: Messe kauft Fachbesucher
Ein Traumjob für alle Studenten: Einen Vortrag auf der Internationalen Funkausstellung anhören – und dafür 18 Euro kassieren. Denn die Stuhlreihen müssen voll sein. Und angeblich ist das alles üblich
VON MARINA MAI
Morgens um 9.30 Uhr sind die Ausstellungsräume auf der Internationalen Funkausstellung (IFA) noch ein wenig leer. Torsten Rieger (Name geändert) steht gelangweilt neben der ARD-Halle. Er ist schon den vierten Tag hier. Zum vierten Mal wird der Sprachstudent einen Vortrag hören über Neuentwicklungen in der Medien- und Telekommunikationstechnik. Das interessiert ihn nicht wirklich. Den Vortrag zu hören ist sein Studentenjob, er erhält 18 Euro dafür. Dazu gibt es ein Business-Frühstück und einen Fachbesucherausweis für die IFA, mit dem er sich die ganze Messe ansehen kann. Seinen Namen hat Torsten Rieger bereits in die Anwesenheitsliste beim Gruppenleiter der „effektiv. Studentische Arbeitsvermittlung GmbH“ eintragen lassen, die ihm den Job vermittelte. Thema heute ist „Wachstumsmotor Triple Play“, ein neuer breitbandiger Internetanschluss, vortragende Firma: die Telekom.
Geld fürs Rumsitzen? Ratko Djokic von der „effektiv. Studentische Arbeitsvermittlung GmbH“ bestätigt, dass seine Firma Studentinnen und Studenten als Zuhörer an die Internationale Funkausstellung vermittelt hat. Wer Auftraggeber war, will er ebenso wenig sagen wie die Zahl der dorthin vermittelten Studenten. „Der Auftraggeber hat uns ausdrücklich um Diskretion gebeten. Unsere Aufgabe ist es, Studenten in Jobs zu vermitteln. Und das Vortraghören war ein sehr attraktiver Job, begehrter als das Putzen von Hotelzimmern“, sagt Djokic.
Djokic’ Firma ist seit zehn Jahren auf dem Markt und vermittelt nach eigenen Angaben pro Monat knapp 600 Erstkontakte zwischen Studenten und Firmen. Der Gruppenleiter der Studentenjobbörse vor Ort, der von der Anwesenheit der taz in seiner Gruppe völlig überrascht war, hatte dagegen das Vortraghören anders verkauft: „Wir geben den jungen Menschen immerhin eine Chance, sich zu bilden. Sie könnten sich die Vorträge sonst sicher nicht leisten.“
Dieses Argument ist für den Studenten Torsten Rieger vorgeschoben. Ob jemand Informatik oder Germanistik studiere, sei für die Jobvermittlung nicht ausschlaggebend gewesen. „Ohne Bezahlung hätte ich mir solche Fachvorträge für Spezialisten gar nicht angehört. Um den Job zu bekommen, musste man mindestens 26 Jahre alt sein und sich businessmäßig kleiden, damit man wie ein Fachbesucher aussieht“, sagt er der taz.
Die Messe Berlin GmbH räumt auf taz-Anfrage ein, Auftraggeber der bezahlten „Fachbesucher“ zu sein. Michael Hofer, Sprecher der landeseigenen Messegesellschaft: „Das ist international üblich. Unsere Key-Notes-Vorträge werden im Fernsehsender n-tv live übertragen. Und da stören leere Stuhlreihen das Bild“, sagt er. Warum seine Firma die studentische Arbeitsvermittlung um Diskretion bat, kann Hofer auch erklären: „Es ist einfach nicht üblich, Verträge öffentlich zu machen.“
Wie viele gekaufte Studenten in den Vorträgen von ausstellenden Unternehmen auf der IFA zwischen echten Fachbesuchern saßen, wollte Hofer nicht sagen. Torsten Rieger schätzt, dass jeder dritte bis vierte Hörer ein bezahlter Hörer war. „Auf den Gängen der IFA habe ich weitere Gruppen getroffen, die von der „effektiv. Studentische Arbeitsvermittlung“ zu anderen Vorträgen geschickt wurden. Das lief alles sehr diskret ab. Wenn wir uns nicht zufällig von Seminaren oder vom Studentensport gekannt hätten, hätten wir nichts voneinander gewusst.“
Erstaunt war man bei der Telekom über das Kaufen von Zuschauern für ihre Vorträge: „Wir haben davon definitiv nichts gewusst und arbeiten prinzipiell auch nicht mit solchen Methoden“, sagte ein Sprecher des Unternehmens. „Wir haben es auch gar nicht nötig, uns Zuschauer zu kaufen. Unser Vortrag fand ein breites Interesse bei Fachjournalisten und Fachfirmen.“
Lisa Paus, wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, hält das Kaufen von IFA-Zuschauern für einen plumpen Täuschungsversuch. „Die Messe Berlin GmbH setzt damit die Zukunft der IFA aufs Spiel, weil das Vertrauen aller Beteiligten erschüttert wird.“ Die Politikerin verweist auf einen hart umkämpften Markt, auf dem sich die IFA behaupten muss. Dazu gehören mit der Cebit in Hannover und der Computerspielemesse in Leipzig zwei ähnliche Messen im Inland. Die IFA habe seit 2001 Besucherzahlen und bezahlte Ausstellungsflächen in beträchtlichem Maße verloren, so Paus. „Gab es damals noch 369.000 Besucher, so waren es zwei Jahre später nur noch 243.000. Die Ausstellungsflächen verringerte sich im selben Zeitraum von 89.000 auf 83.000 Quadratmeter.“ Für die diesjährige Messe liegen noch keine Zahlen vor. Paus’ SPD-Kollege Günther Krug will den Zuschauerkauf schlicht nicht glauben. „Die IFA ist so attraktiv, dass es solcher Methoden nicht bedarf.“