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Archiv-Artikel

„Müntefering muss Gerhard Schröder widersprechen …“

„… wenn er ihm helfen will.“ Erhard Eppler warnt, den Wechsel an der SPD-Spitze als Selbstläufer zu sehen. Der neue Chef muss die rot-grüne Perspektive wieder deutlich machen

taz: Herr Eppler, wird die Rochade an der Spitze die SPD retten?

Erhard Eppler: Der Wechsel bietet zumindest die Chance, die Lage der SPD zu verbessern. Es ist eine Chance, kein Selbstläufer.

Kam der Wechsel zu spät?

Ich glaube nicht, dass die Krise der SPD daran gelegen hat, dass Schröder Kanzler und Parteichef war. Das wäre viel zu einfach.

Warum?

Der entscheidende Punkt ist, dass der durchschnittliche SPD-Wähler seit über hundert Jahren nicht ohne guten Grund von der Partei erwartet, dass sie den Sozialstaat ausbaut und perfektioniert. Deshalb nimmt man es der SPD besonders übel, wenn sie den Sozialstaat zurechtstutzt – obwohl das Zurechtstutzen Pflanzen durchaus gut tun kann.

Fakt ist, dass die SPD-Klientel nicht versteht, warum Rentner, Arbeitslose und das untere Drittel der Gesellschaft die Last tragen sollen. Die Agenda 2010 war schlicht ein Fehler – oder?

Nein. Sie war aus zwei Gründen notwendig. Ein exportorientierter Industriestaat wie die Bundesrepublik muss unter den Bedingungen des globalen Kapitalismus solche Reformen machen – schon aus Gründen internationaler Konkurrenz. Ich habe 1970 eine Steuerkommission geleitet. Wir waren damals der Ausfassung, dass ein Spitzensteuersatz von 53 Prozent nicht ausreicht. Heute gelten höchstens 42 Prozent als durchsetzbar. Bei mehr droht die Abwanderung des Kapitals.

Also gibt es keinen Spielraum für Politik?

Nur einen sehr kleinen. Kein Kanzler keiner Partei kann etwas daran ändern, dass das Kapital den Nationalstaat erpressen kann – und der kleine Mann kann das eben nicht. Der Anteil der Unternehmensteuern am gesamten Steueraufkommen hat sich seit 1970 mehr als halbiert. Daher das Loch in der Staatskasse. Hinzu kommt die Überalterung. Unsere Sozialsysteme sind alle auf eine wachsende Bevölkerung angelegt. Deshalb wären auch ohne den globalen Kapitalismus Kürzungen und Änderungen im Rentensystem unvermeidlich.

Warum ist die SPD-Spitze so unfähig, die globalkapitalistischen Rahmenbedingungen zu erläutern? Warum die argumentative Hilflosigkeit, woher das Stottern, wenn es gilt, die Agenda 2010 zu erklären?

Weil kein Politiker gerne zugibt, dass er in bestimmten Fragen ohnmächtig ist. Die Union hätte, würde sie regieren, das gleiche Problem. Jedoch mit dem Unterschied, dass man der Union Ungerechtigkeiten nicht so übel nehmen würde, weil man die von ihr gewohnt ist.

Kommen wir zurück zur SPD. Was wird Müntefering tun? Wird er einfach die Schröder-Politik ins Genossendeutsch übersetzen? Oder wird er ein Gegengewicht zu Schröder werden – so wie es Willy Brandt zu Helmut Schmidt war?

Gerade wenn Müntefering Schröder helfen will, muss er ihm gelegentlich widersprechen. Die SPD lässt sich nicht nur von oben belehren. Sie braucht den Eindruck, dass ernst genommen wird, was von der Basis kommt. Müntefering kann gewiss eher erklären, warum es so schwer möglich ist, die Reichen so heranzuziehen, wie es gerecht wäre. Das kann er freier und genauer darstellen als ein Bundeskanzler. Die zweite Aufgabe lautet, die rot-grüne Perspektive klar zu machen: nämlich ein nachhaltig entwickeltes, zukunftsfähiges Deutschland. Das reicht von den erneuerbaren Energien über die reformierten Sozialsysteme, von der Sanierung des Bundeshaushalts bis zum Umbau der Bundeswehr. Diese Politik kostet Opfer – aber sie lohnt sich. Das wäre ein rot-grünes Projekt.

Aber die SPD braucht angesichts des katastrophalen Mitgliederschwunds vor allem ein originär sozialdemokratisches Projekt. Muss Müntefering deshalb mehr Geld für Bildung, eine höhere Erbschaftsteuer oder eine Ausbildungsplatzabgabe auf die Tagesordnung setzen?

Ja. Die höhere Erbschaftsteuer wurde beim letzten Parteitag schon beschlossen. Sie ist in bestimmten Grenzen auch sinnvoll. Noch nie in der Geschichte ist so viel an so wenige vererbt worden.

Heiko Maas, der Chef der Saar-SPD, hat Schröders Kanzlerschaft vorsichtig in Frage gestellt. Bringt das etwas?

Nein. Das ist absurd. Schröder ist neben Jacques Chirac der weltweit angesehenste Staatsmann der westlichen Welt. Nicht Blair, nicht Bush, nicht Berlusconi. Das wird hierzulande oft vergessen. Schröders Außenpolitik war goldrichtig. Angela Merkel hätte uns in den Irakkrieg geführt. Das muss man gelegentlich in Erinnerung rufen.

Viele glauben, dass der Wechsel Schröders Ende einläutet. Schon Helmut Schmidt sei daran gescheitert, dass er nicht Kanzler und Parteichef war. Ist da was dran?

Ach, nein. Schmidt hat behauptet, dass es sein einziger Fehler war, den Parteivorsitz nicht übernommen zu haben. Damit hat er schlicht und einfach Unrecht. Brandt hat darüber nur müde gelächelt. Er hat Schmidt doch den Rücken freigehalten. Schmidt hätte die SPD geführt wie ein Oberleutnant seine Kompanie. Damit wäre er aber schon bei der Wahl 1980 gescheitert.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE