Bundestagswahl: Linke Mehrheiten in Berlin: Das rot-rot-grüne Wettrennen
Nach der Wahlschlappe propagiert Klaus Wowereit eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei im Bund - wie in Berlin. Doch in der Stadt stellt sich eine neue Frage: Wer übernimmt die Führung im linken Lager?
Der 27. September war das Ende. Das Ende der großen Koalition im Bund. Und ein Neuanfang für die gebeutelte SPD. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit wirbt lautstark für eine Erneuerung, eine Verjüngung seiner Partei. Vor allem aber für die Öffnung hin zur Linken. Dabei könnte Rot-Rot als Allheilmittel schon wieder überholt sein: In Berlin, der Heimatstadt von Rot-Rot, hat die SPD stärker verloren als auf Bundesebene.
Der Absturz der SPD in Berlin ist dramatisch. 2005 stimmten 637.000 Berliner für die SPD, diesmal nur noch 347.000. Nur weil viele ganz auf die Stimmabgabe verzichteten, wirkt der Verlust in Prozent nicht ganz so katastrophal. Doch auch so fiel die SPD von 34,3 auf 20,2 Prozent. Sie rutschte nicht nur hinter die CDU, sie bekam stadtweit gar 500 Stimmen weniger als die Linkspartei. Die SPD verlor überdurchschnittlich in Kiezen mit vielen Hartz-IV-Empfängern sowie in Vierteln mit einem hohen Anteil unter 30-Jähriger. Dort legte jeweils die Linke zu.
Ein Problem der SPD: ihr unscharfes Profil in Berlin. Dafür trage ausgerechnet der Mann Verantwortung, der gerade die Bundespartei reformieren will, sagt Richard Stöss, Politologe an der Freien Universität. "Die Berliner SPD wird nur von Wowereit dominiert, der aber für keinerlei Inhalte steht", sagte Stöss am Montag. "Die SPD müsste ein Team herausstellen, das Kompetenzen repräsentiert."
Ein weiteres Problem: Statt deutlich die Stadt prägender Volksparteien gibt es in Berlin nun ein nah beieinanderliegendes Quartett. Selbst die CDU, die von ihren Hochburgen am Westrand der Stadt profitiert, kommt als aktueller Spitzenreiter nicht einmal auf ein Viertel der Wählerstimmen. Die Linke punktet im Osten traditionell weiter. Die Grünen liegen mittlerweile in nahezu allen Innenstadtquartieren deutlich über 20 Prozent. Gleichmäßig wird nur die SPD gewählt - beziehungsweise gleichmäßig nicht. "Qualitativ sind wir am breitesten aufgestellt", sagt Mark Rackles, Sprecher der Berliner SPD-Linken. Doch quantitativ sei die SPD mit 20 Prozent kaum noch eine Volkspartei.
"Ich glaube nicht, dass wir wegen Rot-Rot verloren haben", meint Christian Gaebler, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Gerade weil Rot-Rot gut funktioniere, sei den Berlinern unverständlich, warum die SPD im Bund die Kooperation mit der Linken ausgeschlossen habe. "Die große Koalition wollte niemand mehr", argumentiert Gaebler. Weil die SPD aber keine Alternative dazu bieten konnte, seien viele zur Linken oder zu den Grünen abgewandert.
Landespolitik habe kaum eine Rolle bei dieser Wahl gespielt, glaubt Gaebler. Allerdings gibt er zu, dass die SPD ihre Politik besser vermitteln müsse. Bestes Beispiel dafür sei die Schulreform. "Die ist ein großer Wurf. Aber weil sich unsere Bildungspolitiker im Kleingedruckten verhakt haben, streiten alle nur über den Zugang zum Gymnasium."
Auch der SPD-Linke Rackles bedauert, dass Rot-Rot ausgerechnet jetzt schwächelt. Der Senat müsse stärkere Impulse geben. Das werde schon länger in der Partei diskutiert. Etwa bei den Themen innere Sicherheit und Datenschutz. Oder bei der S-Bahn. Angesichts des dortigen Chaos müsse man darüber nachdenken, wie das Land bei kommunalen Versorgern wie der Bahn - oder auch den Wasserbetrieben - einsteigen könne.
Eine Öffnung der SPD nach links würde auch Udo Wolf, designierter Chef der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, begrüßen. "Wenn die SPD das schon vor der Bundestagswahl so deutlich formuliert hätte, hätte ihr Ergebnis in Berlin anders aussehen können." Denn die Sozialdemokraten hätten diesmal vor allem an die Nichtwähler verloren. Konkurrenz um die Wähler im linken Spektrum fürchtet er daher nicht. Im Gegenteil: die könne durchaus produktiv sein für die rot-rote Koalition.
Auf diese Wählerklientel hat es aber auch noch die dritte irgendwie linke Partei, die Grünen, abgesehen. Sie haben durch das Bundestagswahlergebnis an Fahrt gewonnen. "Die SPD glaubt, sie muss jetzt der Linken hinterherlaufen, um verloren gegangenes Terrain zurückzuholen, etwa in der Sozialpolitik. Das wird sich als Irrweg herausstellen", schimpft Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann. Und Wolfgang Wieland, der im Wahlkreis Mitte als Direktkandidat der Grünen 21,5 Prozent holte, meint sogar, seine Partei solle bei der nächsten Abgeordnetenhauswahl 2011 versuchen, stärkste Partei zu werden.
Der 27. September war ein Anfang. Der Start des rot-rot-grünen Wettrennens um die Wahl 2011. Denn setzt sich der Trend der letzten Abstimmung fort, wird es für Rot-Rot allein nicht reichen. Nicht in Berlin. Und erst recht nicht im Bund. Allerdings sind sich Vertreter aller Parteien sicher, dass es in Berlin eine stabile linke Mehrheit mit 60 Prozent plus x gibt - wenn SPD, Linke und Grüne zusammengehen. Spannend ist, wer 2011 als Erster der drei durchs Ziel geht.
MARK RACKLES, SPD-LINKER
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