: Arabisch für Anfänger
Buchstaben von rechts nach links lesen? Verwirrend. Dazu der von Europäern gerne mal als unschön empfundene Sound: „chrlalachlarchr“? Arabischer Spracherwerb – eine Herausforderung
VON JASNA ZAJCEK
„Die ersten zehn Jahre sind die schwersten“
Internetforum Sprachanfänger
Ein Leben wie James Bond, dabei durch Sprach- und Kulturverständnis die Welt vor Attentaten durch Islamisten schützen. Kulturverständigend wirken, sich für Menschen- und Frauenrechte einsetzen. Das Studium der Trendsprache Arabisch macht es möglich? Seit 9/11 hat sich der Zulauf an den Universitäten verdoppelt. Die fixe Idee von Weltbewegendem oder Exotischem – beim BND oder einer NGO arbeiten zu können, im geheimnisvollen Orient, mit interessanten Menschen, abwechslungsreich und aufregend – motiviert zum Studium.
Aber auch: dem Mythos des versunkenen Orients auf die Schliche kommen, die dichte Poesie entschlüsseln, eine 1.500 Jahre alte gesprochene Sprache zu lernen. Von Beduinen unter Wüstenhimmel Legenden erfahren: Das war, was meine Kommilitonen in den Sprachkurs „Modernes Hocharabisch“ trieb. Allerdings absolut nicht das, was uns erwartete…
Der Dozent, Dr. Wolf-Dietrich Fromm, hat uns, seine zahlenmäßig rasch schwindende Studentenschar, von Anbeginn an hochgetunt wie Mastküken der arabischen Sprache. So sehr, dass einige schon nach kurzer Zeit in gebrochenem Arabisch träumten.
„Konzentrieren Sie sich in den nächsten zwei Jahren auf den Spracherwerb“, hieß es eingangs. Arabisch lernen als oberste Priorität. Jeden Morgen, 8.30 Uhr, FU Berlin-Dahlem: Anderthalb Stunden täglich bereitet uns der Kurs auf das „Arabicum“ vor. Das Tempo ist atemberaubend; nach bloß drei Fehlstunden findet man keinen Anschluss mehr an den Lehrstoff.
Im ersten Jahr fielen rund vierzig der ursprünglich etwa hundert Teilnehmer vom Kurs ab. Der trockene Kommentar des Dozenten: „Jeder, der wegbleibt, ist mir willkommen.“
Ich bin dabei, weil ich es nicht mehr ertrug, in Arabien zur Analphabetin zu regredieren. Auch, weil es als Journalistin nicht schlecht sein kann, diese von 400 Millionen Menschen gesprochene Sprache zu verstehen. Wie bei vielen meiner Kommilitoninnen spielen zudem Reisen in den Orient und einer dieser Wüstenprinzen mit großen schwarzen Augen eine Rolle. Als ich ihn, den Palästinenser, einst in Jordanien mit Familienmitgliedern beten hörte, staunte ich: Arabisch, das ich bislang vor allem als „chrlalachlarchr“ gehört habe, geht auch edel. Wohlklingend, rhythmisch, die Melodie fein modulierend, wie auf den Koran-CDs, auf denen sanfte Männerstimmen die sonderbar fremden Ewigworte zelebrieren.
Manche männlichen Kommilitonen folgen eher der vagen „James-Bond/ UNO-Kofi/Peter-Scholl-Latour-beerben“-Berufsidee. Muttersprachler wählen die Uni, um ihren Dialekt aufzupolieren, und seit einigen Jahren finden regelmäßig auch israelische Staatsangehörige den Weg in die Kurse.
Fachfremde fragen meist ungläubig und mit bedauerndem Blick, ob es denn nicht „sehr schwer“ sei, diese Schrift zu entziffern. Natürlich, die ersten zwei Wochen – aber dann ist gestottertes Lesen mit falscher Vokalverteilung möglich. Um den gemeinsten Trick des Schriftarabischen zu nennen (für Kenner der semitischen Sprachen nichts Neues): Kurze Vokale werden nicht, oder nur für Lernanfänger und im Koran, geschrieben. Doch macht die Verteilung der kurzen Vokale oft den Sinn aus! Vom Leser wird vorausgesetzt, dass er die angeordneten Grapheme, die kleinsten funktionalen Einheiten des Schriftsystems und die möglichen Bedeutungen ihrer Kombination so verinnerlicht hat, dass er den Wortsinn auch ohne kurze Vokale versteht.
Dem Lernenden werden durch die kleinen Zusatzzeichen, den Taschkil, die Positionen der kurzen Vokale und einer Buchstabendopplung, die ebenfalls oft sinnentscheidend ist, vermittelt. Anhand der Satzstellung und des Kontextes kann der fleißige Student dann zumindest die bereits fest gespeicherten Graphemgebilde erkennen. Mohammed heißt in Landesschrift ganz einfach: MHMD. Eine Steno-Schriftsprache, aus der man nach festgelegten Schemata unbegrenzt viele, oft auch nicht direkt ins Deutsche zu übersetzende Worte kreieren kann.
