: Eine Elite ohne Bewusstsein
In Zeiten der Medienkrise erweist sich das Personal der Branche als kopflos. Zu sehr sind die selbstgefälligen Damen und „Herren Journalisten“ aus der Nach-68-Generation in politische und ökonomische Machtinteressen eingebunden
von LUTZ HACHMEISTER
Ein gewichtiger Teil des Journalismus stellt am Beginn der 21. Jahrhunderts eine spätbürgerliche Elite dar, die mit anderen Kadern der Medienunternehmen sowie mit Machtgruppen aus Wirtschaft und Politik eng verflochten ist. Gängige Bilder von Journalisten als unstete Gesellen, rasende Reporter, verkappte Sozialrevolutionäre oder auch als Schreibknechte im Dienst des kapitalistischen Systems verzerren die Wirklichkeit – Journalisten sind in ihrer Weltsicht und Kommentierung eher darauf aus, den eigenen Status in der gehobenen Mittelschicht oder als bourgeois bohemian zu wahren, als dass sie in irgendeiner Weise aus dem Rahmen der formierten Wohlstandsgesellschaft herausfielen. Innerhalb der Journalistik wiederum nehmen die prestige papers, die meinungsführenden Blätter, eine taktgebende Rolle auch für das Standesbewusstsein der gesamten Berufsgruppe ein. Sie sind als Kaderorganisationen der Publizistik zu definieren, in denen die Eigeninteressen des Journalismus sich in einer besonderen Redaktionssphäre, mit einem spezifischen Habitus, im Zwischenraum zwischen zurückgelehntem Räsonnement und politisch-kultureller Einflussnahme organisieren. Der objektive Elitestatus geht dabei mit mangelnder Selbstdistanz, fehlender historischer Reflexion und Herrenclub-Mentalität einher.
Die unklare Stellung zwischen realer Macht, gehobenem gesellschaftlichen Status und skeptisch-allwissender Kommentierung muss dabei immer wieder kompensiert werden. Die Heroisierung des verstorbenen Spiegel-Herausgebers Rudolf Augstein in den Nachrufen, die mitunter Züge einer journalistischen Führerkults annahm, ist ein interessantes Beispiel für solche Kompensationen.
Welches öffentliches Interesse die Frage nach dem Einfluss einer durch ökonomische Konkurrenz hochgerüsteten Medienindustrie und ihrer Kader auf andere politische und kulturelle Felder hervorrufen kann, zeigte sich im Januar 2002, als das Buch „Bias. A CBS Insider Exposes How the Media Distort the News“ auf Platz eins der Sachbuch-Bestsellerliste in den Vereinigten Staaten kam. Der Ex-CBS-Nachrichtenmann Bernard Goldberg kritisierte in seiner Polemik, dass die in Manhattan zentrierte liberale TV-Elite auf Form und Inhalt der US-Fernsehnachrichten unangemessen Einfluss nehme; den leitenden CBS-Präsentator Dan Rather verglich Goldberg gar mit einem Mafiapaten: „The Don in this case is actually the Dan. Dan Rather, Capo di tutti news guys.“ Die International Herald Tribune wiederum beschrieb den Goldberg-Bestseller als konservativen und unbalancierten „Mehrfronten-Angriff auf prominente TV-Persönlichkeiten“ der nur die Armseligkeit der medienkritischen Debatte in den USA zeige. Dennoch bleibt die Frage, welche Konsequenzen zentrale Orte und Milieus für das Bewusstsein, den Habitus und die politischen Netzwerke der gesellschaftlichen Eliten haben, ein wichtiges Forschungsthema – gerade für die im Moment noch eher konturierte denn ausgeprägte „Berliner Republik“ mit ihren neuen Verständigungs- und Konkurrenzmustern zwischen Politik und Publizistik.
Einige Thesen zum Szenenwechsel der Elitepublizistik lassen sich, vor den erforderlichen, breiter angelegten empirischen Studien, schon jetzt vermitteln. Erstens beobachten wir bei der fortgesetzten personellen Schwächung des eigentlichen politischen Systems einen generellen Bedeutungszuwachs der medialen Führungsschichten. Dies könnte zu einer verstärkten Einbindung publizistischer Kader in die „politische Politik“ führen bzw. zu einer neuen Beweglichkeit der politischen Akteure im professionellen massenmedialen Feld. Beispiele für solche Rollenwechsel sind politische Moderatoren auf nationaler Ebene (Michel Friedman, Lothar Späth, Andrea Fischer) oder politische Mandate von Medienunternehmern (Michael Bloomberg, Silvio Berlusconi).
