: Anzahl der HIV-Infektionen nimmt wieder zu
Erstmals seit 1993 steigen die Neuinfektionen mit dem Aids-Virus. Frauen und Migranten sind zunehmend betroffen
Die Zahl der Neuinfektionen mit dem Aids-Virus HIV ist erstmals seit 1993 in Berlin wieder angestiegen. Das sagte gestern der Geschäftsführer der Berliner Aids-Hilfe (BAH), Kai-Uwe Merkenich im Vorfeld des Welt-Aids-Tages am 1. Dezember. Zwar liegen noch keine genauen Zahlen für das Jahr 2002 vor, doch die Hochrechnungen des Robert-Koch-Instituts (RKI), das bundesweit die entsprechenden Statistiken führt, zeigen laut BAH eindeutig in diese Richtung. Das RKI geht für dieses Jahr von 350 Neuinfektionen in Berlin aus. Damit zeichnet sich in Berlin ein Trend ab, der laut BAH auch bundesweit zu beobachten sind.
Die Gründe für den Anstieg sind vielfältig. Zum einen gebe es unter den schwulen Männern „eine Präventionsmüdigkeit“, so die Ärztin Marianne Rademacher von der BAH. „Der Anstieg ist nicht etwa bei ganz jungen Männern zu verzeichnen, sondern bei denen um die 30.“ Auch die besseren Therapiemöglichkeiten würden zu einem laxerem Umgang mit dem Risiko führen, die Wissenslücken besonders bei jungen Leuten seien nach wie vor groß. Gleichzeitig nehme der Anteil der infizierten Frauen und der Migranten weiter zu. Besonders betroffen seien Einwanderer aus Osteuropa.
Angesichts des rasanten Anstiegs von HIV-Infektionen in Osteuropa warnte die BAH vor einer „gesundheitspolitischen Katastrophe“ in diesen Ländern. Besonders betroffen seien die Ukraine, Estland, Lettland und die Russische Föderation, sagte Erhard Schnalke vom Verein connect plus. Die Verhältnisse in der Ukraine, wo mit bis zu 500.000 HIV-Infektionen gerechnet werden muss, seien nur mit denen in afrikanischen Staaten südlich der Sahara zu vergleichen, betonte Schnalke. Nichtregierungsorganisationen gingen davon aus, dass drei bis fünf Prozent der Ukrainer HIV-positiv sind. „Das wird von dort auch zu uns rüberschwappen“, sagte Rademacher. Manche Experten befürchten gar, dass Westeuropa auf diesem Weg die eigentliche Epidemie noch bevorsteht.
Dennoch mangelt es in Berlin noch immer an Informationen und Hilfeeinrichtungen für Migranten. „Das existiert praktisch nicht“, kritisierte der Chefarzt der Aids-Station im Auguste-Viktoria-Krankenhaus, Keikawus Arastéh. „Dabei wäre das aber dringend notwendig.“
SABINE AM ORDE
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