Ein kleiner Versuch, das arabische System in lateinischen Buchstaben darzustellen: HEUTE GEHE ICH SCHWIMMEN. Zunächst nehmen wir die kurzen Vokale weg: HEUT GEH ICH SCHWMMN.
Dann benutzen wir ein Dopplungszeichen (+), damit wir nicht zweimal M schreiben müssen: HEUT GEH ICH SCHWM+N. Jetzt drehen wir den Satz um und lesen von rechts nach links, diesmal schon ohne das Doppelungszeichen: NMWHCS HCI HEG TUEH <-. Jetzt schreiben wir auch wie die Araber den letzten Buchstaben groß. Versuchen Sie, diesen Text nach dem neuen Schema zu lesen: Nsel Uz Mehcs Nuen Md Hcan Txt Nseid, Eis Nhcusrv <-.
Hohe Analphabetenraten sind in arabischen Ländern normal, aber auch deshalb, weil jede Region ihre eigenen Dialekte und umgangssprachlichen Vokabeln hat, die mit dem anspruchsvollen, in Schule und Universität gesprochenen Hocharabisch nicht im geringsten verwandt sein müssen. Wer sich Zeit nimmt, die Buchstaben immer wieder zu schreiben, ganz wie in allen anderen Alphabetisierungskursen der Welt, dem fällt die Rechts-links-Schreibrichtung bald leicht. Dass die Grapheme ihre Form ändern, je nach Position im Wort, und dass ein Wort mit einem Großbuchstaben endet, sind leicht zu bewältigende Lernaufgaben.
Wer nach einem Monat noch das Transkriptionsblatt der Alphabete braucht, riskiert, Zielscheibe eines frechen Spruchs des Dozenten zu werden. („Wie, Sie können immer noch nicht lesen? Lernen Sie doch besser eine andere Sprache.“)
„Der NC ist die Sprache selber“, wird er uns noch einige Male mitteilen und dabei nicht müde werden, auch nach hundert Unterrichtsstunden die korrekte Aussprache einzelner Buchstaben abzuprüfen. Natürlich ist er über die Größe der zwei Kurse, auf 30 Studenten reduziert, nicht glücklich. Immer noch zu viele. Wie so oft, fehlen auch hier die finanziellen Mittel, um eine weitere Lehrkraft einzustellen. Die Gelder sind dem gesteigerten Zulauf nicht angepasst worden.
Die meisten einzelnen Buchstaben klingen im Arabischen ähnlich wie im Deutschen. Doch ein paar haben es in sich: Das arabische Qaf, „ein durch Drücken des hinteren Zungenrückens gegen den weichen Gaumen erzeugtes dumpfes Q“, und das „Ain“, ein direkt aus dem Kehlkopf gewürgter Laut, machen Probleme. Aber den Arabern auch, weshalb in einigen Dialekten diese Laute gar nicht gesprochen werden. Ebenso wie die sechs verschiedenen Grapheme, die das Arabische für feine Abstimmungen zwischen möglichen „S“-Aussprachevarianten hat. Vom englischen „th“ über eine Mischung aus dumpfem „d-th“ bis hin zum weichen „z“. Das vermeintlich typische „chra“ ist nur ein Buchstabe; bislang habe ich nicht verstehen können, wieso beim Straßenarabisch immer dieser Laut hervorsticht. Dennoch: alles lernbar in einem Monat. Sprach-CD und High-Tech-Online-Lernprogramm hämmern die wöchentlichen fünfzig bis achtzig Vokabeln ein. Englisch, Spanisch: Kein Vergleich. Von der Schwierigkeit her soll es dem Russischen nahe kommen. Nach Worten wie „Haus“ und „Brot“ lernen wir schnell „Diskussion“, und „Konferenz“. Eselsbrücken müssen an den Haaren herbeigezogen werden. Endlich hilft Latein nicht weiter.
Ein Kommilitone – er kommt aus Ostdeutschland und spricht Akzent (auch sein Arabisch ist brandenburgisch gefärbt) – versteht nichts von dem, was ich verzückt in den Sound hinein interpretiere. Er will Terroristen jagen. Aber da macht uns Dr. Fromm nicht allzu viel Hoffnungen: Wenn eine Gruppe auf einen Code eingeschworen ist, so muss man „sehr viele Jahre“ in der Region gelebt haben; wenn aber ein Dorf- oder Familienslang kultiviert wurde, hat ein Außenstehender keine Chance, sie zu verstehen. Nicht mein Problem: Interviews und Friedensarbeit klappen auch in anderer Sprache.
Das Schönste scheint mir ohnehin die Poesie: Hier erfanden die Araber schon in vorislamischer Zeit über fünfzehn komplizierte Versmaße, manche so schwierig anzuwenden, dass sie reine Theorie blieben und in ihnen niemals ein ganzes Gedicht verfasst wurde. Aber auch die weniger schwierigen Verse oder Lesestücke stellen für mich alles bisher an dichterischem Sprechgesang Gehörte, von der sapphischen Odenstrophe bis zum feinsten Westcoast-HipHop in den Schatten.
