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Archiv-Artikel

Rotterdam: Fortuyns Erbe ist Mainstream

Im holländischen Rotterdam regierte in den vergangenen vier Jahren die Partei des Populisten Pim Fortuyn. In der Migrationspolitik bedeutete das Zuzugssperren für Stadtteile, Sprachkurse und „Verhaltenscodes“. Ändern werden die seit März amtierenden Sozialdemokraten wohl nur den Tonfall

Fast die Hälfte der Rotterdamer Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund. Die größte Gruppe kommt aus Surinam, gefolgt von Menschen türkischer und marokkanischer Herkunft. Stadtteile wie Delfshaven oder Feijenoord haben einen Migrantenanteil von über 60 Prozent. Arbeit hat nur ein Viertel der dort Wohnenden – und meist eine schlecht entlohnte. „Klein-Istanbul“, „Ghetto“, „No-go-Area“ – die Stadtteile sind in der öffentlichen Meinung abgeschrieben.

Nachdem Leefbaar, die Partei des Populisten Fortuyn, 2002 die Rotterdamer Kommunalwahl gewann, kam das Thema Integration auf die Tagesordnung. Die Integration sei gescheitert, meinte Fortuyn. Alle Migranten sollen verpflichtet werden, Niederländisch zu lernen und die „niederländischen Werte“ zu übernehmen. Nur dann dürften sie eingebürgert werden. Bis es so weit sei, sollten die Grenzen geschlossen werden. „Rotterdam steht das Wasser bis zum Hals. Aber bei laufendem Wasser kann man nicht scheuern“, meinte er. Einige Wochen nach seinem Wahlerfolg bei der Kommunalwahl und kurz vor einem sich abzeichnenden Erdrutschsieg seiner Partei bei den Parlamentswahlen wurde Fortuyn von einem Umweltaktivisten erschossen. Leefbaar blieb in Rotterdam jedoch an der Macht.

Die Stadtverordnetenversammlung hat entsprechend Fortuyns Vorgabe in den letzten Jahren eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, mit denen sie die Situation in den Problembezirken in den Griff bekommen wollte. So billigte das niederländische Parlament im vergangenen Februar ein spezielles „Rotterdam-Gesetz“, das es möglich macht, Bezirke zu benennen, in denen sich nur neu ansiedeln darf, wer Arbeit und Einkommen hat. So soll „der Einfluss benachteiligter Gruppen in sozial gefährdeten Bezirken“ beschränkt werden. Erste Auswertungen zeigen, dass das funktioniert. Aber wo bleiben eigentlich diejenigen, denen der Zuzug in diese Bezirke verwehrt ist? Dazu hat die Stadtverwaltung nach eigenen Angaben keine Informationen.

Die Sozialistische Partei protestierte gegen diese Maßnahme mit dem Slogan: „Rotterdam nur für die Reichen“. Ohne viel Erfolg. Im Gegensatz zu den Sozialisten unterstützen die Sozialdemokraten den virtuellen „Zaun um Rotterdam“. Mehr Widerstand gab es von den gemäßigten Parteien gegen den so genannten „Rotterdam-Code“. Damit sind Verhaltensregeln „für den täglichen Umgang zwischen den Bürgern“ von Rotterdam gemeint. Im Imperativ wird da gefordert, andere nicht zu diskriminieren, sich nicht zu radikalisieren – und Niederländisch zu sprechen. Frauen und Männer, Homo- und Heterosexuelle, Anders- und Nichtgläubige sollen mit dem gleichen Respekt behandelt werden. Als Reaktion darauf präsentierten die Grünen im Rotterdamer Stadtrat einen „Sei-normal-Code“. Ihre Forderung an die Regierung: „Lösen Sie endlich die Probleme und hören Sie auf mit Symbolpolitik.“

Um die erwünschte Integration zu erreichen, setzt Rotterdam auf die Entwicklung der Kommunikationsfähigkeit von Migranten. Bis spätestens 2010 sollen rund 20.000 Kinder ab dem Alter von zweieinhalb Jahren, die einen Sprachrückstand aufweisen, vier Tage pro Woche spezielle „Vorschulen“ besuchen. Mit dem Slogan „Kind in die Schule, Mutter in die Schule!“ hat Rotterdam auch 25.000 Frauen nicht-holländischer Herkunft das Angebot gemacht, auf Kosten der Stadt je 300 Stunden lang Niederländisch zu lernen und einen Integrationskurs zu machen.

Grundschulen, die vorwiegend von niederländischen Kindern besucht werden, sollen sich stärker mit Schulen durchmischen, auf die vorwiegend Migrantenkinder gehen. Das ging bisher kaum, weil das niederländische Grundgesetz ethnische Diskriminierung verbietet. Um dies zu umgehen, bedienen sich einige Schulen eines Tricks: Sie führen zwei Wartelisten. Auf die erste Liste werden Kinder mit Eltern gesetzt, die einen Schulabschluss haben. Auf die zweite Liste kommt der Rest. „In Rotterdam ist das beinahe dasselbe, als unterscheide man zwischen Niederländer und Immigrant“, erklärt ein Pressesprecher der Stadtverwaltung.

Politisch gibt es in Rotterdam in Bezug auf die meisten Maßnahmen einen breiten Konsens. Deshalb wird erwartet, dass die seit März neu amtierende sozialdemokratische Stadtverwaltung diese Politik fortsetzt. Denn kritisiert hat die Opposition in den vergangenen Jahren nicht die Maßnahmen an sich, sondern den populistischen Ton, mit dem sie in der Öffentlichkeit vertreten wurden. Man hatte den Eindruck, dass aus Sicht der Politiker alle Probleme der Stadt von Ausländern – insbesondere von Muslimen – verursacht werden. Diese vorurteilsbehaftete Argumentation hat am Ende allerdings doch etwas gebracht, was in den vergangenen Jahrzehnten nicht gelungen war: Die Migranten und Migrantinnen begriffen plötzlich, dass sie politische Subjekte sind. Bei der Kommunalwahl im März nahmen sie plötzlich massenhaft ihr Wahlrecht in Anspruch und wählten die Partei Pim Fortuyns ab.

MICHIEL HULSHOF