Umbau in Berlins West-City: Die Brücke am Breitscheidplatz fällt
Das Schimmelpfenghaus, das die Kantstraße überspannt, wird ab heute abgerissen. Damit verschwindet ein weiteres Baudenkmal der Nachkriegsmoderne - und ein kleines Wahrzeichen Westberlins. An seiner Stelle entstehen Hochhäuser
Das wird kein gewöhnlicher Abriss: Erst werden ein, zwei oder drei der oberen Geschosse abgetragen. Dann wird das Haus in zwei Teile zersägt und eingerissen. Schließlich bleibt ein Rest des Gebäudes an der südlichen Kantstraße stehen.
Das Schimmelpfenghaus am Breitscheidplatz, das ab diesem Dienstag dem Neubau des 120 Meter hohen sogenannten Zoofensters weichen muss, ist auch kein gewöhnliches Gebäude. Wie eine Brücke überspannt das neunstöckige Haus diesen Abschnitt der Kantstraße. Durch einen kleinen Tunnel fährt man unter ihm hindurch. Nach Westen versperrt der dicke, graue Riegel den Blick, die Platzseite rahmt er wie eine Fassung.
Vom lichten Penthouse reicht der Blick weit über die Gedächtniskirche hinweg bis nach Ostberlin. Jeder, der bis zum Jahr 2006 am Bahnhof Zoologischer Garten aus dem Zug stieg, prallte quasi auf die breite Wand des Schimmelpfenghauses. Die vier gelben Reklamebänder für die Zeitung Tagesspiegel gehörten ebenso zum Image des Gebäudes wie der in die Architektur eingestellte gläserne Pavillon mit dem "China"-Restaurant. Das Baudenkmal Schimmelpfenghaus war und ist - und wird es bis zum endgültigen Verschwinden sein - ein Symbol Westberlins.
Natürlich vollzieht sich der Abriss eines solchen Bauwerks nicht ohne Widerstand und geräuschlos. Architekten und Künstler, die grünen Bezirkspolitiker und Denkmalschützer versuchten lange, das Haus zu retten. Adrian von Buttlar, Vorsitzender des Landesdenkmalrates, bezeichnete die Abrissgenehmigung für den arabischen Hotel-Investor als "eklatanten Fehler". Der Ende der 50er-Jahre errichtete Brückenbau sei "charakteristisch für seine Zeit und müsse erhalten bleiben". Der Filmregisseur Dominik Graf und die Architekturfotografin Christine Kisorsy wetterten ebenfalls gegen den Verlust eines Stücks Berliner Geschichte und Nachkriegsmoderne, "die man seinen Kindern nicht mehr zeigen kann und die du kennst und die auch für deine Generation steht", so Graf.
Bis zuletzt kämpfte der Verein "Denk mal Berlin" für den Riegel im Schatten der Gedächtniskirchenruine. "Es ist ein erhaltenswertes Beispiel dafür, wie die Nachkriegsmoderne Elemente der Moderne und der Tradition kombinierte", sagt Roman Hillmann, Architekturhistoriker an der Technischen Universität.
Sinnfällig erscheinen diese Argumente darum, gehört das Schimmelpfenghaus doch zu den baulichen Besonderheiten im ambitionierten Westberliner Wiederaufbauprogramm der 50er- und 60er-Jahre. Das nach dem Entwurf der Architekten Franz Heinrich Sobotka und Gustav Müller 1957 bis 1960 erbaute neungeschossige Geschäfts- und Bürohaus für das Geldinstitut Schimmelpfeng GmbH adaptierte die kühle, sachliche Bauhausmoderne ebenso wie den International Style jener Jahre. Zusammen mit dem Ensemble aus alter und neuer oktogonaler Gedächtniskirche, der verkehrsgerechten Platzgestaltung, dem Bikinihaus gegenüber samt späterem Europa-Center bildete es eine ästhetische und funktionale Chiffre des freien, neuen, demokratischen Berlin.
Warum also der Abriss? Während die preußische Baukultur - siehe Schlossdebatte - eine Renaissance feiert, versagt man in Berlin der Nachkriegsmoderne bis dato den Bedeutungs- und Traditionsanspruch. Für den einstigen Senatsbaudirektor Hans Stimmann gleichen diese Bauten eher "Bausünden". Hinzu kommt, dass das Schimmelpfenghaus den Breitscheidplatz von der Kantstraße "wie mit einem Riegel abtrennt, statt eine städtische Einheit zu bilden". Das Haus trage maßgebend dazu bei, dass sich der Platz in einem Niedergang befinde. Das Brückenbauwerk, legte Stimmann nach, verwandle auf der Westseite die Kantstraße "in einen Hinterhof".
Das zog: Statt der Sanierung der Architekturen entschied sich der Senat Mitte der 90er für eine Aufwertung des Stadtquartiers durch Neubauten. An der nördlichen Ecke des Schimmelpfeng-Areals soll ein achtgeschossiges Bürogebäude entstehen, dahinter der 120 Meter hohe Geschäfts- und Hotelturm des Architekten Christoph Mäckler. Gegenüber sind zwei 120 Meter hohe Hochhäuser geplant.
Die "Brücke" wäre dann weg, der Blick frei. "Es ist wünschenswert, wenn das Zoofenster bis an die Gedächtniskirche heranrückt", meint Klaus-Dieter Gröhler, CDU-Baustadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf. Bis dahin - nämlich 2012 und womöglich darüber hinaus - werden die Berliner das neue Zoofenster schon einmal lieben lernen. "Wir haben gehört, dass der Abriss jetzt losgeht", sagt Manuela Damianakis von der Senatsbauverwaltung. Dafür werde die Kantstraße dichtgemacht. Wie lange die Staus rund um das Areal die Luft verpesten, kann die Verwaltung nicht sagen. Der Preis für den Abriss eines Stücks Berliner Geschichte aber wird sicherlich hoch sein - sprich: lange dauern.
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