Nach drei Monaten: das erste Diktat. In der Vorbereitungszeit höre ich täglich unsere Sprach-CD. „Mohammed steht am Morgen auf, geht ins Bad und zieht seine Kleidung an“, ich schreibe ein paar Nächte lang mit. Als Resultat bekomme ich ein Ekzem im Ohr, ich vermute, vom Buchstaben „Ain“, der sich bei korrekter Aussprache wie „Würgen bei Übelkeit“ anhört, wie mein Palästinenser-Prinz sagt. Und unser Meister, so bestätigen alle Muttersprachler, denen man die Dr.-Fromm-CD vorführt, spricht die Hochsprache „sehr, sehr gut“, „besser als ein Araber“.
Das Diktat ist geschrieben, die Texte sind im Kopf geblieben: Ich kann zwar noch nicht den Koran, aber immerhin diverse Lektionen des von Fromm selbst gestalteten Unterrichtsmaterials auswendig singen. Wie auf den Koran-CDs, die sich wie Live-Mitschnitte aus 1.001 Nacht anhören. Ich rezitiere – mein Wüstenprinz fällt fast um vor Begeisterung. Er staunt über das Mastküken der Hochsprache: „Bald werde ich dir nicht mehr helfen können!“
Verständlich: In der wie am Reißbrett bei der Niederschrift des Koran im siebten Jahrhundert festgeschriebenen arabischen Grammatik ist viel auswendig zu lernen, „zu schlucken“. Trotz mathematischer Regelhaftigkeit erscheint vieles wirr. Zum Bespiel die Zählung. „Die Zahlen elf bis neunundneunzig sind zusammengesetzte Zahlen, bestehend aus dem Zahlwort für die Einer vor dem Zahlwert für die Zehner. Mit Ausnahme der vollen Zehner haben sie jeweils eine maskuline und eine feminine Form. Die Zahlen 1 und 2 werden genuskongruent verwendet, während die Zahlen 3 bis 9 genuspolar gebraucht werden. Bei elf bis neunundneunzig steht sowohl der Einer wie der Zehner immer im determinierten Akkusativ.“ Und dann ändert sich noch mal alles, je nach Geschlecht des Gezählten.
Da ist es auch keine Lernerleichterung mehr, dass die Araber nur drei Fälle, zwei grammatische Geschlechter und einen Artikel kennen. Die korrekte Kombination der Zahlen wird für mich zum persönlichen Drama. Beruhigend: Auch die Araber beherrschen sie nur schlecht. Doch unser Doc kennt kein Pardon, die Zahlen müssen sitzen, „ein Dialekt ist sehr viel leichter zu erlernen, aber wir sprechen hier ja Hocharabisch“. Dann stellt er lässig fest: „Ihre Intelligenz wird ständig auf die Probe gestellt.“
Jetzt ist raus, was jeder von uns schon einmal dachte: „Dafür bin ich zu blöd.“ Doch dann, ein Glück, korrigiert er sich: „Nein, Intelligenz ist es nicht, was Sie fürs Arabische brauchen, es ist eine große Festplatte zum Speichern aller eventuell möglichen Lesarten eines Wortes.“ Doch noch mehr ist verlangt: Arbeitsspeicher und die XXL-Grammatik-Memory-Card können für diese Aufgabe nicht groß genug sein. Mit Ach und Krach, nach langen Tagen in der Bibliothek, geht’s durch die Klausur.
Wir Anfänger sprechen holpriges Arabisch miteinander. Welch große gemeinsame Freude! Freundschaften wie in der Schulzeit entstehen. Jeder Falafelhändler im Umkreis wird aufgesucht und radebrechend von uns belagert. Die Semesterferien verbringen wir zu fünft in Ägypten – Sprachurlaub. Für die durchgehend Slang sprechenden Ägypter müssen wir wie Aliens wirken: junge Frauen, die mit größter Mühe saubere Aussprache der feinen Hochsprache probieren, aber noch keine zusammenhängenden Dialoge – außer einfache Nacherzählungen – hervorbringen können. Denn die Gegenwartsform ist laut dem Doc noch zu kompliziert fürs erste Semester. Aber: Die Konversation läuft, mit fünfhundert deklinierten und konjugierten Wörtern, und: immerhin in wohlklingendem Hocharabisch!
JASNA ZAJCEK, 32, lebt als gefeierte Autorin und Kolumnistin in Berlin: Soeben hat sie von CNN den Print-Preis in der Kategorie Kultur/Feuilleton/Vermischtes erhalten. Sie wurde für ihre Undercover-Reportage „Enduring Freedom – mein geheimes Militärtagebuch“ (taz.mag vom 26. Feburar 2005) über ein Anti-Terror-Trainingscamp der US-Armee in Niederbayern zur „Journalistin des Jahres 2005“ gekürt. Die Auszeichnung wurde zum ersten Mal in Europa vergeben