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Der Schreibtischtäter von Abu Ghraib

Der US-Kongress beginnt mit den Anhörungen des designierten Justizministers Alberto Gonzales. Als Rechtsberater hatte er geschrieben, Genfer Konventionen und Folterverbot müssten im Antiterrorkampf nicht beachtet werden – jetzt ist er empört

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Vor acht Monaten erschütterten die Folterbilder von Abu Ghraib die US-Amerikaner – auch Republikaner zeigten sich schockiert. Seither wurde bekannt, dass Weißes Haus und Verteidigungsministerium mit verantwortlich sind für die Misshandlungen und dass Präsident Bushs Rechtsberater Alberto Gonzales – neben Pentagonchef Donald Rumsfeld – federführend bei der Ausarbeitung von Rechtsanweisungen war, die den USA in ihrem Krieg gegen den Terror erlauben sollten, Völkerrecht und eigenes Militärrecht zu ignorieren. Vergangenen Herbst kam auch eine Untersuchungskommission des Pentagons zu dem Schluss, dass von Gonzales verfasste Memoranden vom Februar und August 2002 eine entscheidende Rolle spielten, die Verhörpraxis im irakischen Gefängnis Abu Ghraib zu entwickeln. Seit gestern nun beschäftigt sich der US-Kongress mit Alberto Gonzales – und soll ihn nach dem Willen Präsident George W. Bushs als neuen Justizminister bestätigen.

Vor den Senatoren bestritt Gonzales gestern jede Mitverantwortung und betonte, dass er die Genfer Konventionen respektiere und Folter ablehne. Als Justizminister werde er „aggressiv all jene verfolgen, die für solche abscheulichen Taten verantwortlich“ seien. Die Genfer Konventionen müssten beachtet werden, „wo auch immer sie gelten“.

Letztere Formulierung klang schon eher nach dem alten Gonzales. Der nämlich hatte Bush empfohlen, die Genfer Konvention für Menschen, die in Afghanistan gefangenen genommen wurden, nicht anzuwenden. Er rechtfertigte, dass der Präsident mutmaßliche Terroristen zu „feindlichen Kämpfern“ erklären kann, um sie ohne Anklage und Rechtsbeistand auf unbestimmte Zeit internieren zu können.

Aus dem Weißen Haus war zu hören, Bush hoffte mit Gonzales eine weniger kontroverse, dafür mehr pragmatische Figur als den scheidenden John Ashcroft zu benennen – eine grandiose Fehleinschätzung wie sich nunmehr zeigt.

Tage vor Anhörungsbeginn fuhr selbst die Mainstream-Presse schwere Geschütze gegen Gonzales auf. US-Zeitungen zeichneten in ganzseitigen, aufwändig recherchierten Artikeln nach, wie er den rechtlichen Rahmen für Bushs Antiterrorpolitik schuf. Detailliert weisen sie noch einmal nach, wie die Spur der Folterskandale zu seinem Schreibtisch im Weißen Haus führt. Kommentatoren schrieben tapfer gegen seine scheinbar unausweichliche Bestätigung im Kongress an. Stellvertretend für sie fragte Washington-Post-Kolumnistin Anne Applebaum: „Erinnert sich die Rechte noch an Abu Ghraib“, und appellierte an moderate Republikaner im Senat, Gonzales’ Ernennung zu verhindern.

Auch Militärjuristen meldeten sich öffentlich zu Wort – ein ungewöhnlicher Schritt, der zeigt, wie tief das Unbehagen gegenüber dem Bush-Vertrauten innerhalb der Generalität ist, nicht zuletzt, weil er seine Richtlinien zur Gefangenenbehandlung ausarbeitete, ohne Militärexperten zu konsultieren. „Die Gonzales-Memos könnten von unseren Feinden benutzt werden, um Folter, auch an Amerikanern, zu rechtfertigen“, fürchtet General James Cullen, ehemals Chefrichter am militärischen Berufungsgericht der US-Armee.

Am Dienstag mahnten dann schließlich 225 religiöse Führungspersönlichkeiten in den USA Gonzales in einem gemeinsamen Aufruf, die Anwendung von Folter „unter allen Umständen“ abzulehnen und „internationale Rechtsstandards einzuhalten“.

Angesichts des öffentlichen Drucks hat das Justizministerium rechtzeitig zu den Anhörungen seine Rechtsauffassungen teilweise verworfen, vor allem jene, die Folter legitimieren und Bush die Autorität geben sollten, sich über internationales Recht hinwegzusetzen. Doch die neuen Standards bleiben schwammig, wie die New York Times feststellt. Nur einige der brutalen Verhörtechniken seien für illegal erklärt worden. „Dies ist nicht ausreichend, um die systematische Verletzung von Völker- und Menschenrecht zu beenden.“

Gonzales’ Bestätigung sendet nach Ansicht von Kritikern ein verheerendes Signal. Der Kampf gegen den Terror und die Ideologie des radikalen Islam könne nur gewonnen werden, indem die USA demokratische Werte nicht nur predigen, sondern auch vorleben, sagt George Hunsinger, Theologieprofessor in Princeton. „Wir können ihn nicht gewinnen, wenn unser System jene belohnt, die Menschenrechtsverstöße sanktionieren.“

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