Neues aus dem S-Bahn-Chaos: Bahn setzt auf Nostalgiezüge
Bahn-Chef verspricht "Unterstützung" vom Mutterkonzern bei S-Bahn-Chaos. Was das genau heißt, sagt er nicht. Eine Idee: Alte DDR-Züge wieder rausholen.
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat vom neuen Bahn-Chef Rüdiger Grube keine konkreten Zusagen erhalten, wann die S-Bahnen wieder nach Plan fahren. Grube sagte auch nicht, welche Maßnahmen bei der S-Bahn konkret geplant sind. Er blieb recht wolkig - und kündigte lediglich allgemein an, die Bahn gewähre ihrem Tochterunternehmen "alle notwendige Unterstützung, um so schnell wie möglich zu einem normalen Verkehrsbetrieb zu gelangen".
Grube machte keine Angaben dazu, ob die S-Bahn-Werkstatt in Friedrichsfelde wiedereröffnet wird. Dies werde "geprüft", sagte er. Eine andere Möglichkeit sei, ausgemusterte Züge aus der DDR-Zeit wieder fahren zu lassen, aber das sei ebenfalls noch nicht entschieden. Für die Züge müsste zunächst eine Zulassung beantragt werden. Es sei unklar, ob es möglich sei, die Fahrzeuge wieder zu reaktivieren.
Berlin soll offenbar weiter Hauptsitz der Deutschen Bahn (DB) bleiben. DB-Chef Rüdiger Grube kündigte am Montag den Ausbau der Bügelbauten des Hauptbahnhofs an. Es werde ein dreistelliger Millionenbetrag investiert. 2010 sollten dort die ersten Mitarbeiter einziehen. Zudem plane die DB, einen weiteren Bürokomplex am Nordbahnhof anzumieten. Die Bahn zeige mit diesen Maßnahmen ihre Verbundenheit mit dem DB-Standort Berlin, betonte Grube. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sagte dazu: "Ich freue mich über die Klarstellung, dass die Hauptstadt für die Bahn auch unternehmenspolitisch der zentrale Ort ist und bleibt." Wowereit und Grube haben sich darüber hinaus auf einen "Neuanfang" in den Beziehungen zwischen DB und Senat verständigt. (ddp)
Für die Fahrgäste gibt es damit weiterhin keine Klarheit, wann die S-Bahn wieder nach Fahrplan fährt. "Ich werde nichts versprechen, was ich nicht halten kann", sagte Grube. Auf vielen Strecken gibt es derzeit nur noch einen 20-Minuten-Takt.
Vor zwei Wochen war bekannt geworden, dass die S-Bahn ihre Züge nicht so häufig prüft, wie sie es dem Eisenbahnbundesamt nach einem Achsenbruch im Mai zugesagt hatte. Das Amt hatte die S-Bahn daraufhin angewiesen, alle Züge, deren Überprüfung überfällig ist, aus dem Verkehr zu ziehen. Der gesamte Vorstand der S-Bahn musste gehen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Verdachts des gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr.
Nach Grubes Angaben müssen binnen wenigen Wochen 4.000 Radsätze ausgetauscht werden - das betrifft mehr als 200 Züge. Er verwies auf die "Hersteller, die nicht die versprochene Qualität geliefert haben". Die S-Bahn habe es allerdings versäumt, rechtzeitig Gewährleistungsansprüche geltend zu machen. Inzwischen sei die Garantie aber abgelaufen.
Den Linkspartei-Landesvorsitzenden Klaus Lederer erinnern die Verhältnisse bei der S-Bahn "frappierend an die britischen Zustände nach der dortigen Bahnprivatisierung". Der Bund als Eigentümer der Bahn habe das Unternehmen "in den vergangenen Jahren vor allem als fiskalische Cash Cow betrachtet, die es mit Blick auf mögliche Privatisierungserlöse galt, börsenflott zu machen". Dabei sei die eigentliche Verantwortung der Bahn vergessen worden - dies sei "nicht an erster Stelle die Erwirtschaftung börsentauglicher Renditen, sondern die kostengünstige und nachhaltige Erbringung von Verkehrsdienstleistungen im Sinne der Kunden".
Die S-Bahn muss in diesem Jahr mit deutlich geringeren Einnahmen rechnen. Der im Jahr 2004 mit dem Land Berlin abgeschlossene Verkehrsvertrag sieht vor, dass die S-Bahn nur für die Züge Geld erhält, die tatsächlich fahren. Auf 25 Millionen Euro schätzt Grube die Ausfälle. Hinzu kommt die Entschädigung für Kunden: Die Inhaber eines Jahrestickets sollen einen Monat lang kostenlos fahren dürfen. Die Bahn rechnet mit Kosten von 20 bis 25 Millionen Euro. Auf welchem Weg die Fahrgäste das Geld erstattet bekommen, steht noch nicht fest.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen