die schon an mehr als 200 Geländewagen die Luft aus den Reifen gelassen hat. Sie hat nicht nur namhafte Fürsprecher wie den Regisseur Hans Weingartner ("Die fetten Jahre sind vorbei") auf ihrer Seite. Auch international sind die Luftrauslasser hervorragend vernetzt. Nicht nur in Deutschland ärgern sie die Besitzer der monströsen Spritfresser, sondern auch in Frankreich und Belgien. Unlängst mutmaßte die Süddeutsche Zeitung gar, es gebe einen Zusammenhang zwischen den Luftablassern und den zahlreichen Initiativen für autofreies Wohnen, was diese aber empört von sich gewiesen hatten.

Was die Luftablasser von den Autoanzündern unterscheidet, ist nicht nur die Wahl der Mittel, sondern auch der Adressat. Im taz-Interview formulierte einer der Aktivisten seine Botschaft an die Fahrer von Geländewagen und "Sport Utility Vehicles" (SUV): "Jeder hat in diesem Zusammenhang (dem Klimawandel, d. Red.) eine gesellschaftliche Verantwortung. Einen dicken, benzinfressenden Geländewagen in der Stadt zu fahren, ist einfach ökologischer Irrsinn."

Nicht die Systemfrage wird hier gestellt, sondern die der individuellen Verantwortung und damit des eigenen Handelns. Diese Botschaft kommt tatsächlich an, wie ein Blick ins Forum von www.taz.de zeigt. Dort meldeten sich Dutzende Leser zu Wort und stritten mit Verve über die Legitimität der Motive der Luftablasser und die Wahl ihrer Mittel.

Über eines aber können auch die platten Reifen nicht hinwegtäuschen: Es sind keine besorgten Eltern, die gegen die Riesenmonster auf der Straße zu Felde ziehen, sondern Aktivisten, die im Namen des Klimas zum Umdenken auffordern - eine Softvariante der Erziehungsdiktatur. Und eine erstaunliche obendrein, wenn man bedenkt, dass bislang noch jeder Heizpilz in Friedrichshain und Prenzlauer Berg unbeschädigt blieb. Wahrscheinlich wollen auch die Luftablasser nach getaner Arbeit noch schnell ein Bierchen unter der Wärmesonne schlürfen.

Auch wenn Bundesanwaltschaft und Polizei weiter mit Hochdruck gegen die linken Autofeinde fahnden: Im Vergleich zu Frankreich und Paris können die Berliner beruhigt sein. Alleine in der Nacht nach der Wahl von Nicolas Sakozy zum Staatspräsidenten brannten im Nachbarland 700 Autos.

Und während die Randale der "Casseurs", der Kaputtmacher, Ausdruck eines dauerhaften Ausschlusses von gesellschaftlicher Teilhabe ist, gehen die abgefackelten Autos in Berlin auf das Konto einer radikalen Linken, die im Wettkampf um mediale Aufmerksamkeit endlich Punkte machen will. Die Aufgeregtheit der öffentlichen Debatte scheint ihnen dabei Recht zu geben.

Der Versuch allerdings, französische Verhältnisse nach Berlin zu tragen, war schon vor zwei Jahren fehlgeschlagen. Im Bericht des Landeskriminalamts zu politisch motivierten Straftaten wurden die Brandanschläge auf Pkw nicht einmal erwähnt. Danach gab es 2005 insgesamt nur 12 politisch motivierte Brandstiftungen von links.

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