Zweitens bildet sich ein neuer Publizistentyp heraus, der Rollenmuster von Journalismus, Kommunikationsmanager und gesellschaftlicher Prominenz vereint. Dies betrifft vor allem Angehörige der Nach-68er-Generation, also Medienleute, die heute Ende dreißig, Anfang vierzig sind. Paradigmatisch mögen dafür – bei aller unterschiedlichen politischen Verortung – Mathias Döpfner (Springer), Frank Schirrmacher (FAZ) oder Giovanni di Lorenzo (Tagesspiegel) stehen.
Drittens finden wir in dieser Gruppe eine dichte Elitenkommunikation über herkömmliche politische Standorte hinweg, in der es um publizistische Strategiefragen und professionelle Positionierungen geht. Zwar schreibt Hans Leyendecker, einer der wenigen deutschen Journalisten, die sich kontinuierlich um die Reflexion des eigenen Berufsfeldes gekümmert haben, anlässlich der Spendenaffäre um den Exbundeskanzler Helmut Kohl: „Selbstgefällige Kommentierungen, denen zufolge es keine Lager mehr in der Medienlandschaft gebe und dass konservative wie liberale Blätter gleichermaßen an einer umfassenden Aufklärung interessiert seien, waren naiv.“ Die publizistischen Lager – Springer-Presse und FAZ hier, die klassische linksliberale Fraktion mit Süddeutscher Zeitung, Spiegel, Zeit usw. da – seien intakt. Dennoch hält sich die Elitepublizistik heute vorzugsweise in der neuen Mitte auf, und politisch-publizistische „Lager“ erscheinen häufig simuliert, damit für eine bestimmte Klientel noch eine hergebrachte politische Identität jenseits der pragmatischen Stückwerksarbeit vorgezeigt werden kann. Die Durchlässigkeit der jeweiligen Terraingrenzen, die Transfermöglichkeiten von der einen zur anderen publizistischen Institution sind unzweifelhaft gestiegen.
Viertens wirkt die Ökonomisierung der Medienpolitik auf die strategische Orientierung der reflexiven, medienkritischen Berichterstattung selbst ein. Da öffentliche wie unternehmerische Medienpolitik heute unmittelbar im Zusammenhang ökonomischer Verwertungsinteressen steht, ist die Berichterstattung der Medienunternehmen übereinander oder zu aktuellen medienpolitischen Vorgängen mehr denn je von konkreten Eigeninteressen geprägt.
Darüber kann auch die formale Professionalisierung von „Medienseiten“ in den meinungsführenden Tageszeitungen nicht hinwegtäuschen. Das eine Unternehmen mag hier liberaler verfahren als das andere, aber prinzipiell muss der Leser decodieren können, wer was warum und vor allem zu welchem Zeitpunkt schreibt. Auch hier sind Chefredakteure und Ressortleiter in die Interessen ihrer Verlage und Konzerne noch komplexer eingebunden als in den Zeiten durchsichtiger Kampagnen etwa des Springer-Konzerns gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Fünftens schließlich muss gefragt werden, mit welcher demokratischen Legitimation der Machtzuwachs der publizistischen Entscheider verbunden ist. Es könnte sich um eine neue Elite ohne Bewusstsein handeln, die von der medientechnologischen Entwicklung und der Auszehrung der traditionellen politischen Klasse profitiert, ohne sich mit ihrer eigenen historischen, sozialen und kulturellen Verortung auseinander setzen zu müssen. Welche Gefahren für Volkswirtschaft und lebendige Demokratie sich aus der selbstbezüglichen und mit ökonomischen Interessen der Medienindustrie verflochtenen Elitepublizistik ergeben können, haben die besinnungslosen Heilsgesänge zur „New Economy“ bewiesen, als Unternehmen der Medien- und Telekommunikationsbranche, Wirtschaftsjournalisten, Unternehmensberater und Bankanalysten gemeinsam und blind in eine irrationale und chiliastische Verzückung gerieten.
Fraglich ist auch, ob der wohlig im spätbürgerlichen Zentrismus eingerichtete Prestige-Journalismus die Entfremdung breiter Bevölkerungsschichten von den formaldemokratischen Ritualen überhaupt mitbekommt. Seit geraumer Zeit scheinen ihm selbstbezügliche Feuilleton-Scharmützel und medienwirtschaftliche Positionskämpfe wichtiger als die nüchterne Bestandsaufnahme der gesellschaftlichen Realität.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen