Flüchtlinge: Die Angst vor der Abschiebung nach Guantánamo
In wenigen Tagen sollen 50 Flüchtlinge im brandenburgischen Sedlitz in eine ehemalige Kaserne umziehen - mitten im Wald. Die Asylbewerber wehren sich.
Isa Vahaev hat sich auf einem kleinen Block Notizen gemacht. "Der Landrat lügt, oder er hat sich nicht richtig informiert." Dann richtet sich der blonde Tschetschene auf: "Ich geh nicht nach Bahnsdorf. Nie." Isa Vahaev hat zu viel erlebt, als dass er hier einfach klein beigeben würde. Sechs Jahre Krieg in Tschetschenien, Alkoholsucht, Nervenprobleme. Seine großen Hände fuchteln in der Luft. Unter der blauen Trainingsjacke steckt ein kräftiger, hochgewachsener Körper. Der 35-Jährige lässt sich in den Sessel zurückfallen und wirft in gebrochenem Deutsch hinterher: "Das ist kein Spiel. Wir sind auch Menschen."
Isa Vahaev sitzt im Gemeinschaftsraum des Asylbewerberheims Sedlitz, einem Ortsteil von Senftenberg, ganz im Süden Brandenburgs. Feste haben sie in dem Zimmer gefeiert: das afghanische Neujahr, viele Geburtstage, einige Geburten. In den nächsten 18 Monaten wird hier wohl niemand mehr feiern. Vahaev und die anderen 46 Flüchtlinge sollen umziehen - ins acht Kilometer entfernte Bahnsdorf. Sanierungsarbeiten machten dies notwendig, hat ihnen die Ausländerbehörde des Landkreises geschrieben.
"Bahnsdorf", da schütteln sie den Kopf in dem langgezogenen, ehemaligen Schulgebäude in Sedlitz. "Bahnsdorf ist Gefängnis, totale Isolation", wird Isa Vahaev energisch. Sie haben eine Petition geschrieben: Den geplanten Umzug am 30. November, den machen wir nicht mit. Und sie haben, am Donnerstag, Klage dagegen eingereicht am Verwaltungsgericht Cottbus.
Bahnsdorf, das ist eine alte Russenkaserne, direkt im Kiefernwald zwischen Allmosen und Lindenfeld. Eingezäunt, gut bewacht, fernab von den Senftenbergern. Alle zwei Stunden fährt ein Zug in die Kreisstadt. Zweimal täglich kommt der Bus. Bis heute sollen in dem umliegenden Forst Munitionsreste liegen; in der Hausordnung des Heims heißt es, dass für möglicherweise durch Kampfmittel entstehende Schäden nicht gehaftet werden kann. Im März hatte der Kreistag Oberspreewald-Lausitz zwar die Schließung des Heims in Bahnsdorf bereits beschlossen, aber bis 2009 sollen noch Flüchtlinge dort wohnen bleiben - nach dem Willen des Landrats in wenigen Tagen auch noch die Sedlitzer.
Es seien aufwendige Sanierungs- und Anbauarbeiten im Sedlitzer Heim, die den Umzug nötig machten, beteuert Landrat Georg Dürrschmidt, ein Mann mit breitem Schnauzer und ovaler Brille unter der hohen Stirn. Nach Ende der Arbeiten könnten alle Bewohner wieder zurück in die Stadt, Bahnsdorf würde dann endgültig geschlossen. "Die sollten froh sein. Wir bauen doch, um vernünftige Verhältnisse für die Asylbewerber zu schaffen", grollt der CDU-Mann. Zudem brauche sich das Bahnsdorfer Heim nicht zu verstecken: "Alle werden dort bessere Verhältnisse als in Sedlitz vorfinden." 50 Quadratmeter pro Person, eigene Badezimmer, Kleinkinderbetreuung gleich nebenan und Mobiliar, bei dem "manch Hartz-IV Empfänger neidisch wäre", so Dürrschmidt.
"Das sind glatte Lügen." Viola Weinert, Kreistagsabgeordnete der Linkspartei, schüttelt den Kopf. Die Gymnasiallehrerin ist seit acht Jahren regelmäßig zu Besuch bei den ausländischen Gästen in ihrem Landkreis. Sie hat in deren Heim ihre Geburtstage gefeiert: "Man kann diese Menschen doch nicht allein lassen." Vor allem nicht in Bahnsdorf, da hinten im Wald.
Von der Bundesstraße 169 ein Stück durch den Kiefernforst, am Friedhof links, fährt man genau auf das große, graue Eisentor zu. Ahmed* begrüßt die Gäste mit einer Umarmung statt mit Händedruck. Vor seiner Baracke liegen Katzen. Auf den Fensterbrettern, in den Müllcontainern. 14 Stück zählt er. In der Gemeinschaftsküche macht sich ein Mann aus Afghanistan Teigfladen. Eine einzige, weiße Pfanne steht in den offenen Regalen. Ahmed gießt Schwarztee auf. "Wie zu Hause" - mit viel Zucker und Milch. Sein Zimmer ist karg eingerichtet. Ein Spiegel an der Wand, Sprelacart-Schränke, vor dem Fenster hängt eine braungelbe Blümchengardine. Zwei Betten.
"Eins zum Schlafen, eins zum Sitzen", sagt Ahmed und lächelt.
Er holt Kekse und Saft. Und den Brief. Er enthält seinen Abschiebetermin. "Bitte beachten sie, nur 20 Kilogramm Gepäck bei sich zu führen", hat die Behörde dort zu bedenken gegeben. Ahmed hat den Brief zwei Tage zuvor bekommen. Er weint. "Bitte bleiben Sie zum Abendbrot, ja? Bitte."
Seit vier Jahren wohnt Ahmed in Bahnsdorf. Hier hat er einen Job: Toiletten putzen, Flure fegen, das Gelände sauber halten. 1 Euro pro Stunde bekommen er und die anderen dafür. Einmal in der Woche fährt er mit dem Zug nach Senftenberg zum Einkaufen. Er kennt dort niemanden.
Auch in Bahnsdorf habe man nicht so viel miteinander zu tun. Jeder mache sein Ding, berichtet Ahmed. Vor drei Jahren wurde ein Afghane von einem Mitbewohner im Heim erstochen. Und erst Ende September ein Vietnamese im Haus nebenan bei einer Messerstecherei schwer verletzt.
"Bahnsdorf ist ein Paradebeispiel für menschenverachtende Unterbringung", empört sich Kay Wendel vom Flüchtlingsrat Brandenburg. "Das müsste eigentlich sofort geschlossen werden." Abgeschnitten von der Bevölkerung, miserable Wohnverhältnisse, autoritäre Heimleitung, zählt Wendel auf. "Dschungelheim" nennt es der Flüchtlingsrat.
Dass ein Heim, abgelegen im Forst, wenig integrierend wirkt, räumt selbst der Betreiber der Bahnsdorfer Anlage ein, der Sozialdienstleister European Homecare. "Den Protest wegen der blöden Lage können wir verstehen", versichert Sprecherin Renate Walkenhorst. Aber: Das Heim an sich sei ganz normaler Standard. "Da gibt es eine genauso gute Betreuung wie in Sedlitz." Man bemühe sich auch in Bahnsdorf um die Zusammenarbeit mit lokalen Netzwerken. Und solange die Flüchtlinge nicht umziehen wollen, werde in Sedlitz ja auch nichts schöner.
Linke-Politikerin Viola Weinert bezweifelt allerdings, dass die Sedlitzer Unterkunft mit 1,3 Millionen Euro aus reiner Nächstenliebe so aufwendig herausgeputzt wird: "Die Lage ist viel zu günstig, als dass da wieder Asylbewerber hinkommen." Derzeit werden die geschlossenen Braunkohlefördergruben rund um den Ort in eine Seenlandschaft verwandelt - Kanus statt Kohlebagger. Mit der Flutung des Sedlitzer Sees befände sich das Heim quasi am Strand. Auch Flüchtlingsrat-Referent Kay Wendel ist skeptisch, schließlich habe der Kreistag die Sanierungsvariante mit der flexibelsten Nachnutzungsmöglichkeit abgesegnet.
Landrat Dürrschmidt kommt bei diesen Spekulationen die Galle hoch. "Das ist doch so was von hypothetisch!", schimpft er. "Wenn in 20 Jahren überhaupt kein Asylbewerber mehr hier ist, könnte man die Entscheidung noch mal treffen. Aber jetzt bauen wir natürlich für die Asylbewerber."
Die haben ja gar nichts gegen die Umbauarbeiten einzuwenden. Aber dafür nach Bahnsdorf umziehen? Nein, nein. "Bahnsdorf ist Guantánamo", sagt Peter Kimani von den Sedlitzer Flüchtlingen. "Das nennen hier alle so", lacht der junge Kenianer entschuldigend. Die Ausländerbehörde habe bereits Umzugskartons nach Sedlitz gebracht. "Aber hier packt keiner", so Kimani. Aus seinem Zimmer tönt Reggae-Musik, im Fernseher läuft stumm Spongebob, an der Wand hängt ein Pin-up-Girl. Zwei Zimmer gehören dem Rastalockenträger. Im Sommer konnte er mit seinem Basketball zum Platz gleich um die Ecke gehen. In Bahnsdorf gibt es nicht mal einen Spielplatz für die Kleinkinder.
Am 1. November sind die Bewohner zu "diesem Dürrschmidt" in den Kreistag nach Großräschen gefahren. Sie wollten den Mann sehen, der dort über sie entscheidet, ihm ihre Petition in die Hand drücken. 33 Unterschriften standen auf dem Papier - von Flüchtlingen aus Kamerun und Afghanistan, aus Kenia und Sierra Leone. Mit ihren Kinderwagen waren sie gekommen, mit Kopftuch und einem Banner: "Das Lager Bahnsdorf ist die Hölle." Doch Georg Dürrschmidt ist zum Mikro gegangen und hat ihre Petition einfach zurückgewiesen. Die Vorwürfe seien haltlos, der Beschluss bleibe unumstößlich.
"Was in dieser Petition steht, ist schlicht unwahr, dogmatisch und polemisch", wiederholt Dürrschmidt auch heute. "Da muss man dagegenhalten. Hier werden Betroffene instrumentalisiert." Warum nur habe es in den direkten Gesprächen mit den Flüchtlingen keine Beschwerden über den Umzug gegeben? Weil man eben auf sämtliche Wünsche eingegangen sei. "Als ich meine Antwort im Kreistag gegeben habe, war man seitens der Beschwerdeführer ganz schön still geworden", so der Landrat. "Weil sie wussten, dass ich recht habe." Und überhaupt: Von den 47 Sedlitzer Flüchtlingen sei rund die Hälfte lediglich ein bis drei Tage im Heim anwesend. Und 40 der 47 seien sogar rechtskräftig ausreisepflichtig.
Erschreckend sei die Rede Dürrschmidts gewesen, erinnert sich Viola Weinert. Sehr perfide sei dessen Argumentation, sagt Kay Wendel. "Das suggeriert: Ihr seid ausreisepflichtig, ihr habt kein Recht, euch hier zu melden", erklärt der Referent des Flüchtlingsrats wütend. Und: "Der Kreistag fällt hinter seinen eigenen Beschluss zurück." Im März hatten die Abgeordneten aufgrund "rückläufiger Zuweisungen" und "erheblicher öffentlicher Kritik am Standort" die Schließung des Lagers Bahnsdorf bis 2009 beschlossen. Protest dagegen hatte es schon lange gegeben. Vor sieben Jahren hatten Jugendliche aus dem Ort gemeinsam mit den Asylbewerbern gegen das Heim demonstriert. Vor zwei Jahren waren es Berliner und Brandenburger Antirassismusgruppen, die mit den Flüchtlingen vor das Waldlager Bahnsdorf zogen.
Der Protest war schließlich bis zur Landesebene vorgedrungen. In einer Stellungnahme vom April 2006 drängte das Landesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie auf eine "wesentlich kurzfristigere Schließung" Bahnsdorfs aufgrund der "schlechten Lebensbedingungen". Auch Brandenburgs Integrationsbeauftragte Karin Weiss räumt ein, mit dem Standort Bahnsdorf "nicht sehr glücklich zu sein".
Bei einem Besuch in Bahnsdorf vor wenigen Tagen bescheinigte sie dennoch Landrat Dürrschmidt ein sachgerechtes Vorgehen. Er habe ihr gegenüber signalisiert, für Härtefälle in Sedlitz, wie einige Schüler unter den Flüchtlingen, doch noch Wohnungen suchen zu wollen. Für den Rest führe aber kein Weg an einem Umzug vorbei.
"Die Stimmung unter den Flüchtlingen ist schlecht", sagt Viola Weinert zerknirscht. "Viele haben Angst", berichtet Vahaev. Welche Chancen haben die Flüchtlinge noch, von der Abschiebung in den Wald verschont zu werden? "Sedlitz ist am 1. Dezember zu. Entweder die Bewohner steigen in den Bus, oder sie stehen vor verschlossenen Türen", so der Landrat. Und die nächste Kreistagssitzung ist erst am 6. Dezember. Der Flüchtlingsrat fordert deswegen, dass der Umzug bis zu einer Entscheidung des Verwaltungsgericht über die Klage der Bewohner ausgesetzt wird. Sollte der Landrat dennoch am 30. November als Umzugstermin festhalten, werde man an diesem Tag Leute mobilisieren, vor dem Flüchtlingsheim zusammenzukommen. Und dann? "Wir müssen beten", sagt der Kenianer Peter Kimani.
*Name geändert
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