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43 Sekunden Herzlichkeit

Eine freundliche Geste besänftigt Gemüter, ändert aber nichts an grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten

PRAG taz ■ Glaube keiner, in der Politik des 21. Jahrhunderts gebe es keinen Byzantinismus mehr, nur weil solche ausgewiesenen Experten des höfischen Protokolls wie Leonid Breschnew oder Nicolae Ceaușescu schon längst das Zeitliche gesegnet haben. Die deutsch-amerikanischen Beziehungen sind nach den Verstörungen und Beschimpfungen während des Bundestagswahlkampfes „Adolf Nazi“) immer noch in einem Stadium, wo jedes kleinste Detail des diplomatischen Zeremoniells allerhöchste Priorität genießt. Jetzt also hat der amerikanische Präsident am Mittwochabend in Prag unserem Kanzler die Hand geschüttelt! Und zwar freundschaftlich! Und lang anhaltend!

Die professionellen Deuter des Protokolls auf beiden Seiten erklären diese Feinheiten mit einer Ernsthaftigkeit, als seien auf der Prager Burg mit einem einzigen Handschlag der Sturz Saddam Husseins und der friedliche Wandel im Irak besiegelt worden. Einer von ihnen behauptet sogar, George Bush und Gerhard Schröder hätten sich 43 Sekunden lang die Hände geschüttelt. Da könnte man fast schon wieder glauben, dieser schier unendliche Handschlag habe dem amerikanischen Präsidenten dann doch zu lange gedauert und das könnte sich jetzt negativ auf das deutsch-amerikanische Verhältnis auswirken … Aber nein. „Wir haben uns herzlich begrüßt“, hat Bush später selbst gesagt. Deutschland sei ein „wichtiger Freund“. Beide Staaten hätten schließlich Beziehungen aufrechtzuerhalten.

Was man halt so sagt bei einem Abendessen von 19 Staats- und Regierungschefs, bei dem man – wie Schröder und Bush – an entgegengesetzten Seiten des Saales sitzt und sich zum Shakehands mal eben kurz trifft. In der Umgebung des Kanzlers wurden diese gehaltvollen Worte als Ausdruck dafür gewertet, dass „die Arbeitsbeziehungen zwischen beiden Ländern nach wie vor gut“ seien. Als dieser historische Vorgang auch dem letzten deutschen Journalisten mitgeteilt worden war, stellte sich der Außenminister breitbeinig in einen Gang des Prager Kongresscenters und sagte mit einem breiten Grinsen zu den Journalisten: „Nun hört mal endlich auf, diese zeremoniellen Fragen so wichtig zu nehmen.“

Natürlich, die Bundesregierung hat das selbstverständlich auch nie getan. Als klar war, dass es in Prag beim ersten Zusammentreffen von Bush und Schröder nach dem Anti-Irakkrieg-Wahlkampf des Kanzlers nicht zu dem in Berlin lang ersehnten bilateralen Treffen mit dem US-Präsidenten kommen würde, da erklärte die Bundesregierung prompt, sie habe ein solches Zweiertreffen auch gar nicht gewünscht. Das ist zwar glatt gelogen, aber so konnten sich der Kanzler sowie sein Außen- und Verteidigungsminister beim Nato-Gipfel wenigstens auf die wichtigen Fragen konzentrieren.

Die kreisten darum, ob Deutschland seine klare Antikriegshaltung etwa doch noch aufweichen wird. „Deutschland ist nicht einsam“, sagte Verteidigungsminister Struck. Das hat mit Sicherheit nichts damit zu tun, dass die Bundesregierung dabei ist, ihr kompromissloses Nein zu einem Irak-Einsatz offenbar zu modifizieren. Das wird am Umgang mit der offiziellen Anfrage der amerikanischen Regierung deutlich, in der die Bundesregierung aufgefordert wird mitzuteilen, wie sie die USA bei einem Irakkrieg unterstützen will. Die Bundesregierung wird die Anfrage jetzt prüfen, und zwar „auf der klaren Grundlage einer deutschen Nichtbeteiligung, unserer Bündnisverpflichtungen, rechtlichen Möglichkeiten und Bindungen“, wie es Regierungssprecher Béla Anda ausdrückte. Diese Formulierung deutet darauf hin, dass die rot-grüne Regierung im Fall der Fälle den USA die Überflugrechte und die Nutzung ihrer Militärbasen in Deutschland wohl doch nicht verweigern würde. JENS KÖNIG

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