re:publica 09: Brave Blogger
Eine Konferenz will neue Antworten auf große Fragen finden - und scheitert an diesem Anspruch. Einen Zweck hat die Veranstaltung trotzdem: Sie ist ein prima soziales Netzwerk für Internet-Aktivisten.
Was macht eigentlich diese hauptsächlich männliche Meute, die telefonierend mit einem Laptop auf dem Schoß oder Espresso trinkend vor dem Friedrichstadtpalast herumsteht? Sie führen die immer gleichen Debatten, seit Jahren schon. Mit zusammengekniffenen Augen starren sie in die Sonne, die Blogger und andere Internetfreunde. Sie reden und twittern, bloggen und streamen. Drei Tage lang, auf der Blog- und Internetkonferenz re:publica, die gestern zu Ende ging, trafen sich um die 1.500 Menschen in Panels, bei Diskussionsrunden oder einfach nur auf eine Brause. "Shift happens" lautet das Motto - Veränderung geschieht -, aber das täuscht. Tatsächlich schmort die Szene nach wie vor in ihrem eigenen Saft, und der müsste dringend mal ausgewechselt werden.
Die klassischen Medien beschreiben Blogger gerne als ewig meckernde, streitende, unfreundliche Meute. Das Gegenteil ist richtig: Auf dem Kongress präsentierten die Blogger sich lieb und nett. Sie feiern das Internet samt seinen Errungenschaften: Datenschutz, Feminismus, China, Bildung, Barrierefreiheit, Open Source. Echte Empörung gab es nur über ein Thema: Das Internet auf dem Kongress streikte zeitweilig, viele Teilnehmer kamen nicht online.
Zwar wurden große Persönlichkeiten wie Wikipedia-Gründer Jimbo Wales, Lawrence Lessig, Hypem.org-Urheber Anthony Volodkin und Netzpoet Peter Glaser eingeladen, bei dessen Vortrag der eine oder andere wahrscheinlich das einzige Mal auf der Veranstaltung mit Gänsehaut zu kämpfen hatte. Das große Ganze, die Zusammenhänge von Internet und Offline-Welt, die Veränderungen in den Köpfen, die über doch schon recht abgestandene Diskussionen wie "Journalismus versus Blogs" oder Fragen à la "Brauchen wir eine Bloggergewerkschaft?" hinausgehen, wurden nur in Ansätzen aufgegriffen.
Auf den Podien: vorwiegend graumelierte Schläfen. Den Frauen blieben zwei Panels zu Feminismus und Modeblogs - und eigentlich hätte man doch gerade vom Standort Berlin mehr erwartet als die altbekannten Namen, die sich in grauen Jacketts auf der größten Theaterbühne Europas gegenseitig das "Ich weiß auch nicht" in die Hand drücken.
In den letzten drei Jahren haben sich die Besucherzahlen zwar verdreifacht, die Themen sind jedoch immer noch dieselben. Immer noch werden relevante deutsche Blogs gesucht, den Nachwuchs aber hat niemand auf eines der Panel eingeladen und das nächste große Ding ließ leider vergeblich auf sich warten. Wahrscheinlich hat die re:publica ihr Ziel erreicht: Sie ist ein soziales Netzwerk für die Szene. Neue Antworten auf gesellschaftliche Fragen gibt es hier nicht - dafür ist die Diskussion auf den Podien meist zu eingeschränkt, die Zeit zu kurz, der Fokus zu wackelig.
Das Treffen bringt immerhin ein paar neue Kontakte. Und ansonsten sieht man sich eben nächstes Jahr wieder. Vielleicht ja dann auch mit mehr Frauen, Jugendlichen, Rentnern, Eltern und Politikern. Spreeblick.com-Gründer und Mitorganisator Johnny Häusler hatte in seiner Eröffnungsrede gesagt: "Die Zukunft, auf die wir immer warten, ist schon längst da." Aber leider nicht hier. LISA RANK
Anmerkung der Redaktion: In der Fassung des Textes, die hier ursprünglich stand, hatten sich durch Missverständnisse bei der Bearbeitung des Textes durch den Chef vom Dienst mehrere Fehler eingeschlichen. Dadurch waren Aussagen in den Text der Autorin gelangt, die diese nie tätigen wollte (sie fand weder die Auswahl der Themen gähnend langweilig noch fand sie, dass Jimbo Wales, Lawrence Lessig oder Anthony Volodkin enttäuschten). Die Fehler sind daher hier korrigiert, siehe dazu auch den Blog-Beitrag der Autorin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies